Abendlied

[10] Nach der Stimme: Zu dir von Hertzengrunde, usw.


1.

Der Tag ist nun vergangen

Mit seiner Sorgenlast,

Die Nacht hat angefangen

Und aller Arbeit Rast.

Das Liecht hat abgenommen

Mit unsrer Lebenszeit;

Wir sind nun näher kommen

Der grauen Ewigkeit.


2.

Wie wir zu Bette ligen,

So ligen wir im Grab:

Wie soll uns denn vergnügen

Der Welt verlornes Haab?

Indem wir schlaffen gehen,

Wird uns der Tod gemein:

Kein Mensch kan lang bestehen

Es muß gestorben seyn.


3.

Wie wir die Kleider lassen,

Bevor wir schlaffen ein,

So bleibt uns gleicher massen

Nichts als der Leichenstein.

Ein Leilach mich bedecket

Hier und im Todengrab,

Bis mich die Sonn erwecket

Und Christi Richterstab.


4.

Weh denen, welche sterben

Ohn allen Vorbedacht:

Sie können leicht verderben

Dort in der Höllennacht.

Ich muß, ich muß bekennen,

Daß ich unrecht gethan,

Ich muß mich lässig nennen

Auf schmahler Tugendbahn.


5.

Ich will mich Gott befehlen,

Der mich erlöset hat,

Und mich um nichts nicht quälen:

Er gibt mir seine Gnad.

Das Gute zu vollbringen

Ist mein Fleisch viel zu schwach;

Ich will mich besser zwingen,

Wenn ich leb' und erwach.


6.

So will ich seyn beflissen

Zu leben Sünden rein

Und wider mein Gewissen

Nicht häuffen Straff und Pein.

Der Vorsatz ist genommen,

Ich bin darzu gerüst;

Mir wird zu Hülffe kommen,

Der in uns mächtig ist.


7.

Herr! laß dich gnädig finden

Und schütz mich diese Nacht.

Erlaß mich meiner Sünden,

Die ich den Tag vollbracht.

Gib, daß ich ruhig schlaffe

Ohn böse Träum und Schmertz,

Und in mir neu erschaffe

Ein dir gehorsams Hertz.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 10.
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