Das Spinnlein

[136] Nei, lueget doch das Spinnli a,

wie's zarti Fäde zwirne cha!

Bas Gvatter, meinsch, chasch's au ne so?

De wirsch mer's, traui, blibe lo.

Es macht's so subtil und so nett,

i wott nit, aß i 's z'hasple hätt.[136]

Wo het's die fini Riste gno,

bi wellem Meister hechle lo?

Meinsch, wemme 's wüßt, wol mengi Frau,

sie wär so gscheit, und holti au!

Jez lueg mer, wie 's si Füeßli sezt,

und d'Ermel streift, und d'Finger nezt.

Es zieht e lange Faden us,

es spinnt e Bruck ans Nochbers Hus,

es baut e Landstroß in der Luft,

morn hangt sie scho voll Morgeduft,

es baut e Fußweg nebe dra,

's isch, aß es ehne dure cha.

Es spinnt und wandlet uf und ab,

potz tausig, im Galopp und Trab!

Jez goht's ringum, was hesch, was gisch!

Siehsch, wie ne Ringli worden isch?

Jez schießt es zarti Fäden i.

Wird's öbbe solle gwobe si?

Es isch verstuunt, es haltet still,

es weiß nit recht, wo 's ane will,

's goht weger zruck, i sieh's em a;

's muß näumis Rechts vergesse ha.

›Zwor‹, denkt es, ›sel pressiert jo nit,

i halt mi nummen uf dermit.‹

Es spinnt und webt, und het kei Rast,

so gliichlig, me verluegt si fast.

Und 's Pfarers Christoph het no gseit,

's seig jede Fade zsemmegleit.

Es mueß ein guti Auge ha,

wer's zehlen und erchenne cha.

Jez puzt es sini Händli ab,

es stoht, und haut der Faden ab.

Jez sizt es in si Summerhus,

und luegt die lange Stroßen us.

Es seit: ›Me baut si halber z'tod,

doch freut's ein au, wenn's Hüsli stoht.‹[137]

In freie Lüfte wogt und schwankt's,

und an der liebe Sunne hangt's;

sie schint em frei dur d'Beinli dur,

und 's isch em wohl. In Feld und Flur

sieht 's Mückli tanze, jung und feiß;

's denkt bi nem selber: ›Hätti eis!‹

O Tierli, wie hesch mi verzückt!

Wie bisch so chlei, und doch so gschickt!

Wer het di au die Sache glehrt?

Denkwol der, wonis alli nährt,

mit milde Händen alle git.

Bis z'frieden! Er vergißt di nit.

Do chunnt e Fliege, nei wie dumm!

Sie rennt em schier gar 's Hüsli um.

Sie schreit und winslet Weh und Ach!

Du arme Chetzer hesch di Sach!

Hesch keine Auge bi der gha?

Was göhn di üsi Sachen a?

Lueg, 's Spinnli merkt's enanderno,

es zuckt und springt und het si scho.

Es denkt: ›I ha viel Arbet gha,

jez mußi au ne Brotis ha!‹

I sag's jo, der, wo alle git,

wenn's Zit isch, er vergißt ein nit.

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 136-138.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alemannische Gedichte
Alemannische Gedichte
Plattdeutscher Hebel: Eine Freie Uebersetzung Der Hebel'schen Alemannische Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon