Waldliebe

[249] Seht den Schuft am Waldessaum

Mit gewandten Schritten fliegend,

Den geraubten Föhrenbaum

Auf der jungen Schulter wiegend!

Hat die Axt, die er gestohlen,

Vornen in den Stamm geschwungen,

Weit noch hinter seinen Sohlen

Kommt der Wipfel nachgesprungen.

Wie er heimlich lacht und singt,

Daß sein Herz im Leibe springt!


Und die Dirne kommt daher

Mit gestohlnen Birkenruten;

Von der Arbeit, lang und schwer,

Stehn die Wangen ihr in Gluten.[249]

Und der Bursche wirft die Föhre

Wie 'ne Feder in den Graben,

Reißt die Dirne nach, ich schwöre,

Daß die was zusammen haben!


Wo ein kleiner Freudenquell

Tief im Eschengrunde fließet

Und die Silberadern hell

Durch das samtne Moos ergießet,

Wirft der schlanke Dieb sich nieder

Mit der Dirn im braunen Arm,

Löst ihr hastig Tuch und Mieder,

Und er flüstert liebewarm,

Daß sein glühend Herz erklingt,

Wie die Nuß im Feuer singt:


»Schätzchen, o du kommst mir just,

Daß ich meine Schätze grabe,

Wieder einmal meine Lust

Am verborgnen Reichtum habe!

Daß ich prüfe die Juwele:

Deine Äugelein voll Feuer!

Daß ich meine Perlen zähle,

Deine Zähne blank und teuer!


Zeig mir der Korallen Schein

An dem frischen, süßen Munde,

Gib mir schnell mein Elfenbein,

All das feingedrehte runde!

Gib mir meine Silberberge,

Die mich weiß und selig blenden,

Drin die tausend Liebeszwerge

Pochen mit den kleinen Händen!«

Wie ein Has im Kohle springt

Ihm das Herz und singt und klingt!
[250]

»Laß mich wägen all mein Gold:

Deines Haares schwere Güsse!

Laß mich zählen meinen Sold:

Zähle mir ein Hundert Küsse

Blank und bar auf meine Lippen,

Weil uns kein Verräter lauschet!

Laß mich von dem Weine nippen,

Der mich armen Schelm berauschet!


Nun verhüll die Herrlichkeit

Mit den Lumpen, mit den Fetzen,

Daß kein Auge, ungeweiht,

Spähen kann nach meinen Schätzen!

Dieses Tuch um deine Haare

Dreimal, viermal sorglich winde,

Daß die goldne Schimmerware

Ja kein Strahl der Sonne finde!«


Und die Dirne ist davon

Durch den dunklen Wald gesprungen;

Wieder hat der Bursche schon

Seine Föhre aufgeschwungen.

Wie ihn schnell die Beine tragen

Mit dem schwanken, langen Raube!

Einen grünen Siegeswagen,

Schleift die Krone er im Staube.

Und vor innerm Lachen springt

Ihm das Herz und singt und klingt!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 249-251.
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