|
[179] Scandit inaccessos brumali sidere montes,
Nec meminit lethi, nimbosve aut frigora curat.
Claudian.
Des Wand'rers Tritte wanken,
Auf schmaler Kieselbahn,
Durch wildverschlungne Ranken,
Den Fichtenberg hinan.
Wie bebt des Waldstroms Brücke,
Der tosend sich ergeußt,
Und Bäum' und Felsenstücke
Jach in die Tiefe reißt!
Jezt flieht die Nacht der Wipfel;
Verklärt vom Sonnenstral,
Gränzt an beschneite Gipfel[179]
Ein grünes Zauberthal.
Hier bliebe, wonnebebend,
Selbst Hallers Muse stumm.
Wie groß, wie seelenhebend!
Hier ist Elysium!
Hier wo ein rein'rer Aether
Um Götterhaine fließt,
Aurorens Licht sich röther
Auf hell'res Grün ergießt;
Wo Freiheit in den Hütten
Bei frommer Einfalt wohnt,
Und Kraftgefühl die Sitten
Des goldnen Alters lohnt;
Hier wo die Heerde läutend
Im Blumengrase geht,
Und, Wohlgeruch verbreitend,
Die Bergluft milder weht;
Wo, von der Enziane
Und Anemon' umblüht,
Auf seidnem Rasenplane
Die Alpenrose glüht;
Hier wo die Seele stärker
Des Fittigs Hülle dehnt,
Hoch über Erd' und Kerker
Emporzuschweben wähnt,
Geläuterter und freier
Der Sinnenwelt entflieht,
Und schon, im Aetherschleier,
An Lethes Ufern kniet.
Doch, ach! der Zauber schwindet,
Des Traumgotts Bildern gleich;
Der enge Steinpfad windet
Sich zwischen Felsgesträuch;[180]
Wild starren, matt vom Schimmer
Der Abendsonn' erhellt,
Gestürzter Berge Trümmer,
Wie Trümmer einer Welt.
Im hohen Raum der Blize
Wälzt die Lawine sich,
Es kreischt im Wolkensize
Der Adler fürchterlich;
Dumpfdonnernd, wie die Hölle
In Aetnas Tiefen ras't,
Kracht an des Bergstroms Quelle
Des Gletschers Eispallast.
Hier dämmern schwarze Gründe
Wo nie ein Blümchen lacht,
Dort bergen grause Schlünde
Des Chaos alte Nacht;
Und wilder, immer wilder
Schwingt sich der Pfad empor;
Bleich wallen Todesbilder
Aus jeder Kluft hervor.
Kalt wehn des Grabes Schrecken,
Wo dräuend der Granit,
In kühngethürmten Blöcken,
Den Abgrund übersieht.
Erzürnte Fluthen brausen
Tief unter morschem Steg,
Und Grönlands Lüfte sausen
Am hochbeschneiten Weg.
Der Wand'rer starr't von Eise,
Sein Odem friert zu Schnee;
Ein Glöckchen, dumpf und leise,
Tönt fern am Alpensee;[181]
Der Hohlweg senkt sich tiefer;
Durch Felsenzacken blickt
Des Klosters dunkler Schiefer,
Mit weissem Kreuz geschmückt.
Buchempfehlung
»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge
276 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro