Trinklied im Winter

[202] Das Glas gefüllt!

Der Nordwind brüllt,

Die Sonn' ist niedergesunken!

Der kalte Bär

Blinkt Frost daher,

Getrunken, Brüder, getrunken!


Die Tannen glühn

Hell im Kamin,

Verstreuen knatternd die Funken!

Der edle Rhein

Gab uns den Wein,

Getrunken, Brüder, getrunken!


Der edle Most

Verscheucht den Frost,

Und zaubert Frühling hernieder;

Der Trinker sieht

Den Hain entblüht

Und Büsche wirbeln ihm Lieder!


Er hört Gesang,

Und Harfenklang,

Und schwankt durch blühende Lauben;

Ein Mädchenchor

Rauscht schnell hervor,

Und bringt ihm goldene Trauben!


Sauf' immerfort,

O Winternord,

Im schneebelasteten Haine;[202]

Nur streu dein Eis,

O lieber Greis,

In keine Flaschen mit Weine!


Die stolze Frau

Färb braun und blau,

Die Ahnenschwindel erfüllet;

Nur mußt du fliehn

Den Hermelin,

Der junge Busen verhüllet!
[203]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 202-204.
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