Disputation

[163] In der Aula zu Toledo

Klingen schmetternd die Fanfaren;

Zu dem geistlichen Turnei

Wallt das Volk in bunten Scharen.


Das ist nicht ein weltlich Stechen,

Keine Eisenwaffe blitzet –

Eine Lanze ist das Wort,

Das scholastisch scharf gespitzet.


Nicht galante Paladins

Fechten hier, nicht Damendiener –

Dieses Kampfes Ritter sind

Kapuziner und Rabbiner.


Statt des Helmes tragen sie

Schabbesdeckel und Kapuzen;

Skapulier und Arbekanfeß

Sind der Harnisch, drob sie trutzen.


Welches ist der wahre Gott?

Ist es der Hebräer starrer

Großer Eingott, dessen Kämpe

Rabbi Juda, der Navarrer?


Oder ist es der dreifalt'ge

Liebegott der Christianer,

Dessen Kämpe Frater Jose,

Gardian der Franziskaner?


Durch die Macht der Argumente,

Durch der Logik Kettenschlüsse

Und Zitate von Autoren,

Die man anerkennen müsse,
[163]

Will ein jeder Kämpe seinen

Gegner ad absurdum führen

Und die wahre Göttlichkeit

Seines Gottes demonstrieren.


Festgestellt ist: daß derjen'ge,

Der im Streit ward überwunden,

Seines Gegners Religion

Anzunehmen sei verbunden,


Daß der Jude sich der Taufe

Heil'gem Sakramente füge,

Und im Gegenteil der Christ

Der Beschneidung unterliege.


Jedem von den beiden Kämpen

Beigesellt sind elf Genossen,

Die zu teilen sein Geschick

Sind in Freud und Leid entschlossen.


Glaubenssicher sind die Mönche

Von des Gardians Geleitschaft,

Halten schon Weihwasserkübel

Für die Taufe in Bereitschaft,


Schwingen schon die Sprengelbesen

Und die blanken Räucherfässer –

Ihre Gegner unterdessen

Wetzen die Beschneidungsmesser.


Beide Rotten stehn schlagfertig

Vor den Schranken in dem Saale,

Und das Volk mit Ungeduld

Harret drängend der Signale.
[164]

Unterm güldnen Baldachin

Und umrauscht vom Hofgesinde

Sitzt der König und die Kön'gin;

Diese gleichet einem Kinde.


Ein französisch stumpfes Näschen,

Schalkheit kichert in den Mienen,

Doch bezaubernd sind des Mundes

Immer lächelnde Rubinen.


Schöne, flatterhafte Blume –

Daß sich ihrer Gott erbarme –

Von dem heitern Seineufer

Wurde sie verpflanzt, die arme,


Hierher in den steifen Boden

Der hispanischen Grandezza;

Weiland hieß sie Blanch' de Bourbon,

Doña Blanka heißt sie jetzo.


Pedro wird genannt der König

Mit dem Zusatz der Grausame;

Aber heute, milden Sinnes,

Ist er besser als sein Name.


Unterhält sich gut gelaunt

Mit des Hofes Edelleuten;

Auch den Juden und den Mohren

Sagt er viele Artigkeiten.


Diese Ritter ohne Vorhaut

Sind des Königs Lieblingsschranzen,

Sie befehl'gen seine Heere,

Sie verwalten die Finanzen.
[165]

Aber plötzlich Paukenschläge,

Und es melden die Trompeten,

Daß begonnen hat der Maulkampf,

Der Disput der zwei Athleten.


Der Gardian der Franziskaner

Bricht hervor mit frommem Grimme;

Polternd roh und widrig greinend

Ist abwechselnd seine Stimme.


In des Vaters und des Sohnes

Und des Heil'gen Geistes Namen

Exorzieret er den Rabbi,

Jakobs maledeiten Samen.


Denn bei solchen Kontroversen

Sind oft Teufelchen verborgen

In dem Juden, die mit Scharfsinn,

Witz und Gründen ihn versorgen.


Nun die Teufel ausgetrieben

Durch die Macht des Exorzismus,

Kommt der Mönch auch zur Dogmatik,

Kugelt ab den Katechismus.


Er erzählt, daß in der Gottheit

Drei Personen sind enthalten,

Die jedoch zu einer einz'gen,

Wenn es passend, sich gestalten –


Ein Mysterium, das nur

Von demjen'gen wird verstanden,

Der entsprungen ist dem Kerker

Der Vernunft und ihren Banden.
[166]

Er erzählt: wie Gott der Herr

Ward zu Bethlehem geboren

Von der Jungfrau, welche niemals

Ihre Jungferschaft verloren;


Wie der Herr der Welt gelegen

In der Krippe, und ein Kühlein

Und ein Öchslein bei ihm stunden,

Schier andächtig, zwei Rindviehlein.


Er erzählte: wie der Herr

Vor den Schergen des Herodes

Nach Ägypten floh, und später

Litt die herbe Pein des Todes


Unter Pontio Pilato,

Der das Urteil unterschrieben,

Von den harten Pharisäern,

Von den Juden angetrieben.


Er erzählte: wie der Herr,

Der entstiegen seinem Grabe

Schon am dritten Tag, gen Himmel

Seinen Flug genommen habe;


Wie er aber, wenn es Zeit ist,

Wiederkehren auf die Erde

Und zu Josaphat die Toten

Und Lebend'gen richten werde.


»Zittert, Juden!« rief der Mönch,

»Vor dem Gott, den ihr mit Hieben

Und mit Dornen habt gemartert,

Den ihr in den Tod getrieben.
[167]

Seine Mörder, Volk der Rachsucht,

Juden, das seid ihr gewesen –

Immer meuchelt ihr den Heiland,

Welcher kommt, euch zu erlösen.


Judenvolk, du bist ein Aas,

Worin hausen die Dämonen;

Eure Leiber sind Kasernen

Für des Teufels Legionen.


Thomas von Aquino sagt es,

Den man nennt den großen Ochsen

Der Gelehrsamkeit, er ist

Licht und Lust der Orthodoxen.


Judenvolk, ihr seid Hyänen,

Wölfe, Schakals, die in Gräbern

Wühlen, um der Toten Leichnam'

Blutfraßgierig aufzustöbern.


Juden, Juden, ihr seid Säue,

Paviane, Nashorntiere,

Die man nennt Rhinozerosse,

Krokodile und Vampire.


Ihr seid Raben, Eulen, Uhus,

Fledermäuse, Wiedehöpfe,

Leichenhühner, Basilisken,

Galgenvögel, Nachtgeschöpfe.


Ihr seid Vipern und Blindschleichen,

Klapperschlangen, gift'ge Kröten,

Ottern, Nattern – Christus wird

Eu'r verfluchtes Haupt zertreten.
[168]

Oder wollt ihr, Maledeiten,

Eure armen Seelen retten?

Aus der Bosheit Synagoge

Flüchtet nach den frommen Stätten,


Nach der Liebe lichtem Dome,

Wo im benedeiten Becken

Euch der Quell der Gnade sprudelt –

Drin sollt ihr die Köpfe stecken –


Wascht dort ab den alten Adam

Und die Laster, die ihn schwärzen;

Des verjährten Grolles Schimmel,

Wascht ihn ab von euren Herzen!


Hört ihr nicht des Heilands Stimme?

Euren neuen Namen rief er –

Lauset euch an Christi Brust

Von der Sünde Ungeziefer!


Unser Gott, der ist die Liebe,

Und er gleichet einem Lamme;

Um zu sühnen unsre Schuld,

Starb er an des Kreuzes Stamme.


Unser Gott, der ist die Liebe,

Jesus Christus ist sein Name;

Seine Duldsamkeit und Demut

Suchen wir stets nachzuahmen.


Deshalb sind wir auch so sanft,

So leutselig, ruhig, milde,

Hadern niemals, nach des Lammes,

Des Versöhners, Musterbilde.
[169]

Einst im Himmel werden wir

Ganz verklärt zu frommen Englein,

Und wir wandeln dort gottselig,

In den Händen Lilienstenglein.


Statt der groben Kutten tragen

Wir die reinlichsten Gewänder

Von Muss'lin, Brokat und Seide,

Goldne Troddeln, bunte Bänder.


Keine Glatze mehr! Goldlocken

Flattern dort um unsre Köpfe;

Allerliebste Jungfraun flechten

Uns das Haar in hübsche Zöpfe.


Weinpokale wird es droben

Von viel weiterm Umfang geben,

Als die Becher sind hier unten,

Worin schäumt der Saft der Reben.


Doch im Gegenteil viel enger

Als ein Weibermund hienieden,

Wird das Frauenmündchen sein,

Das dort oben uns beschieden.


Trinkend, küssend, lachend wollen

Wir die Ewigkeit verbringen,

Und verzückt Halleluja,

Kyrie eleison singen.«


Also schloß der Christ. Die Mönchlein

Glaubten schon, Erleuchtung träte

In die Herzen, und sie schleppten

Flink herbei das Taufgeräte.
[170]

Doch die wasserscheuen Juden

Schütteln sich und grinsen schnöde.

Rabbi Juda, der Navarrer,

Hub jetzt an die Gegenrede:


»Um für deine Saat zu düngen

Meines Geistes dürren Acker,

Mit Mistkarren voll Schimpfwörter

Hast du mich beschmissen wacker.


So folgt jeder der Methode,

Dran er nun einmal gewöhnet,

Und anstatt dich drob zu schelten,

Sag ich Dank dir, wohlversöhnet.


Die Dreieinigkeitsdoktrin

Kann für unsre Leut' nicht passen,

Die mit Regula-de-tri

Sich von Jugend auf befassen.


Daß in deinem Gotte drei,

Drei Personen sind enthalten,

Ist bescheiden noch, sechstausend

Götter gab es bei den Alten.


Unbekannt ist mir der Gott,

Den ihr Christum pflegt zu nennen;

Seine Jungfer Mutter gleichfalls

Hab ich nicht die Ehr' zu kennen.


Ich bedaure, daß er einst,

Vor etwa zwölfhundert Jahren,

Ein'ge Unannehmlichkeiten

Zu Jerusalem erfahren.
[171]

Ob die Juden ihn getötet,

Das ist schwer jetzt zu erkunden,

Da ja das Corpus delicti

Schon am dritten Tag verschwunden.


Daß er ein Verwandter sei

Unsres Gottes, ist nicht minder

Zweifelhaft; soviel wir wissen,

Hat der letztre keine Kinder.


Unser Gott ist nicht gestorben

Als ein armes Lämmerschwänzchen

Für die Menschheit, ist kein süßes

Philantröpfchen, Faselhänschen.


Unser Gott ist nicht die Liebe;

Schnäbeln ist nicht seine Sache,

Denn er ist ein Donnergott

Und er ist ein Gott der Rache.


Seines Zornes Blitze treffen

Unerbittlich jeden Sünder,

Und des Vaters Schulden büßen

Oft die späten Enkelkinder.


Unser Gott, der ist lebendig,

Und in seiner Himmelshalle

Existieret er drauflos

Durch die Ewigkeiten alle.


Unser Gott, und der ist auch

Ein gesunder Gott, kein Mythos

Bleich und dünne wie Oblaten

Oder Schatten am Cocytos.
[172]

Unser Gott ist stark. In Händen

Trägt er Sonne, Mond, Gestirne;

Throne brechen, Völker schwinden,

Wenn er runzelt seine Stirne.


Und er ist ein großer Gott.

David singt: Ermessen ließe

Sich die Größe nicht, die Erde

Sei der Schemel seiner Füße.


Unser Gott liebt die Musik,

Saitenspiel und Festgesänge;

Doch wie Ferkelgrunzen sind

Ihm zuwider Glockenklänge.


Leviathan heißt der Fisch,

Welcher haust im Meeresgrunde;

Mit ihm spielet Gott der Herr

Alle Tage eine Stunde –


Ausgenommen an dem neunten

Tag des Monats Ab, wo nämlich

Eingeäschert ward sein Tempel;

An dem Tag ist er zu grämlich.


Des Leviathans Länge ist

Hundert Meilen, hat Floßfedern

Groß wie König Ok von Basan,

Und sein Schwanz ist wie ein Zedern.


Doch sein Fleisch ist delikat,

Delikater als Schildkröten,

Und am Tag der Auferstehung

Wird der Herr zu Tische beten
[173]

Alle frommen Auserwählten,

Die Gerechten und die Weisen –

Unsres Herrgotts Lieblingsfisch

Werden sie alsdann verspeisen,


Teils mit weißer Knoblauchbrühe,

Teils auch braun in Wein gesotten,

Mit Gewürzen und Rosinen,

Ungefähr wie Mateloten.


In der weißen Knoblauchbrühe

Schwimmen kleine Schäbchen Rettich –

So bereitet, Frater Jose,

Mundet dir das Fischlein, wett ich!


Auch die braune ist so lecker,

Nämlich die Rosinensauce,

Sie wird himmlisch wohl behagen

Deinem Bäuchlein, Frater Jose.


Was Gott kocht, ist gut gekocht!

Mönchlein, nimm jetzt meinen Rat an,

Opfre hin die alte Vorhaut

Und erquick dich am Leviathan.«


Also lockend sprach der Rabbi,

Lockend, ködernd, heimlich schmunzelnd,

Und die Juden schwangen schon

Ihre Messer wonnegrunzelnd,


Um als Sieger zu skalpieren

Die verfallenen Vorhäute,

Wahre spolia opima

In dem wunderlichen Streite.
[174]

Doch die Mönche hielten fest

An dem väterlichen Glauben

Und an ihrer Vorhaut, ließen

Sich derselben nicht berauben.


Nach dem Juden sprach aufs neue

Der katholische Bekehrer;

Wieder schimpft er, jedes Wort

Ist ein Nachttopf, und kein leerer.


Darauf repliziert der Rabbi

Mit zurückgehaltnem Eifer;

Wie sein Herz auch überkocht,

Doch verschluckt er seinen Geifer.


Er beruft sich auf die Mischna,

Kommentare und Traktate;

Bringt auch aus dem Tausves-Jontof

Viel beweisende Zitate.


Aber welche Blasphemie

Mußt er von dem Mönche hören!

Dieser sprach: der Tausves-Jontof

Möge sich zum Teufel scheren.


»Da hört alles auf, o Gott!«

Kreischt der Rabbi jetzt entsetzlich;

Und es reißt ihm die Geduld,

Rappelköpfig wird er plötzlich.


»Gilt nichts mehr der Tausves-Jontof,

Was soll gelten? Zeter! Zeter!

Räche, Herr, die Missetat,

Strafe, Herr, den Übeltäter!
[175]

Denn der Tausves-Jontof, Gott,

Das bist du! Und an dem frechen

Tausves-Jontof-Leugner mußt du

Deines Namens Ehre rächen.


Laß den Abgrund ihn verschlingen,

Wie des Korah böse Rotte,

Die sich wider dich empört

Durch Emeute und Komplotte.


Donnre deinen besten Donner!

Strafe, o mein Gott, den Frevel –

Hattest du doch zu Sodoma

Und Gomorrha Pech und Schwefel!


Treffe, Herr, die Kapuziner,

Wie du Pharaon getroffen,

Der uns nachgesetzt, als wir

Wohlbepackt davongeloffen.


Hunderttausend Ritter folgten

Diesem König von Mizrayim,

Stahlbepanzert, blanke Schwerter

In den schrecklichen Jadayim.


Gott! da hast du ausgestreckt

Deine Jad, und samt dem Heere

Ward ertränkt, wie junge Katzen,

Pharao im Roten Meere.


Treffe, Herr, die Kapuziner,

Zeige den infamen Schuften,

Daß die Blitze deines Zorns

Nicht verrauchten und verpufften.
[176]

Deines Sieges Ruhm und Preis

Will ich singen dann und sagen,

Und dabei, wie Mirjam tat,

Tanzen und die Pauke schlagen.«


In die Rede grimmig fiel

Jetzt der Mönch dem Zornentflammten:

»Mag dich selbst der Herr verderben,

Dich Verfluchten und Verdammten!


Trotzen kann ich deinen Teufeln,

Deinem schmutz'gen Fliegengotte,

Luzifer und Beelzebube,

Belial und Astarothe.


Trotzen kann ich deinen Geistern,

Deinen dunkeln Höllenpossen,

Denn in mir ist Jesus Christus,

Habe seinen Leib genossen.


Christus ist mein Leibgericht,

Schmeckt viel besser als Leviathan

Mit der weißen Knoblauchsauce,

Die vielleicht gekocht der Satan.


Ach! anstatt zu disputieren,

Lieber möcht ich schmoren, braten

Auf dem wärmsten Scheiterhaufen

Dich und deine Kameraden.«


Also tost in Schimpf und Ernst

Das Turnei für Gott und Glauben,

Doch die Kämpen ganz vergeblich

Kreischen, schelten, wüten, schnauben.
[177]

Schon zwölf Stunden währt der Kampf,

Dem kein End' ist abzuschauen;

Müde wird das Publikum,

Und es schwitzen stark die Frauen.


Auch der Hof wird ungeduldig,

Manche Zofe gähnt ein wenig.

Zu der schönen Königin

Wendet fragend sich der König:


»Sagt mir, was ist Eure Meinung?

Wer hat recht von diesen beiden?

Wollt Ihr für den Rabbi Euch

Oder für den Mönch entscheiden?«


Doña Blanka schaut ihn an,

Und wie sinnend ihre Hände

Mit verschränkten Fingern drückt sie

An die Stirn und spricht am Ende:


»Welcher recht hat, weiß ich nicht –

Doch es will mich schier bedünken,

Daß der Rabbi und der Mönch,

Daß sie alle beide stinken.«
[178]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 163-179.
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