Brandung

[204] Festball haben heut die Wogen

Um die schwarzen Klippen her,

Schäumend und in weiten Bogen,

Kreuz und quer

Und in Schleppgewanden schwer

Kommen sie zum Strand gezogen.


Uralt tolle Wasserschwänke

Sprühn sie zischend sich ins Ohr,

Spritzen um die Felsenbänke

Hoch empor,

Dunkle drängen dunklere vor,

Wild wie Rosse zu der Tränke.


Aus den Wirbeln ragt im Schwalle

Hier ein steingewordnes Schiff,

Dort ein Untier – Rumpf und Kralle

Ward zum Riff.

Horch, da tönt ein geller Pfiff,

Nacht umfängt die Felsenhalle.
[204]

Nacht – und immer schaumbestäubter

Wogt's heran, und Schaum bedeckt

All der Ungetüme Häupter;

Auferweckt

Scheinen sie, wie wenn sich reckt

Ein von langem Schlaf Betäubter.


Ha, jetzt gibt es Schlägereien!

Um das Wrack im Meeresschoß

Streiten sie zu zwei und dreien;

Klein und groß

Hauen aufeinander los

Mit Gezähn und Grat von Haien.


Kiefern reißen, Flossen, Schuppen

Sich die Ungeheuer aus;

An der Steine schwarzen Kuppen,

Im Gebraus,

An den Faden eines Taus

Ringen sie in ganzen Gruppen.


Mit versunknen Enterhaken

Kommen sie herauf vom Grund;

Wie sie sich am Schopfe packen

Und am Schlund

Sich verbeißen und schon wund

Noch die Schädel sich zerknacken!


Wem bleibt wohl die Siegeskrone?

Sieh! die Andern alle taucht

Ein gewaltiger Tritone!

Wie er pfaucht,

Da sein letzter Feind verhaucht,

Ein elender Epigone!


Um den stolzen Sieger schwellen,

Kosend seinen weißen Bart,[205]

Leichtgeschürzte Mondlichtwellen,

Hold und zart,

Die zu seiner Siegesfahrt

Ringsumher die Nacht erhellen.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 204-206.
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