Der Storch

[118] (Nach dem Frieden)


Willkumm, Her Storch! Bisch au scho do,

und schmecksch im Weiher d'Frösche scho?

Und meinsch, der Winter heig si Sach,

und 's besser Wetter chömm alsgmach?

He jo, der Schnee gieng überal;

me meint, es werd scho grün im Tal.

Der Himmel isch so rein und blau,

und 's weiht ein a so mild und lau.

Nei loset, wiener welsche cha!

Verstoht men au ne Wörtli dra?

Drum chunnt er über Strom und Meer

us wite fremde Ländere her.

Was bringsch denn Neu's us Afrika?

Sie hen gwis au so Umständ gha,

und d'Büchse gspannt, und d'Sebel gwezt,

und Freiheitsbäum vor d'Chilche gsetzt?

De hesch so roti Strümpfli a.

Isch öbbe Blut vom Schlachtfeld dra?

Wo hesch die schwarze Fegge gno?

Bisch öbbe z'noch an d'Flamme cho?[118]

Um das hättsch über Land und Meer

nit reise dörfe hi und her

vom Rhistrom bis in Afrika.

De hättsch's jo in der Nööchi gha.

Mer wüsse leider au dervo,

und mengi Wunde blutet no,

und 's druckt no menge Chummer schwer,

und menge schöne Trog isch leer.

Und witer, an den Alpe hi,

isch's, Gott erbarm's, no ärger gsi,

und Weh und Ach het usem Wald

und us de Berge widerhallt.

Ans Wilhelm Telle Freiheitshut

hangt menge Tropfe Schwitzerblut.

Wie het's nit ummen blizt und gchracht,

und dunderet in der Wetternacht!

Doch öbben in der Wetternacht

het Gottis Engel au no gwacht.

»Jo frili«, seit er, »Chlip und Chlap!«

und schwenkt der Schnabel uf und ab.

Gang Muetter, und heiß 's Büebli cho!

Lueg Chind, di Storch isch wieder do!

Sag: ›Grüß di Gott! Was bringsch mer mit?‹

I glaub, bim Bluest, er chennt di nit.

's macht's, wil d'so groß und sufer bisch,

und 's Löckli chrüser worden isch.

Fern hesch no so ne Jüppli gha,

jez hesch scho gstreifti Hösli a.

Er pepperet no alliwil,

und 's schint, er wiß no sölli viel.

Es goht em au, wie mengem Ma,

er het si Gfalle selber dra!

's isch gnug, Her Storch! Mer wüsse's scho,

und was de seisch, mer glaube's jo!

Es freut di au, aß 's Dorf no stoht,

und alles gsund isch – dank der Gott![119]

He jo, 's mag wieder ziemli go,

und 's Feldpikett isch nümme do;

wo Lager gsi sin Zelt an Zelt,

goht jez der Pflug im Ackerfeld.

Und der, wo d'Storche heißet cho,

und d'Rabe nährt, isch au no do.

Er schafft den Arme Brot ins Hus,

und heilt die alte Presten us.

Und wo me luegt, und luege cha,

se lächlet ein der Frieden a,

wie Morgelicht, wenn d'Nacht vergoht,

und d'Sunne hinter de Tanne stoht.

Gang lueg e wenig d'Gegnig a!

I glaub, de wirsch e Gfalle ha.

Mi Matten isch der wol bikannt,

am Brunnen abe linker Hand.

Und triffsch am Bach e Fröschli a,

sen isch's der gunnt. Verstick nit dra!

Und, was i bitt, loß d'Imme goh!

Mi Große seit, sie fliege scho.

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 118-120.
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