[5] eine Romanze
Schon ehmahls sang der Leyermann
Musaeus die Geschichte,
Die ich euch jetzt, so gut ich kan,
Erzähle und berichte. –
Ein Jüngling, der Leander hieß,
Kam einstmahls in ein Städtchen,
Das seinem Blick die Hero wies,
Die Krone aller Mädchen.
Er machte einen Reverenz,
Der ihn zur Erde drückte,
Als er die Miß, im jungen Lenz,
Zum erstenmahl erblickte.
Von nun an schwebt' ihr Götterbild,
Im labyrintschen Tanze,
Um seinen Blick, das Haupt umhüllt
Mit einem Blumenkranze.
Bald schwatzt er ihr von Liebe vor,
Von Martern, und von Schmerzen.
Und sie? sie widmet ihm ihr Ohr,
Nebst einem Platz im Herzen.
Nun fühlt der Jüngling sich, und brennt,
Die Schöne glüht nicht minder,
Doch, ach, das Meer der Helle trennt
Die beyden armen Kinder.
[5]
Er hatte, leider, keinen Kahn,
Drum schwamm er durch die Fluthen,
Was noch kein Amadis gethan,
Wenn Hayn und Fluren ruhten.
Ein schattenvoller Myrthenhayn
Verhüllte ihre Küße,
Und tausend andre Tändeleyn
In grüne Finsterniße.
Was sie sich Zärtliches gesagt,
Das wißen nur die Plätze,
Wo sie manch Stündchen zugebracht,
Am flüsternden Geschwätze
Des Bachs. Sie fühlten Cypris Sohn,
Indeß die Gegend lauschte,
Und ihrer Küße Silberton
Den Schattenwald durchrauschte.
Kurz, sie beschloßen dieses Spiel,
Geschaffen zum Ergötzen,
Das ihnen ziemlich wohl gefiel,
Hinführo fortzusetzen.
Leander schwamm, die Schöne saß
Am Ufer, voll Verlangen,
Den Liebling, wär er noch so naß,
Zu küßen, zu umfangen.
Sie wies ihm, mit erhobner Hand,
Ein Lichtgen in der Ferne,
Wenn Nacht sich um das Mondlicht wand,
Und um den Glanz der Sterne.[6]
Er folgte dann dem Lichtstral nach. –
Doch Aeols Höhlen senden
Einst Stürme, und die reißen, ach,
Das Licht ihr aus den Händen.
Nun öfnet sie den Rosenmund
Zu Seufzern und zu Klagen,
Der Königin von Amathunt
Ihr Herzeleyd zu sagen.
Umsonst! die Göttin spielte just,
Sie hatte gute Karten,
Und spürte folglich keine Lust
Der Hero aufzuwarten.
Das arme Kind! Ihr Seufzen schallt
Umher, ein Thränenregen
Quillt ihr vom Aug. Indeßen wallt
Ein Leichnam ihr entgegen.
Leander ists, er schwimmt erblaßt
Zum Ufer, bange Scene!
Ein kalter Todesschauer faßt
Die Brust der jungen Schöne.
Denn jetzt entschleyert Luna sich
Von Wolken, und enthüllet
Der Hero, die am Ufer schlich,
Mit Traurigkeit erfüllet,
Leanders Tod. Sie spricht kein Wort,
Stürzt rauschend in die Wogen,
Und ihre Seele flattert fort,
Dem schönsten Leib entzogen.
[7]
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro