[117] (1836.)
Zuweilen kehrt vor meinen Geist zurück
Dein Bild, Aspasia. Mag es flüchtig mir
Vorüberblitzen im Gewühl der Stadt
Aus andern Zügen; mag im öden Feld
Am heitern Tag, im Glanz der stummen Sterne,
Gleichsam erweckt von sanfter Harmonie,
Mir in der Seele, die noch leicht erschrickt,
Dies stolze Traumbild plötzlich auferstehn.
Wie angebetet einst, ihr Götter, wie
Mir Wonn' und Fluch zugleich! Und nie umwehen
Die Düfte mich von blumenreicher Flur,
Noch aus den Gärten in der Städte Mitten,
Daß ich des Tags nicht denke, wo ich dich
In deinen lieblichen Gemächern fand,
Durchduftet alle von den frischen Blüten
Des Frühlings, wo gekleidet in die Farbe
Des dunklen Veilchens deine himmlische
Gestalt erschien, nachlässig hingeschmiegt
Auf glänzende Polster, von geheimer Wollust
Rings überhaucht; indeß du, ausgelernte
Verführerin, inbrünstig glüh'nde Küsse
Auf deiner Kinder sanftgeschwellte Mündchen
Laut schallend drücktest, deinen schneeigen Nacken
Vorbiegend und die arglos junge Brut
An den verhüllten, ach, ersehnten Busen
Zogst mit der wunderschönen Hand. Da schienen
Mir Erd' und Himmel neu, und fast ein Strahl
Der Gottheit glänzt' in mir. Da traf, beschwingt
Von deiner Hand, die Brust, die wohlbewehrt schien,
Mit Macht der Pfeil, den unentreißbar fest[118]
Ich stöhnend trug, bis sich zum zweiten Mal
Im Lauf der Sonne jährte jener Tag.
Ein Strahl der Gottheit selbst erschien mir damals,
Weib, deine Schöne. Gleiche Zaubermacht
Übt Schönheit, wie Musik, die uns so oft
Von unbekannten Paradiesen hehres
Geheimniß zu enthüllen scheint. Dann hätschelt
Der tiefgetroffne Sterbliche das Kind
Der eignen Seele, das geliebte Urbild,
Den Inbegriff der ew'gen Himmelswonne,
Ganz an Gesicht, Geberde, Stimm' und Rede
Dem irdischen Weibe gleich, das zu ersehnen
In seinem Taumel wähnt der Liebende.
Und doch nicht dieses, jenes nur, das Urbild
Liebt und ersehnt er selbst im Rausch der Sinne.
Doch endlich wird er inne seines Wahns
Und der Verwechslung, zürnt dann und beschuldigt
Gar ungerecht das Weib. Es schwingt zur Höhe
Des Ideals sich selten nur ihr Geist,
Und was hochsinnig Liebenden sie einflößt
Durch ihren eignen Reiz, ahnt und versteht
Sie selber nicht. Nicht fasst so herrliche
Gedanken diese enge Stirn; und thöricht
Hofft – oder fordert gar – vom hellen Funkeln
Verführerischer Augen der Betrogne
Den tiefen, unergründlichen und mehr
Als männlich reifen Geist von Denen, die
Dem Mann in Allem nachstehn. Ihnen ward
Mit zartern, weichern Gliedern auch ein Geist
Von mindrer Fähigkeit und mindrer Kraft.
Auch du, Aspasia, was du selber einst
Mir in die Seele flößtest, nimmermehr
Hast du es ahnen können, nie erfuhrst du,[119]
Wie grenzenlose Glut, wie tiefe Qual,
Wie unaussprechlich wilden Sturm und Wahnsinn
Du in mir aufgewühlt; und niemals kommt
Der Tag, wo du's begreifst. So weiß auch nicht
Wer die Gewalt der Töne fluten läßt,
Was er mit Stimm' und Hand heraufbeschwört
In seinem Hörer. Die Aspasia, die ich
So heiß geliebt, ist todt. Es schläft für immer,
Was einst Ziel meines Lebens war. Nur manchmal,
Nur wie ein theurer Schatten pflegt sie noch
Zu kommen und zu schwinden. Doch du lebst,
Nicht bloß noch immer schön, so schön sogar,
Daß, däucht mir, alle Frau'n du überstrahlst.
Doch jene Glut, die du geweckt, erlosch;
Denn nicht dich selber: jene Göttin liebt' ich,
Der diese Brust einst Tempel war, nun Grab.
Für Jene glüht' ich lang, so ganz beseligt
Von ihrem Himmelsreiz, daß ich, obwohl
Von allem Anfang was du warst und bist
Durchschauend, deine Künst' und Listen alle,
Doch ihren holden Blick in deinem suchte
Und, weil sie lebte, dir begierig folgte,
Nicht mehr betrogen, nur noch von dem Reiz
Der zauberischen Ähnlichkeit verlockt,
Die lange, herbe Knechtschaft zu ertragen.
Nun rühme dich; du kannst es! Nun erzähle,
Daß dir allein von deinen Schwestern ich
Den stolzen Nacken bog, freiwillig antrug
Dies unbezähmte Herz. Erzähle nun,
Daß du die Erst' – und sicherlich die Letzte –
Mein Auge flehen sahst und dir genüber
Mich scheu und zitternd (da ich's sage, glüh' ich
In Grimm und Scham), mich meiner selbst beraubt,[120]
Wunsch, Wort und Wink von dir in schrankenloser
Ergebenheit erspähn, bei deinen stolzen
Launen erblassen, beim geringsten Zeichen
Der Huld erglühn, bei jedem deiner Blicke
Haltung und Farbe wechseln. Die Bezaubrung
Ist hin, mit ihr zerfiel in Trümmer auch
Das schnöde Joch, und ich frohlocke. Mögen
Die Tage leer sein: dennoch, nach der Knechtschaft
Und langem Wahn – wie froh umarm' ich jetzt
Vernunft und Freiheit! Gleicht auch dieses Leben,
Von Leidenschaft und holdem Irrthum frei,
Der sternenlosen Nacht in Wintersmitte:
Doch gnügt es mir als Trost und Rache für
Mein herbes Menschenloos, daß hier im Grase
Ich müßig, unbeweglich hingestreckt,
Luft, Erd' und Meer betrachten kann und lächeln.
Ausgewählte Ausgaben von
Gesänge
|
Buchempfehlung
Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.
158 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro