Anti-Goeze
Erster
(Gott gebe, letzter!)

(S. 71tes Stück der freiwill. Beiträge)


Multa sunt sic digna revinci, ne gravitate adorentur.

Tertullianus


Lieber Herr Pastor,


Poltern Sie doch nicht so in den Tag hinein: ich bitte Sie. – Ich gehe ungern daran, daß ich meiner Absage schon bald nachleben muß. Aber Sie glaubten wohl sonst, es sei mein Ernst nicht.

Sehen Sie also, welchen Plan zu meiner Fehde gegen Sie, ich hiermit anlege. Auch schließen Sie auf den Ton aus dem Lemma des Tertullian, und den fernern Worten, die bei ihm folgen. Überschreien können Sie mich alle acht Tage: Sie wissen, wo. Überschreiben sollen Sie mich gewiß nicht.

Gott weiß es, ich habe nichts dagegen, daß Sie und alle Schulrectores in Niedersachsen gegen meinen Ungenannten zu Felde ziehen. Vielmehr freue ich mich darüber; denn eben darum zog ich ihn an das Licht, damit ihn recht viele prüfen, recht viele widerlegen könnten. Ich hoffe auch, er wird noch Zeit genug unter die rechten Hände kommen, unter welchen er mir noch nicht zu sein scheinet: und so dann glaube ich wirklich der christlichen Religion durch seine Bekanntmachung einen größern Dienst erwiesen zu haben, als Sie, mit allen Ihren Postillen und Zeitungen.[160]

Wie? weil ich der christlichen Religion mehr zutraue, als Sie, soll ich ein Feind der christlichen Religion sein? Weil ich das Gift, das im Finstern schleichet, dem Gesundheitsrate anzeige, soll ich die Pest in das Land gebracht haben? Denn kurz, Herr Pastor – Sie irren sich sehr, wenn Sie glauben, daß der Ungenannte ganz aus der Welt geblieben wäre, wenn ich ihm nicht herein geholfen hätte. Vernehmen Sie, daß das Buch ganz existieret, und bereits in mehrern Abschriften existieret, wovon, ich weiß nicht wie, nur Fragmente des ersten Entwurfs, sich in die Bibliothek verlaufen haben, die ich der Welt freilich nutzbarer hätte machen können, wenn ich alle darin befindlichen plattdeutsche Bibeln von Wort zu Wort für Sie konferieret hätte.

Versichern Sie indes nicht selbst, daß diese leidigen Fragmente schon ein Paar Werke hervorgebracht haben, deren Nutzen den besorglichen Schaden derselben unendlich überwiege? Und ich, ich, der ich die causa sine qua non dieser vortrefflichen Werke bin, sollte desfalls ein Reichshofratsconclusum zu besorgen haben? Vielmehr verspreche ich mir eine Belohnung von dem Reichshofrate, so bald es nicht bloß die traurige Pflicht des Reichshofrats sein wird, Unrecht zu steuern, und böse Handlungen zu ahnden, – so bald aufgeklärtere tugendhaftere Zeiten, wie wir unter einem Joseph II. sie uns immer mehr und mehr versprechen dürfen, auch dem Reichshofrate Muße und Stoff geben werden, verborgene Tugend aufzusuchen, und gute Taten zu belohnen. Bis dahin hat es wenigstens keine Not, daß nur Einer in den ersten Gerichten des Reichs sein sollte, der so dächte – wie Goeze.

Schön, vortrefflich, ganz in Luthers Geiste, ist es von diesem Lutherschen Pastor gedacht, daß er den Reichshofrat zu einem Schritte gern verhetzen möchte, der, vor zweihundert und fünfzig Jahren mit Ernst getan, uns um alle Reformation gebracht hätte! Was hatte Luther für Rechte, die nicht noch jeder Doctor der Theologie hat? Wenn es itzt keinem Doctor der Theologie erlaubt sein soll, die Bibel aufs neue und so zu übersetzen, wie er es vor Gott und seinem Gewissen verantworten kann: so war es auch Luthern nicht erlaubt. Ich setze hinzu: so war es Luthern noch weniger erlaubt. Denn Luther, als er die Bibel zu übersetzen unternahm, arbeitete eigenmächtig gegen eine von der Kirche[161] angenommene Wahrheit: nämlich gegen die, daß es besser sei, wenn die Bibel von dem gemeinen Manne in seiner Sprache nicht gelesen werde. Den Ungrund dieses von seiner Kirche für wahr angenommenen Satzes mußte er erst erweisen; er mußte die Wahrheit des Gegensatzes erst erfechten; er mußte sie als schon erfochten voraussetzen: ehe er sich an seine Übersetzung machen konnte. Das alles braucht ein itziger protestantischer Übersetzer nicht; die Hände sind ihm durch seine Kirche weniger gebunden, die es für einen Grundsatz annimmt, daß der gemeine Mann die Bibel in seiner Sprache lesen dürfe, lesen müsse, nicht genug lesen könne. Er tut also etwas, was ihm niemand streitig macht, daß er es tun könne: anstatt daß Luther etwas tat, wobei es noch sehr streitig war, ob er es tun dürfe. – Das ist ja sonnenklar. – Kurz, Bahrdtens, oder eines andern Itztlebenden, Übersetzung verdammen, heißt der Lutherschen Übersetzung den Prozeß machen; wenn jene auch noch so sehr von dieser abgehen. Luthers Übersetzung ging von den damals angenommenen Übersetzungen auch ab; und mehr oder weniger, darauf kömmt nichts an.

Der wahre Lutheraner will nicht bei Luthers Schriften, er will bei Luthers Geiste geschützt sein; und Luthers Geist erfodert schlechterdings, daß man keinen Menschen, in der Erkenntnis der Wahrheit nach seinem eigenen Gutdünken fortzugehen, hindern muß. Aber man hindert alle daran, wenn man auch nur Einem verbieten will, seinen Fortgang in der Erkenntnis andern mitzuteilen. Denn ohne diese Mitteilung im Einzeln, ist kein Fortgang im Ganzen möglich.

Herr Pastor, wenn Sie es dahin bringen, daß unsere Lutherschen Pastores unsere Päbste werden; – daß diese uns vorschreiben können, wo wir aufhören sollen, in der Schrift zu forschen; – daß diese unserm Forschen, der Mitteilung unsers Erforschten, Schranken setzen dürfen: so bin ich der erste, der die Päbstchen wieder mit dem Pabste vertauscht. – Hoffentlich werden mehrere so entschlossen denken, wenn gleich nicht viele so entschlossen reden dürften. Und nun, Herr Pastor, arbeiten Sie nur darauf los, so viele Protestanten, als möglich wieder in den Schoß der Katholischen Kirche zu scheuchen. So ein Lutherscher Eifrer ist den Katholiken schon recht. Sie sind ein Politicus wie ein Theolog. –[162]

Das eine der vortrefflichen Werke, die ohne Mich in des Nichts unfruchtbaren Lenden geblieben wären, sind die Unterredungen meines Nachbars, dessen gutem Willen ich bereits in meiner Duplik alle mögliche Gerechtigkeit erwiesen habe. Sie wissen nun ohne Zweifel, Herr Pastor, daß damals, als Sie mich auffoderten, auf diese Unterredungen zu antworten, ich bereits darauf geantwortet hatte. Die Reihe zu reden, ist nun an Ihnen; und es soll mich verlangen, wie weit es Ihre Exegetik treiben wird, das Wort GOttes in den Augen vernünftiger Menschen lächerlich zu machen. Es soll mich verlangen, aus welchen Gründen, mit welcher Stirne, Sie die unverdauten Einfälle eines vermutlichen Laien, wie mein Nachbar ist, den weit bessern Antworten vorziehen werden, die auf die Einwürfe meines Ungenannten schon vorhanden waren.-

Das zweite dieser Werke ist des Herrn Mascho Verteidigung der christlichen Religion: oder, wie ich lieber sagen möchte, die Verteidigung der christlichen Religion des Herrn Mascho. Denn wahrlich die Verteidigung ist nicht so sehr sein eigen, als die Religion, die er verteidiget. Und was? diese hätten Sie gelesen gehabt, Herr Pastor, ganz gelesen gehabt, als Sie das 71stemal dieses Jahr in Ihr Horn stießen? – Ja?

So kann es denn das Publikum nicht zeitig genug erfahren, wie mancherlei Maß und Gewichte Goeze und Compagnie in Hamburg haben!

Es tut mir leid, daß ich dieses sonst gute Haus so blamieren muß. Aber warum braucht es auch sein richtiges volles Gewicht nicht wenigstens gegen seine alten Freunde? Warum will es mit seinem richtigen vollen Gewichte sich nur erst Freunde machen, aber nicht erhalten?

Armer Mascho, lassen Sie den neidischen Mann, der alle Handlungen einzig in seine Kanäle lenken will, nur erst mit mir fertig sein. Er wird Sie schon auch nach Hause leuchten. Itzt tut er mit Fleiß, als ob er nicht merkte, auf welcher Seite Sie hinken. Er braucht Hülfe: Tros Rutulusue fuat – Seine Partie muß sich wenigstens in den Zeitungen immer vergrößern. Aber warten Sie nur!

Doch ist es nicht unschicklich, in einem Briefe einen andern anzureden, als den, an welchen der Brief gestellet ist? Ich wende[163] mich also wieder zu Ihnen, Herr Pastor, und frage Sie nochmals: haben Sie des Herrn Mascho Verteidigung, welche Sie so rühmen, wirklich gelesen?

Wirklich? – Nun so ist es erwiesen, Herr Pastor, was ich Ihnen Schuld gebe. Sie haben mancherlei Maß und Gewicht, welches dem Herrn ein Greuel ist. Mit einem andern bevorteilen Sie mich: mit einem andern bedienen Sie den Herrn Mascho. Wovor Sie bei mir andere warnen, das preisen Sie bei ihm andern an. Die nämlichen Species, die Sie nach meiner Verschreibung als gefährlich und tödlich nicht administrieren wollen, verkaufen Sie auf sein Recipe, in der nämlichen Quantität, oder in einer noch bedenklichern, als höchst unschuldig und heilsam.

Oder das Ding, Herr Pastor, in Ihrer sinnreichen Metapher des strohernen Schildes auszudrücken: Herr Mascho streitet schlechterdings unter dem nämlichen strohernen Schilde, mit welchem Sie mich der Welt so lächerlich und verdächtig gemacht haben. Wie kömmt es denn, daß dieses stroherne Schild nur an meinem Arme schlimmer als keines ist? an seinem aber für eine gar hübsche taugliche Waffe passieren muß?

Nämlich: behauptet nicht auch Herr Mascho, (S. 10) daß die Bibel zwar eine Offenbarung enthält, aber keine ist?

Unterscheidet nicht auch Herr Mascho (S. 249) den Buchstaben von dem Geiste der Bibel?

Lehret nicht auch Herr Mascho, (S. 202) daß die Religion eher gewesen, als die Bibel?

Und sind denn das nicht die drei Sätze, um welche der Herr Pastor den Tanz mit mir angefangen?

Sie können nicht sagen, Herr Pastor, daß Sie diese Sätze bei ihm nicht gefunden. Denn sie stehen nicht allein mit deutlichen Worten da: sondern alles, alles, was Herr Mascho sagt, bezieht sich, gründet sich darauf.

Ja noch mehr: eben diese Sätze, die ich für bloße Betrachtungen gebe, mit welchen sich diejenigen beruhigen können, die sich an dem Christentume ohne Theologie begnügen wollen, oder begnügen müssen; eben diese Sätze macht Herr Mascho zu Grundsätzen, nicht des Christentums, sondern der Theologie.

Denn das ganze System von Inspiration, welches Sie annehmen, Herr Pastor; in dessen Geiste Sie die uns gemeinschaftlichen,[164] aber nicht zu einerlei Absicht gemeinschaftlichen Sätze, bei mir anfeindeten: was ist es dem Herrn Mascho? – Was es mir bei weiten noch nicht ist.

Es ist ihm eben das, was meinen Ungenannten in den Naturalismus gestürzt hat. Es ist ihm das, was jeden nicht besser organisierten Kopf, als meinem Ungenannten zu Teil geworden war, in den Naturalismus notwendig stürzen muß. Das ist es ihm; das ist es ihm auf allen Blättern.1

Und nun, Herr Pastor, sein Sie auf Ihrer Hut! Ich warne Sie auf den Wink des Herrn Mascho. Ehe Sie es sich versehen, liegen Sie, nach dem Herrn Mascho, in eben dem Abgrunde, in welchem mein Ungenannter nun jammert: und dann ist keine Hülfe für Sie, als entweder da zu verzweifeln, oder mit eins alle den Plunder aufzugeben, der noch vor 50 bis 60 Jahren in unsern Lehrbüchern Religion hieß2, und alle die schönen Siebensachen dafür anzunehmen, die man seit dieser Zeit in der Religion erfunden hat, und noch täglich erfindet.3

So gar werden Sie gezwungen sein, solcher schönen Siebensachen nicht wenige anzunehmen, die Herr Mascho selbst, unter Ihren Augen erfindet. Er hat bereits Dinge in seinem Körbchen, die jedem guten Alltagschristen völlig fremd und unerhört sind. Über gewisse jüdische Ideen, die wir sehr unrecht ganz vergessen haben4; über das große Pfingstwunder5; über – was weiß ich!

Und o, welch neues Unglück drohet dem Hamburgischen Katechismus wieder in Hamburg selbst! Denn Herr Mascho ist mit nichts weniger zufrieden, als mit unsern bisherigen Religionsunterrichten, deren notwendige Berichtigung und Verbesserung er aus den leidigen Fragmenten meines Ungenannten erst recht erkannt hat. Seine, seine Ideen müssen vor allen Dingen in unsere Katechismen: oder es geht nimmermehr gut!6[165]

Wie, Herr Pastor? das wollten Sie gestatten? Als unserm guten Freunde Alberti ehedem so etwas beifiel: wem hat es die Hamburgische Kirche zu danken, daß er nicht damit durchdrang, als Ihnen? Und nun sollte Herr Mascho damit durchdringen, indem Ihre ganze Aufmerksamkeit, Ihr ganzer Eifer nur auf mich gerichtet ist?

Erkennen Sie doch die Diversion, die man Ihnen zu machen sucht, und lassen mich in Ruhe. Es könnte ja gar sein, daß ich und Mascho uns verstünden! Doch, das muß ich Ihnen nicht zweimal sagen, wenn unsre List gelingen soll.[166]

1

S. Vorr. IV. VIII. X. XII. desgleichen in der Schrift selbst, S. 258. 271. 306 und wo nicht?

2

Vorr. XV.

3

S. 3. 4.

4

S. 82.

5

S. 113.

6

Vorr. XIII. S. 26. 36. 71. III. u. m.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 160-167.
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