Der schlimmste Feind

[270] Dies Volk, das seine Bäume wieder

Bis in den Himmel wachsen sieht

Und auf der Erde platt und bieder

Am Knechtschaftskarren weiter zieht;


Dies Volk, das auf die Weisheit dessen

Vertraut, der Roß und Reiter hält,

Und mit Ergebenheitsadressen

Frisch, fromm und fröhlich rückt ins Feld;


Dies Volk, das einst aus Cäsars Schüssel

Und Becher sich so gern erfrischt

Und sich, wie Mommsen, seinen Rüssel

An Cäsars Tischtuch abgewischt;


Dies Volk, das gegen Blut und Eisen

Jungfräulich schüchtern sich geziert,

Um schließlich den Erfolg zu preisen,

Womit man Straßburg bombardiert.


Dies Volk, das im gemeinen Kitzel

Der Macht das neue Heil erblickt

Und als »Erzieher« seine Spitzel

Den unterjochten »Brüdern« schickt.
[270]

Die Alten, Lieben, Wohlbekannten

Von Anno Sechsundsechzig her,

Schafott- und Bundesbeil-Votanten,

Sie schüfen Deutschland? – Nimmermehr!


Sie werden mit verschmitzten Händen

Entreißen euch des Sieges Frucht;

Sie werden euren Lorbeer schänden,

Daß euch die ganze Welt verflucht!


Frankreichs gekrönter Possenreißer

Wird nach Paris zurückgebracht;

Euch holt man einen Heldenkaiser

Aus mittelalterlicher Nacht.


Das Blut von Wörth, das Blut von Spichern,

Von Mars-la-Tour und Gravelotte,

Einheit und Freiheit sollt es sichern –

Einheit und Freiheit? Großer Gott!


Ein Amboß unter einem Hammer,

Geeinigt wird Alt-Deutschland stehn;

Dem Rausche folgt ein Katzenjammer,

Daß euch die Augen übergehn.


Mit patriotischem Ergötzen

Habt ihr Viktoria geknallt;

Der Rest ist Schweigen oder Lötzen,

Kriegsidiotentum, Gewalt.


Es wird die Fuchtel mit der Knute

Die Heilige Allianz erneun;

Europa kann am Übermute

Siegreicher Junker sich erfreun.
[271]

Gleich Kindern laßt ihr euch betrügen,

Bis ihr zu spät erkennt, o weh! –

Die Wacht am Rhein wird nicht genügen,

Der schlimmste Feind steht an der Spree.


Quelle:
Herweghs Werke. Berlin und Weimar 1967, S. 270-272.
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