Anti-Goeze
Zweiter

Bella geri placeat nullos habitura triumphos!

Luc.


Mein Herr Hauptpastor


Ich erhielt Ihr Etwas Vorläufiges gegen meine – wenn es nicht Ihre erste Lüge ist – mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf unsre allerheiligste Religion etc. am Abend des Osterabends; und hatte noch eben Zeit, den herrlichen Vorlauf zu kosten. Der soll mir auf das Fest schmecken! dachte ich. Und er hat mir geschmeckt. Gott gebe, daß mir der Nachlauf zu seiner Zeit auch so schmecken, auch so wohl bekommen mag!

Aber was das nun wieder ist! Der Herr Hauptpastor verweisen mir in Ihrem Etwas Vorläufigen, welches ich, der Geschmeidigkeit wegen, lieber das Vorläufige Etwas nennen will, mit so vielem Ernst und Nachdruck meine Äquivoken7 und Wortspiele: und dennoch mache ich schon wieder ein so häßlich Ding, und äquivoziere und wortspiele mit vorläufig und Vorlauf; ohne auch nur im geringsten vorher zu erklären, ob ich den Vorlauf von der Kelter oder von der Blase verstehe.

Doch lieber vergeben Sie mir immer, Herr Hauptpastor, eine Schwachheit, die mir zur andern Natur geworden ist. Jeder[193] Mensch hat seinen eignen Stil, so wie seine eigne Nase; und es ist weder artig noch christlich, einen ehrlichen Mann mit seiner Nase zum besten haben, wenn sie auch noch so sonderbar ist. Was kann ich dafür, daß ich nun einmal keinen andern Stil habe? Daß ich ihn nicht erkünstle, bin ich mir bewußt. Auch bin ich mir bewußt, daß er gerade dann die ungewöhnlichsten Kaskaden zu machen geneigt ist, wenn ich der Sache am reifsten nachgedacht habe. Er spielt mit der Materie oft um so mutwilliger, je mehr ich erst durch kaltes Nachdenken derselben mächtig zu werden gesucht habe.

Es kömmt wenig darauf an, wie wir schreiben: aber viel, wie wir denken. Und Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß unter verblümten, bilderreichen Worten notwendig ein schwanker, schiefer Sinn liegen muß? daß niemand richtig und bestimmt denken kann, als wer sich des eigentlichsten, gemeinsten, plattesten Ausdruckes bedienet? daß, den kalten, symbolischen Ideen auf irgend eine Art etwas von der Wärme und dem Leben natürlicher Zeichen zu geben suchen, der Wahrheit schlechterdings schade?

Wie lächerlich, die Tiefe einer Wunde nicht dem scharfen, sondern dem blanken Schwerte zuschreiben! Wie lächerlich also auch, die Überlegenheit welche die Wahrheit einem Gegner über uns gibt, einem blendenden Stile desselben zuschreiben! Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnet. Wahrheit allein gibt echten Glanz; und muß auch bei Spötterei und Posse, wenigstens als Folie, unterliegen.

Also von der, von der Wahrheit lassen Sie uns sprechen, und nicht vom Stil. – Ich gebe den meinen aller Welt Preis; und freilich mag ihn das Theater ein wenig verdorben haben. Ich kenne den Hauptfehler sehr wohl, der ihn von so manchen andern Stilen auszeichnen soll: und alles, was zu merklich auszeichnet, ist Fehler. Aber es fehlt nicht viel, daß ich nicht, wie Ovid, die Kunstrichter, die ihn von allen seinen Fehlern säubern wollten, gerade für diesen einzigen um Schonung anflehen möchte. Denn er ist nicht sein Fehler: er ist seine Erbsünde. Nämlich: er verweilt sich bei seinen Metaphern, spinnt sie häufig zu Gleichnissen, und malt gar zu gern mit unter eine in Allegorie[194] aus; wodurch er sich nicht selten in allzuentfernte und leicht umzuformende tertia comparationis verwickelt. Diesen Fehler mögen auch gar wohl meine dramatische Arbeiten mit verstärkt haben: denn die Sorge für den Dialog gewöhnt uns, auf jeden verblümten Ausdruck ein scharfes Auge zu haben; weil es wohl gewiß ist, daß in den wirklichen Gesprächen des Umganges, deren Lauf selten die Vernunft, und fast immer die Einbildung steuert, die mehresten Übergänge aus den Metaphern hergenommen werden, welche der eine oder der andere braucht. Diese Erscheinung allein, in der Nachahmung gehörig beobachtet, gibt dem Dialog Geschmeidigkeit und Wahrheit. Aber wie lange und genau muß man denn auch eine Metapher oft betrachten, ehe man den Strom in ihr entdecket, der uns am besten weiter bringen kann! Und so wäre es ganz natürlich, daß das Theater eben nicht den besten prosaischen Schriftsteller bilde. Ich denke sogar, selbst Cicero, wenn er ein beßrer Dialogist gewesen wäre, würde in seinen übrigen in eins fortlaufenden Schriften so wunderbar nicht sein. In diesen bleibt die Richtung der Gedanken immer die nämliche, die sich in dem Dialog alle Augenblicke verändert. Jene erfodern einen gesetzten, immer gleichen Schritt; dieser verlangt mit unter Sprünge: und selten ist ein hoher Springer, ein guter ebner Tänzer.

Aber, Herr Hauptpastor, das ist mein Stil, und mein Stil ist nicht meine Logik. – Doch ja! Allerdings soll auch meine Logik sein, was mein Stil ist: eine Theaterlogik. So sagen Sie. Aber sagen Sie was Sie wollen: die gute Logik ist immer die nämliche, man mag sie anwenden, worauf man will. Sogar die Art, sie anzuwenden, ist überall die nämliche. Wer Logik in einer Komödie zeigt, dem würde sie gewiß auch zu einer Predigt nicht entstehen: so wie der, dem sie in einer Predigt mangelt, nimmermehr mit ihrer Hülfe auch eine nur erträgliche Komödie zu Stande bringen würde, und wenn er der unerschöpflichste Spaßvogel unter der Sonne wäre. Glauben Sie, daß Pater Abraham gute Komödien gemacht hätte? Gewiß nicht: denn seine Predigten sind allzu elend. Aber wer zweifelt wohl, daß Moliere und Shakespear vortreffliche Predigten gemacht und gehalten hätten, wenn sie, anstatt des Theaters, die Kanzel hätten besteigen wollen?[195]

Als Sie, Herr Hauptpastor, den guten Schlosser wegen seiner Komödien so erbaulich verfolgten, fiel eine doppelte Frage vor. Die eine: darf ein Prediger Komödien machen? Hierauf antwortete ich: warum nicht? wenn er kann. Die zweite: darf ein Komödienschreiber Predigten machen? Und darauf war meine Antwort: warum nicht? wenn er will.

Doch wozu alles dieses Geschwätz? Was gehen mich itzt die Armseligkeiten des Stils und Theaters an; itzt da ein so schreckliches Halsgericht über mich verhangen wird? – Da steht er, mein unbarmherziger Ankläger, und wiehert Blut und Verdammung: und ich, einfältiger Tropf, stehe bei ihm, und lese ihm ruhig die Federn vom Kleide. –

Ich muß, ich muß entbrennen, – oder meine Gelassenheit selbst, meine Kälte selbst, machen mich des Vorwurfs wert.

Wie, Herr Hauptpastor? Sie haben die Unverschämtheit, mir mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf die christliche Religion Schuld zu geben? Was hindert mich, in die Welt zu schreiben, daß alle die heterodoxen Dinge, die Sie itzt an mir verdammen, ich ehedem aus Ihrem eigenen Munde gehört und gelernt habe? Was hindert mich? Eine Unwahrheit wäre der andern wert. Daß ich Ihre Stirn nicht habe: das allein hindert mich. Ich unterstehe mich nicht zu sagen, was ich nicht erweisen kann: und Sie – Sie tun alle sieben Tage, was Sie nur einen Tag in der Woche tun sollten. Sie schwatzen, verleumden und poltern: für Beweis und Eviktion mag die Kanzel sorgen.

Und die einen so infamierenden Titel führet, – was enthält diese Goezische Scharteke? Nichts enthält sie, als elende Rezensionen, die in den freiwilligen Beiträgen schon stehen, oder wert sind darin zu stehen. Doch ja; sie enthält auch einen zum drittenmale aufgewärmten Brei, den ich längst der Katze vorgesetzt habe. Und dennoch sollen und müssen sich des Herrn Hauptpastors liebe Kinder in Christo diesen beschnuffelten, beleckten Brei wieder in den Mund schmieren lassen.

Ist es von einem rechtschaffenen Gelehrten, – ich will nicht sagen, von einem Theologen – begreiflich, daß er, unter einem solchen Titel, widerlegte Beschuldigungen nochmals in die Welt schickt, ohne auf ihre Widerlegung die geringste Rücksicht zu nehmen? – »So hat er denn wohl von dieser Widerlegung nichts[196] gewußt?« – O doch! Er weiß sehr wohl, daß sie vorhanden ist; er hat davon gehört: nur gelesen hat er sie noch nicht, und nach dem Feste wird es sich zeigen, ob er es für nötig findet, darauf zu antworten. –

Und inzwischen, Herr Hauptpastor, inzwischen haben Sie dennoch die Grausamkeit, Ihre Beschuldigungen zu wiederholen? in diesem geschärften Tone zu wiederholen? – Also sind Sie allwissend? Also sind Sie untrieglich? – Also kann schlechterdings in meiner Wiederlegung nichts stehen, was mich in einem unschuldigern Lichte zeigte? was Sie einen Teil Ihrer Klage zurück zu nehmen, bewegen könnte? Also, wie Sie eine Sache einmal ansehen, so, vollkommen so, sind Sie gewiß, daß Sie dieselbe von nun an bis in Ewigkeit ansehen werden?

In diesem einzigen Zuge, Herr Hauptpastor, stehen Sie mir ganz da, wie Sie leiben und leben. Sie haben vor dem Feste nicht Zeit, die Verteidigung des Beklagten zu hören. Sie wiederholen die Anklage, und schlagen seinen Namen getrost an Galgen. Nach dem Feste, nach dem Feste, werden Sie schon sehen, ob auf seine Verteidigung der Name wieder abzunehmen ist, oder nicht!

Gegen einen solchen Mann wäre es möglich, die geringste Achtung beizubehalten? – Einem dritten: vielleicht. Aber nicht dem, nach dessen Kopfe diese Steine zielen. Gegen einen solchen Mann sollte es nicht hinwiederum erlaubt sein, sich aller Arten von Waffen zu bedienen? Welche Waffen können meuchelmörderischer sein, als sein Verfahren ist?

Gleichwohl, Herr Hauptpastor, befürchten Sie von mir nur nicht, daß ich die Grenzen der Wiedervergeltung überschreiten werde. Ich werde diese Grenzen noch lange nicht berühren, wenn ich von Ihnen auch noch so höhnend, auch noch so verachtend, auch noch so wegwerfend schreibe. Sie können einen ungesitteten Gegner vielleicht an mir finden: aber sicherlich keinen unmoralischen.

Dieser Unterschied, zwischen ungesittet und unmoralisch, der sehr wichtig ist, obgleich beide Wörter, ihrer Abkunft nach, vollkommen das nämliche bedeuten müßten, soll ewig unter uns bleiben. Nur Ihre unmoralische Art zu disputieren, will ich in ihr möglichstes Licht zu setzen suchen, sollte es auch nicht anders, als auf die ungesitteteste Weise geschehen können.[197]

Itzt ist mein Bogen voll; und mehr als einen Bogen sollen Sie auf einmal von mir nicht erhalten. Es ist erlaubt, Ihnen den Eimer faulen Wassers, in welchem Sie mich ersäufen wollen, tropfenweise auf den entblößten Scheitel fallen zu lassen.[198]

7

Der Herr Hauptpastor schreiben Equivocen; und das mehr wie einmal. (S. VII. IX. 55) Es kann also weder Schreib- noch Druckfehler sein; sondern diese spaßhafte Orthographie ward beliebt, – um auch ein Wortspielchen zu machen. Aequivocum, quasi dicas, equi vocem. Denn freilich, was ist äquivoker als das Wiehern des Pferdes? Für den Cardanus zwar nicht; aber doch für uns andere, die wir uns auf das Wiehern nicht so gut verstehen, als Cardanus. – Oder sollte der Herr Hauptpastor hier wohl noch spaßhafter sein wollen, und zugleich ein Wort im Sinne gehabt haben, welches Luther in seinem Hanswurst von Wolfenbüttel braucht? Der Bibliothekar zu Wolfenbüttel erinnerte ihn an dies Buch; dies Buch an dies Wort: und ich freue mich herzlich, daß ich seinem Witze so auf die Spur komme. Das nenne ich doch eine Nachahmung Luthers!

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 167-168,193-199.
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