Für die Mouche

[445] Es träumte mir von einer Sommernacht,

Wo bleich, verwittert, in des Mondes Glanze

Bauwerke lagen, Reste alter Pracht,

Ruinen aus der Zeit der Renaissance.


Nur hie und da, mit dorisch ernstem Knauf,

Hebt aus dem Schutt sich einzeln eine Säule,

Und schaut ins hohe Firmament hinauf,

Als ob sie spotte seiner Donnerkeile.


Gebrochen auf dem Boden liegen rings Portale,

Giebeldächer mit Skulpturen,

Wo Mensch und Tier vermischt, Zentaur und Sphinx,

Satyr, Chimäre – Fabelzeitfiguren.


Auch manches Frauenbild von Stein liegt hier,

Unkrautumwuchert in dem hohen Grase;

Die Zeit, die schlimmste Syphilis, hat ihr

Geraubt ein Stück der edlen Nymphennase.
[445]

Es steht ein offner Marmorsarkophag

Ganz unverstümmelt unter den Ruinen,

Und gleichfalls unversehrt im Sarge lag

Ein toter Mann mit leidend sanften Mienen.


Karyatiden mit gerecktem Hals,

Sie scheinen mühsam ihn emporzuhalten.

An beiden Seiten sieht man ebenfalls

Viel basrelief gemeißelte Gestalten.


Hier sieht man des Olympos Herrlichkeit

Mit seinen lüderlichen Heidengöttern,

Adam und Eva stehn dabei, sind beid'

Versehn mit keuschem Schurz von Feigenblättern


Hier sieht man Trojas Untergang und Brand,

Paris und Helena, auch Hektor sah man;

Moses und Aaron gleich daneben stand,

Auch Esther, Judith, Holofern und Haman.


Desgleichen war zu sehn der Gott Amur,

Phöbus Apoll, Vulkanus und Frau Venus,

Pluto, Neptun, Diana und Merkur,

Gott Bacchus und Priapus und Silenus.


Daneben stand der Esel Balaams

Der Esel war zum Sprechen gut getroffen –

Dort sah man auch die Prüfung Abrahams

Und Lot, der mit den Töchtern sich besoffen.


Hier war zu schaun der Tanz Herodias',

Das Haupt des Täufers trägt man auf der Schüssel,

Die Hölle sah man hier und Satanas,

Und Petrus mit dem großen Himmelsschlüssel.
[446]

Abwechselnd wieder sah man hier skulpiert

Des geilen Jovis Brunst und Freveltaten,

Wie er als Schwan die Leda hat verführt,

Die Danae als Regen von Dukaten.


Hier war zu sehn Dianas Wilde Jagd,

Ihr folgen hochgeschürzte Nymphen, Doggen,

Hier sah man Herkules in Frauentracht,

Die Spindel drehend, hält sein Arm den Rocken.


Daneben ist der Sinai zu sehn,

Am Berg steht Israel mit seinen Ochsen,

Man schaut den Herrn als Kind im Tempel stehn

Und disputieren mit den Orthodoxen.


Die Gegensätze sind hier grell gepaart,

Des Griechen Lustsinn und der Gottgedanke

Judäas! Und in Arabeskenart

Um beide schlingt der Efeu seine Ranke.


Doch, wunderbar! Derweilen solcherlei

Bildwerke träumend ich betrachtet habe,

Wird plötzlich mir zu Sinn, ich selber sei

Der tote Mann im schönen Marmorgrabe.


Zu Häupten aber meiner Ruhestätt'

Stand eine Blume, rätselhaft gestaltet,

Die Blätter schwefelgelb und violett,

Doch wilder Liebreiz in der Blume waltet.


Das Volk nennt sie die Blume der Passion

Und sagt, sie sei dem Schädelberg entsprossen,

Als man gekreuzigt hat den Gottessohn,

Und dort sein welterlösend Blut geflossen.
[447]

Blutzeugnis, heißt es, gebe diese Blum',

Und alle Marterinstrumente, welche

Dem Henker dienten bei dem Märtyrtum,

Sie trüge sie abkonterfeit im Kelche.


Ja, alle Requisiten der Passion

Sähe man hier, die ganze Folterkammer,

Zum Beispiel: Geißel, Stricke, Dornenkron',

Das Kreuz, den Kelch, die Nägel und den Hammer.


Solch eine Blum' an meinem Grabe stand,

Und über meinen Leichnam niederbeugend,

Wie Frauentrauer, küßt sie mir die Hand,

Küßt Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.


Doch, Zauberei des Traumes! Seltsamlich,

Die Blum' der Passion, die schwefelgelbe,

Verwandelt in ein Frauenbildnis sich,

Und das ist sie – die Liebste, ja, dieselbe!


Du warst die Blume, du geliebtes Kind,

An deinen Küssen mußt ich dich erkennen.

So zärtlich keine Blumenlippen sind,

So feurig keine Blumentränen brennen!


Geschlossen war mein Aug', doch angeblickt

Hat meine Seel'beständig dein Gesichte,

Du sahst mich an, beseligt und verzückt,

Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte!


Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,

Was du verschwiegen dachtest im Gemüte –

Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham,

Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte.
[448]

Und wie beredsam dieses Schweigen ist!

Man sagt sich alles ohne Metaphoren,

Ganz ohne Feigenblatt, ganz ohne List

Des Silbenfalls, des Wohllauts der Rhetoren.


Lautloses Zwiegespräch! man glaubt es kaum,

Wie bei dem stummen, zärtlichen Geplauder

So schnell die Zeit verstreicht im schönen Traum

Der Sommernacht, gewebt aus Lust und Schauder.


Was wir gesprochen, frag es niemals, ach!

Den Glühwurm frag, was er dem Grase glimmert,

Die Welle frage, was sie rauscht im Bach,

Den Westwind frage, was er weht und wimmert.


Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,

Frag, was sie duften, Nachtviol' und Rosen –

Doch frage nie, wovon im Mondenschein

Die Marterblume und ihr Toter kosen!


Ich weiß es nicht, wie lange ich genoß

In meiner schlummerkühlen Marmortruhe

Den schönen Freudentraum. Ach, es zerfloß

Die Wonne meiner ungestörten Ruhe!


O Tod! mit deiner Grabesstille, du,

Nur du kannst uns die beste Wollust geben;

Den Krampf der Leidenschaft, Lust ohne Ruh',

Gibt uns für Glück das albern rohe Leben!


Doch wehe mir! es schwand die Seligkeit,

Als draußen plötzlich sich ein Lärm erhoben;

Es war ein scheltend, stampfend wüster Streit,

Ach, meine Blum' verscheuchte dieses Toben!
[449]

Ja, draußen sich erhob mit wildem Grimm

Ein Zanken, ein Gekeife, ein Gekläffe,

Ich glaubte zu erkennen manche Stimm' –

Es waren meines Grabmals Basreliefe.


Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn?

Und disputieren diese Marmorschemen?

Der Schreckensruf des wilden Waldgotts Pan

Wetteifernd wild mit Mosis Anathemen!


Oh, dieser Streit wird enden nimmermehr,

Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,

Stets wird geschieden sein der Menschheit Heer

In zwei Partei'n: Barbaren und Hellenen.


Das fluchte, schimpfte! gar kein Ende nahm's

Mit dieser Kontroverse, der langweil'gen,

Da war zumal der Esel Balaams,

Der überschrie die Götter und die Heil'gen!


Mit diesem I-A, I-A, dem Gewieh'r,

Dem schluchzend ekelhaften Mißlaut, brachte

Mich zur Verzweiflung schier das dumme Tier,

Ich selbst zuletzt schrie auf – und ich erwachte.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 445-450.
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