XXIX. Aspasia.

[117] (1836.)


Zuweilen kehrt vor meinen Geist zurück

Dein Bild, Aspasia. Mag es flüchtig mir

Vorüberblitzen im Gewühl der Stadt

Aus andern Zügen; mag im öden Feld

Am heitern Tag, im Glanz der stummen Sterne,

Gleichsam erweckt von sanfter Harmonie,

Mir in der Seele, die noch leicht erschrickt,

Dies stolze Traumbild plötzlich auferstehn.

Wie angebetet einst, ihr Götter, wie

Mir Wonn' und Fluch zugleich! Und nie umwehen

Die Düfte mich von blumenreicher Flur,

Noch aus den Gärten in der Städte Mitten,

Daß ich des Tags nicht denke, wo ich dich

In deinen lieblichen Gemächern fand,

Durchduftet alle von den frischen Blüten

Des Frühlings, wo gekleidet in die Farbe

Des dunklen Veilchens deine himmlische

Gestalt erschien, nachlässig hingeschmiegt

Auf glänzende Polster, von geheimer Wollust

Rings überhaucht; indeß du, ausgelernte

Verführerin, inbrünstig glüh'nde Küsse

Auf deiner Kinder sanftgeschwellte Mündchen

Laut schallend drücktest, deinen schneeigen Nacken

Vorbiegend und die arglos junge Brut

An den verhüllten, ach, ersehnten Busen

Zogst mit der wunderschönen Hand. Da schienen

Mir Erd' und Himmel neu, und fast ein Strahl

Der Gottheit glänzt' in mir. Da traf, beschwingt

Von deiner Hand, die Brust, die wohlbewehrt schien,

Mit Macht der Pfeil, den unentreißbar fest[118]

Ich stöhnend trug, bis sich zum zweiten Mal

Im Lauf der Sonne jährte jener Tag.


Ein Strahl der Gottheit selbst erschien mir damals,

Weib, deine Schöne. Gleiche Zaubermacht

Übt Schönheit, wie Musik, die uns so oft

Von unbekannten Paradiesen hehres

Geheimniß zu enthüllen scheint. Dann hätschelt

Der tiefgetroffne Sterbliche das Kind

Der eignen Seele, das geliebte Urbild,

Den Inbegriff der ew'gen Himmelswonne,

Ganz an Gesicht, Geberde, Stimm' und Rede

Dem irdischen Weibe gleich, das zu ersehnen

In seinem Taumel wähnt der Liebende.

Und doch nicht dieses, jenes nur, das Urbild

Liebt und ersehnt er selbst im Rausch der Sinne.

Doch endlich wird er inne seines Wahns

Und der Verwechslung, zürnt dann und beschuldigt

Gar ungerecht das Weib. Es schwingt zur Höhe

Des Ideals sich selten nur ihr Geist,

Und was hochsinnig Liebenden sie einflößt

Durch ihren eignen Reiz, ahnt und versteht

Sie selber nicht. Nicht fasst so herrliche

Gedanken diese enge Stirn; und thöricht

Hofft – oder fordert gar – vom hellen Funkeln

Verführerischer Augen der Betrogne

Den tiefen, unergründlichen und mehr

Als männlich reifen Geist von Denen, die

Dem Mann in Allem nachstehn. Ihnen ward

Mit zartern, weichern Gliedern auch ein Geist

Von mindrer Fähigkeit und mindrer Kraft.


Auch du, Aspasia, was du selber einst

Mir in die Seele flößtest, nimmermehr

Hast du es ahnen können, nie erfuhrst du,[119]

Wie grenzenlose Glut, wie tiefe Qual,

Wie unaussprechlich wilden Sturm und Wahnsinn

Du in mir aufgewühlt; und niemals kommt

Der Tag, wo du's begreifst. So weiß auch nicht

Wer die Gewalt der Töne fluten läßt,

Was er mit Stimm' und Hand heraufbeschwört

In seinem Hörer. Die Aspasia, die ich

So heiß geliebt, ist todt. Es schläft für immer,

Was einst Ziel meines Lebens war. Nur manchmal,

Nur wie ein theurer Schatten pflegt sie noch

Zu kommen und zu schwinden. Doch du lebst,

Nicht bloß noch immer schön, so schön sogar,

Daß, däucht mir, alle Frau'n du überstrahlst.

Doch jene Glut, die du geweckt, erlosch;

Denn nicht dich selber: jene Göttin liebt' ich,

Der diese Brust einst Tempel war, nun Grab.

Für Jene glüht' ich lang, so ganz beseligt

Von ihrem Himmelsreiz, daß ich, obwohl

Von allem Anfang was du warst und bist

Durchschauend, deine Künst' und Listen alle,

Doch ihren holden Blick in deinem suchte

Und, weil sie lebte, dir begierig folgte,

Nicht mehr betrogen, nur noch von dem Reiz

Der zauberischen Ähnlichkeit verlockt,

Die lange, herbe Knechtschaft zu ertragen.


Nun rühme dich; du kannst es! Nun erzähle,

Daß dir allein von deinen Schwestern ich

Den stolzen Nacken bog, freiwillig antrug

Dies unbezähmte Herz. Erzähle nun,

Daß du die Erst' – und sicherlich die Letzte –

Mein Auge flehen sahst und dir genüber

Mich scheu und zitternd (da ich's sage, glüh' ich

In Grimm und Scham), mich meiner selbst beraubt,[120]

Wunsch, Wort und Wink von dir in schrankenloser

Ergebenheit erspähn, bei deinen stolzen

Launen erblassen, beim geringsten Zeichen

Der Huld erglühn, bei jedem deiner Blicke

Haltung und Farbe wechseln. Die Bezaubrung

Ist hin, mit ihr zerfiel in Trümmer auch

Das schnöde Joch, und ich frohlocke. Mögen

Die Tage leer sein: dennoch, nach der Knechtschaft

Und langem Wahn – wie froh umarm' ich jetzt

Vernunft und Freiheit! Gleicht auch dieses Leben,

Von Leidenschaft und holdem Irrthum frei,

Der sternenlosen Nacht in Wintersmitte:

Doch gnügt es mir als Trost und Rache für

Mein herbes Menschenloos, daß hier im Grase

Ich müßig, unbeweglich hingestreckt,

Luft, Erd' und Meer betrachten kann und lächeln.

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 117-121.
Lizenz:
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