Hymne an die Phantasie

[95] An Klopstock.


Wie von Blüthe zu Blüthe die Biene fleugt,

Also schwebst du, o Phantasie,

Umflossen von des Aetherlichts goldenem Strom,

Durch des Himmels heilige Gefilde,

Wonnestralend von Welt zu Welt![95]

Gleich des Nordscheins strömendem Purpur glänzt

Deines Fluges blendende Bahn!

Ahndung und Sehnen und Wehmuth,

Und Ruh' und Entzücken und Wonne

Umtanzen in holder

Geniusbildung, o Göttin, dich!

Heil! dir, Unsterbliche, Heil!

Du entschleierst der Erinnerung freundliches Gestirn,

Welchem Allvater über der Lebenszeit

Dämmerndem Grabe zu leuchten gebot!

Heil! dir, Unsterbliche, Heil!

Du bestralst mit Hofnungsmorgenröthe

Der Zukunft umnachteten Hain!

Heil! dir, Unsterbliche, Heil!

Auf des Mondes lieblichen Fluren

Weilst du im Schimmer des Erdenlichts,

Auf der Sonne flammenden Wogen

Wiegst du, Himmlische, jauchzend dich,

Wie auf der Waizensaat grünlichen Wallungen

Sanft sich wieget der Abendwind!

Schwingst dich höher hinan, wo der Altar,

Dem, der aus Welten ihn baute, flammt;

Wo im Kranze die Rose des Himmels

Opfergerüche zu ihm sendet empor

Der aus Lichtglanz webte ihrer Blätter

Stralende Herrlichkeit;

Wo sein Haupt der Adler majestätisch hebt,

Und der melodische Schwan

Horchet der Leier begeisterndem Silberklang!

Breitest die Fittige stürmender dann,

Und fleugst empor, empor, wo der Sterne Lied

Triumph und Jubel und Vollendung tönt;

Wo des unvergänglichen Seyns

Lebendige Vorempfindung, (ach! im Thal des Staubs

Nur leiser, kaumgehörter Laut!)[96]

Im reinsten Vollklang dich umströmt;

Wo der Wesen unendliche Leiter,

Umschlungen von den Banden der ewigen Harmonie,

Sich dir in unbewölktem Himmelsschein enthüllt,

Bis dahin, wo sie an des Urlichts Quell,

In eignem Glanze sich verliert,

Und wo der kühnste deiner Schwünge

Sie ewig und ewig nicht ermißt!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 95-97.
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