Dritter Gesang.

[24] Wie? – Ist's ein Schneegebild, ein Marmorwerk, um das

Die goldne Lampe gießt, gedämpft durch mattes Glas,

Von Seide blau umflort, den regen Flimmerkreis?

Nein, Schnee ist bleicher noch und Marmor nicht so weiß.

Es ist ein schlummernd Kind. – Durch seine offnen Lippen

Enthaucht von Zeit zu Zeit ein Seufzer süß und zart;

Kaum seufzen Algen so, wenn nach der Meeresfahrt

Der Zephyr Abends kost um ihre grünen Klippen,

Wenn er des Ostens Duft enthaucht aus feuchten Lippen

Und an die nackte Brust der Blumenliebchen sinkt,

Wo er bei Kuß und Kuß den Thau vom Schilfe trinkt.


Es ist ein Kind, das schläft, von Seide überdacht,

Ein fünfzehnjährig Kind – fast schon ein junges Weib;

Doch Alles knospet erst an diesem süßen Leib.

Der kleine Cherubim, der ihren Schlaf bewacht,

Blickt allzu zärtlich fast auf seine Schwester nieder.

Wie goldne Flut umfließt das Haar die zarten Glieder;[25]

Sie sprach wohl ein Gebet vor Anbruch dieser Nacht,

Und will es wieder thun, sobald die Nacht verfließt,

Da noch die kleine Hand des Halsschmucks Kreuz umschließt.


Sie schläft; o schaut sie an: – die Stirn, wie stolz und rein!

Um alle Schönheit gießt der Herr den süßen Schein

Der Scham, wie er mit Thau behaucht der Knospe Blust.

Nackt schlummernd liegt sie da, ein Händchen auf der Brust.

Das Dunkel ist es selbst, das ihre Schönheit hebt:

Denn wie der Dämmerschein um ihre Glieder bebt,

Glaubt man, des Dunkels Geist hat nicht den Mut, den kalten

Und schwarzen Mantel auch um diesen Leib zu falten.


Des Priesters stiller Tritt, leis hallend von den Mauern,

Macht nimmermehr das Herz so glühendfromm erschauern,

Wie ihres Odems Hauch, wie ihrer Seufzer Lied.

Betrachtet dies Gemach: Orangen, frisch erblüht,

Hier Bücher, Arbeitszeug; dort beugt ein Palmzweig stumm

Sich wie in tiefer Qual aus seinem Eckverließ.

Ja seht ihr euch denn nicht nach Gretchens Spinnrad um

In diesem traulichen und keuschen Paradies?


Wie ist der Kindheit Schlaf so keusch doch und so mild!

Schuf ihr die Schönheit nicht der Herr als starken Schild?

Und ist die Liebe nicht, die in der Jungfrau facht,

Wie ein Gebet zu Gott? Man fühlt beim Nahedringen

Erschauern in der Luft des Seraphs rege Schwingen,

Der eifersüchtig treu vor ihrem Lager wacht.


Du bleiche junge Maid, wenn nicht die Mutter dein,

Wer dann mag diese Frau vor deinem Bette sein,

Die bald empor zur Uhr, bald nach dem Feuer blickt[26]

Und mit dem grauen Haupt so ungeduldig nickt?

Weß harrt sie noch so spät? Wenn's deine Mutter ist,

Für wen erhebt sie sich und riegelt gleich darauf,

Wenn deinem Vater nicht, die Thüre leise auf?

Marie, dein Vater starb ja doch vor langer Frist!

Für wen bestellt dies Weib mit eigner Hand den Tisch?

Wozu die Kerzen all? – Wer da nur kommen mag?

Doch wer es sei, du schläfst; was sollte man bei dir, –

Die Träume deiner Nacht sind keuscher wie der Tag

Und ach, noch viel zu jung für sündige Begier!


Und wem, am Feuer dort, gehört der Mantel doch?

Er ist bespritzt mit Kot und trieft von Regen noch:

Der deine ist's, Marie, der Mantel eines Kindes!

Dein schönes Haar ist feucht. Die Hände und die Wangen

Sind hell dir aufgeglüht im rauhen Hauch des Windes

Wohin nur hast du dich im Sturm der Nacht vergangen?

O nein, o nein! dies Weib ist deine Mutter nicht!


Man hat gesprochen! – Still! – Sieh – unbekannte Weiber

Stehn an der offnen Thür – da schwankt vorbei ein Licht –

Und andre, wirr das Haar und halb entblößt die Leiber,

Das Antlitz rot von Schweiß, sieht man auf dunklen Gängen

Mit scheuer Stille sich entlang den Mauern drängen –

Und halb erkennbar zeugt ein letzter trüber Schimmer

Von einer Orgie noch in einem fernen Zimmer:

Zerschelltes Glas Damast, den man mit Wein begoß –

Da gellt ein Lachen auf – die Thüre fällt in's Schloß.


Marie! O sprich, es war ein Trugbild, das zerflogen,

Ein toller Koboldstraum, der ängstend mich betrogen –[27]

Die Mutter ist dies Weib – und alles schläft und ruht!

Es ist ein feines Oel, mit Blumenduft versüßt,

Was deine Haare netzt; und deinem Herzensblut

Entstammt das keusche Rot, das deine Stirn umfließt.


Doch horch! es hat geklopft – und von des Flures Platten

Durchschauert hellen Klangs ein Tritt die stille Nacht –

Und näher schwankt ein Licht, begleitet von zwei Schatten ...

Wie, magrer Rolla, du? Was hat dich hergebracht? – –


O Faust! Hast du denn nicht zu sterben einst gewähnt,

Als der gefallne Geist in jener Schauernacht,

Wie einen Schatten leicht, von Zauberglut umfacht,

Dich in den Raum entführt, der unter euch gegähnt?

Warst du es nicht, der laut die letzten Flüche schrie,

Tanzend zu heiligem Sang und klatschend in die Hände,

Und schlugst du etwa nicht, zur letzten Blasphemie,

Dein sechzigjährig Haupt an deine morschen Wände?

Auf blauem Lippenrand hat dir das Gift gekocht;

Und als dein dunkles Thun der Tod erst abgepocht,

Stieg er noch Hand in Hand mit dir hinab die Reihe

Der tausend Stufen all bei deiner Höllenweihe.

Zu alt, um aufzugehn, ist dir das Herz gesprungen,

Wie winterzeits im Frost der harte Fels erklafft.

Du grauer Gottesfeind, als dir die Uhr geklungen,

Riß deines Wissens Baum aus seiner Wurzeln Haft.

Der Todesengel sah erstaunt dich starren Mutes

Aus deinem hagern Arm noch einen Tropfen Blutes

Erzwingen, als du dich dem bösen Feind verschrieben.

O – über welches Meer, durch welcher Grotte Dunkel,[28]

Durch welchen Myrtenhain und welchen von Oliven,

Um welches Schneegebirg und dessen keusch Gefunkel

Ist je im Morgenrot so klare Luft geschwebt,

Wie jener warme Hauch des keimereichen Windes,

Der, feucht von Frühlingsthau, dein graues Haupt umbebt,

Da dich der Himmel schloß, damit du neubelebt,

In's jungfräuliche Kleid des fünfzehnjährigen Kindes.


Fünfzehn! – O Romeo! Das Alter deiner Braut;

Die Zeit, da euer Glück der Morgen überholte,

Der dich beim Lerchenschlag auf schwankem Seil geschaut

Und euren Abschiedskuß, der nimmer enden wollte!


Fünfzehn! – Die heilige Zeit, nach der der Lebensbaum,

Vom Wüstensand umdroht, an der Oase Saum,

Um seine goldne Frucht den Hauch der Reife legt,

Und weit die Luft durchwürzt, wie Asiens Palmenbaum,

Wenn er im Windhauch nur die duftigen Zweige regt.

Fünfzehn! – So schien das Weib, da unter Gottes Strahl

Zum Leben es entsproß, von Unschuld so umglänzt,

So überreich an Reiz, daß Gott mit dieser Zahl

An seiner goldnen Schaar des Wachsens Zeit begrenzt.


O Eva! Edenslust! Weshalb bist du verblüht! –

Sorgloses blondes Kind, du hast ja fallen müssen!

Dein Fall hat auch den Mann mit sich herabgerissen,

Doch ist dein Herz für ihn darum nur mehr erglüht!

Kam' Eden dir zurück, es wäre neu verloren:

Du weißt, daß dich der Mann zum Erdengott erkoren –

Und ließest deshalb gern mit ihm dich neu verjagen,

Um liebend bis an's Grab sein Elend mitzutragen.[29]

Rolla betrachtete in Wonne und in Trauer

Das schöne Kind, das fest im weiten Bette schlief –

Ich weiß nicht, welch ein Schreck, fast wie Gespensterschauer

Ihm wie mit einem Schlag durch alle Knochen lief!

Marie galt schweres Geld. – Als Kaufpreis dieser Nacht

Hat er den letzten Sou still lächelnd hingegeben.

Das wußte, wer ihm freund; so hatte kurzbedacht

Beim Herweg Rolla heut sich selbst das Wort gegeben:

Nach Tagesanbruch sieht mich Niemand mehr am Leben.


Der schönsten Jahre drei – aus einer schönen Jugend,

Drei Jahre reich an Lust, drei Jahre arm an Tugend,

Sie schwanden wie ein Traum, wenn sich der Morgen zeigt,

Wie einer Lerche Sag, die in die Lüfte steigt.

Und diese bange Nacht – die letzte Nacht im Leben –

In der ein Sterbender noch betet innerlich,

Da schon die Lippe starr – in der ein Schächer sich

So nah der Gottheit fühlt, daß Alles wird vergeben –

Der Dirne gab er sie, der Sünde und dem Leib –

Er – der ein Mensch, ein Mann, ein Christ! Und dieses Weib,

Ein Kind, ein Blüthenhalm – an Laster doch so stark,

Schlief, da es ihn erharrt, auf seinem offnen Sarg!


O brich zusammen, Welt, daß sich die Kindheit rette!

Ob es nicht besser wär', hier auf dem offnen Bette

Mit Sicheln diesem Leib die Schönheit wegzumähen

Und diesem weißen Hals die Knochen abzudrehen?

Ob es nicht besser wär', auf dieses Engelsbild

Mit erzumschützter Hand erhitzten Kalk zu hügeln,

Eh man es gleichen muß dem See mit klarem Schild,[30]

Darin sich leuchtend Stern und Blume wiederspiegeln,

Auf dessen Grund jedoch das Gift der Hölle quellt.


»Mein Gott! Wie ist sie schön! Welch reicher Schatz der Welt!

Welch einen ersten Kuß hätt' Liebe hier bereitet;

Getragen welche Frucht, sofern sie nur gezeitet!

Mein Gott, wie ist sie schön! Wie wär' in reinster Pracht

Solch keuscher Lampe einst der Liebe Glut entfacht.«


Armut! Armut! Du bist die Kupplerin, nur du!

Du hast auf dieses Bett ein solches Kind gedrängt,

Wie Hellas dem Altar Dianens sie geschenkt.

Da sie gebetet – schau – fiel ihr das Auge zu! ...

Gebetet! – Großer Gott! – Zu wem? – Du zwangst dies Kind,

Auf gleichen Knieen stets zu fluchen und zu beten.

Wie Grillen zirptest du erst schwach im Abendwind,

Eh in der Nacht an's Bett der Mutter du getreten,

Die schluchzend schlaflos lag – sprachst dann in's Ohr ihr leise:

»Dein Kind ist Jungfrau – schön – hör' Weib, das steht im Preise!«

Du hast sie aufgeputzt, beim Opfergang zu prangen,

So wie man Todte schmückt, die man zu Grab will legen.

Du bist's, die diese Nacht, da sie hierhergegangen,

Am Mantel sie geschleppt durch Blitz und Sturm und Regen.


Wie hätte sich vielleicht ihr Schicksal dann gewendet,

Wenn mit dem Leben ihr der Herr auch Brot gespendet!

Was wäre diese Stirn der Scham ein schöner Thron!

Kein Unkraut hätte man auf solchem Feld gelesen!

Weißt du wohl, was du thatst, du armes, junges Wesen?

Dein Name war Marie nun heißt er Marion;

Was ihn verkleinert hat, das Elend ist's gewesen,[31]

Und nicht die Sucht nach Gold. – Die man erst halb verdarb

In diesem eklen Haus, auf diesem Lasterherd,

In diesem Schandenbett, wenn sie nach Hause kehrt,

Reicht sie der Mutter noch das Gold, das sie erwarb.


O, ihr beweint sie nicht, ihr Damen einer Welt,

Wo man das Spitzentuch sich vor das Antlitz hält

Vor allem, was nicht reich und fröhlich ist wie ihr!

Auch ihr beweint sie nicht, ihr Mütter eurer Kinder,

Ihr stoßt den Riegel vor an eurer Töchter Thür,

Doch unterm Ehebett bergt ihr den eignen Sünder –

Verworfen insgeheim – doch öffentlich ästhetisch.

Ihr liebt so rosig schön, anständig und poetisch;

Des Hungers Schreckgespenst habt ihr ja nie gesehen

Mit murmelndem Gesang vor eurem Lager stehen,

Wie es euch stieren Blicks die bleiche Lippe bot

Und einen Kuß begehrt für eine Rinde Brot.


O du mein Säkulum! Gleicht dein verruchtes Muß

Dem Gange aller Zeit? O rauschend wilder Fluß,

Der sich vom kalten Blut zerrissner Leichen rötet –

Du trägst sie still in's Meer! – Und diese alte Welt,

Die zuschaut, wie sich hier die Menschheit zeugt und tödtet

Und starr sich auf der Bahn um ihre Sonne hält,

Will schneller ihre Last nicht gegen Himmel tragen,

Um bald bei Gott zu sein, bei ihm sich zu beklagen!


Nun gut, wenn's schon so ist, erhebe deine Stirne,

Beug auf die nackte Brust, du schöne, junge Dirne.

Es strömt und perlt der Wein, es haucht der Wind so frisch

Und rollt des Vorhangs Weiß um deinen Spiegeltisch.[32]

Welch wunderschöne Nacht! – Ich bin's, der sie gedungen!

Weit weniger Angst hat einst des Heilands Herz durchdrungen

Beim letzten Gang, als Lust auf meinem mich durchsprüht.

Ein Hoch der Liebe nun, von Trunkenheit umschlungen,

Wobei aus jedem Kuß der Wein Hispaniens glüht!


Nun mag des Taumels Geist dies Ruhebett umkreisen

Und wonneströmend uns in seine Arme reißen!

Dir Bacchus, Liebe dir, will dieses Glas ich füllen!

Ein Hoch der Zeit, die flieht, dem Tode und dem Leben!

Wollt ihr vergessen: trinkt! – Ein Hoch dem freien Willen,

Dem Golde und der Nacht, der Schönheit und den Reben!

Quelle:
Alfred de Musset: Rolla. Wien 1883, S. 24-33.
Lizenz:

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