Himmelsbräute

[41] Wer dem Kloster geht vorbei

Mitternächtlich, sieht die Fenster

Hell erleuchtet. Ihren Umgang

Halten dorten die Gespenster.


Eine düstre Prozession

Toter Ursulinerinnen;

Junge, hübsche Angesichter

Lauschen aus Kapuz' und Linnen.


Tragen Kerzen in der Hand,

Die unheimlich blutrot schimmern;

Seltsam widerhallt im Kreuzgang

Ein Gewisper und ein Wimmern.


Nach der Kirche geht der Zug,

Und sie setzen dort sich nieder

Auf des Chores Buchsbaumstühle

Und beginnen ihre Lieder.


Litaneienfromme Weisen,

Aber wahnsinnwüste Worte;

Arme Seelen sind es, welche

Pochen an des Himmels Pforte.
[41]

»Bräute Christi waren wir,

Doch die Weltlust uns betörte,

Und da gaben wir dem Cäsar,

Was dem lieben Gott gehörte.


Reizend ist die Uniform

Und des Schnurrbarts Glanz und Glätte;

Doch verlockend sind am meisten

Cäsars goldne Epaulette.


Ach, der Stirne, welche trug

Eine Dornenkrone weiland,

Gaben wir ein Hirschgeweihe –

Wir betrogen unsern Heiland.


Jesus, der die Güte selbst,

Weinte sanft ob unsrer Fehle,

Und er sprach: ›Vermaledeit

Und verdammt sei eure Seele!‹


Grabenstiegner Spuk der Nacht,

Müssen büßend wir nunmehre

Irregehn in diesen Mauern –

Miserere! Miserere!


Ach, im Grabe ist es gut,

Ob es gleich viel besser wäre

In dem warmen Himmelreiche –

Miserere! Miserere!


Süßer Jesus, o vergib

Endlich uns die Schuld, die schwere,

Schließ uns auf den warmen Himmel –

Miserere! Miserere!«
[42]

Also singt die Nonnenschar,

Und ein längst verstorbner Küster

Spielt die Orgel. Schattenhände

Stürmen toll durch die Register.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 41-43.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Romanzero
Romanzero
Romanzero
Romanzero (Dodo Press)
Romanzero
Romanzero

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon