[548] Corydon. Silvander.
SILVANDER.
Ich bin noch wie im Schlafe.
CORYDON.
Und ich bin ganz vernarrt. Hüt'st du denn hier auch Schaafe?
SILVANDER.
Nein, nur um den Oront, der sich Montan jetzt nennt,
Zog ich die Kleidung an, in der man mich verkennt.
Ich bin am Hofe groß, als wie ein Prinz, erzogen;
Mein andrer Vater ist mir, so wie ihr, gewogen,
Und hat mich unverdient zum Schiffshauptmann gemacht;
Ein Sturm hat heute mich an dieses Land gebracht.
CORYDON.
Was hör ich? Ist das wahr?
SILVANDER.
Wie? sollt ich euch belügen?
CORYDON.
Mein Sohn, ich glaube dir, und zweite für Vergnügen.
Doch, kommst du denn hieher allein auf deinem Schiff?
SILVANDER.
Nein, mit der Flotte selbst. Der Sturm, der sie ergriff,
Hat mich von ihr getrennt, und an dies Land verschlagen.[549]
CORYDON.
Das Unglück ist zwar groß; doch must du nicht verzagen.
Der Sturm verschlug mich oft, ich stund auch Schiffbruch aus;
Jedoch ich bins gewohnt, ich machte mir nichts draus.
Bin ich dein Tode schon so manchesmal entlaufen,
So werd ich hoffentlich noch nicht so bald ersaufen.
Allein, genug hiervon! mein Sohn, ach! sage doch,
(Vermutlich weißt du drum,) lebt deine Schwester noch?
SILVANDER.
Bald werdet ihr sie sehn!
CORYDON.
Wo ist sie? – Mach ein Ende!
O Glück! wenn ich zugleich hier Sohn und Tochter fände!
SILVANDER.
Das Schicksal nahm euch uns, ein Zufall giebt uns euch.
CORYDON.
So ist sie hier? Fort, fort, komm zeige mir sie gleich!
SILVANDER.
Allein, wenn ihr sie seht, so wird sie euch betrüben.
CORYDON.
Wie so?
SILVANDER.
Ihr werdet sehn
CORYDON.
Was denn?
SILVANDER.
Sie wird mich lieben.[550]
CORYDON.
Nichts mehr? Ey, wird das nicht für mich ein Unglück seyn!
Muß eine Schwester denn den Bruder hassen?
SILVANDER.
Nein.
Allein, sie liebt mich nicht mit schwesterlichen Herzen;
Als Liebste liebt sie mich, und dieses macht mir Schmerzen.
CORYDON.
Als Liebste? Pfuy doch! Wie? kennt sie dich denn noch nicht?
SILVANDER.
Sie kennt mich, und weiß nichts von der Verwandschaftspflicht.
Es sind ihr Vater, Mutter, Sohn und Tochter fremde Sachen.
Sprecht ihr mit ihr davon, sie wird euch nur verlachen.
CORYDON.
Wer Teufel hat ihr denn die Possen weißgemacht?
Weiß sie denn nicht, wer sie in diese Welt gebracht?
SILVANDER.
Nein, daran denkt sie nie. Montan hat sie erzogen,
Und ihr
CORYDON.
Und ihr solch Zeug aus Narrheit vorgelogen.
SILVANDER.
Vielleicht nicht ohne Grund. Doch sie ist selbst sehr klug;[551]
Sie hat von der Natur und Liebe Licht genug:
Sie sah mich, als ich kam, und wie sie mich entzücket,
So ward auch sie verliebt, so bald sie mich erblicket.
CORYDON.
So liebst du sie dem: auch?
SILVANDER.
Als Bruder lieb ich sie;
Doch sie getröste sich nur andrer Liebe nie.
Wie schwer dämpft ich die Glut, die für sie in mir brannte,
Als ich bestürzt und froh in ihr mein Blut ertannte!
CORYDON.
Ja, laß dirs nur vergehn, es geht nicht anders an.
Je, liebe doch, du Narr, die Tochter des Montan,
Und wenn ihr Bruder dann auch deine Schwester liebte,
Was wär das für ein Glück!
SILVANDER.
Ein Glück, das mich betrübte.
Denn (darf ichs sagen? ach!) ach! ich empfind es schon.
Nun Doris konnt es seyn.
CORYDON.
Was träumt dir denn, mein Sohn?
SILVANDER.
Mein Vater!
CORYDON.
Schäme dich, du willst die Schwester lieben?[552]
SILVANDER.
Des Schicksals Grausamkeit verfolgt mit gleichen Trieben,
Die Kinder des Montan.
CORYDON.
Ach pfuy! das ist zu arg.
SILVANDER.
Damöt liebt Sylvien und sie liebt ihn gleich stark.
CORYDON.
Ach! rede deutlicher mit meinen fremden Ohren.
SILVANDER.
Lenor liebt den Dorant Dorante liebt Lenoren.
CORYDON.
Was red'st du da für Zeug, das sich hieher nicht schickt?
Hat dir die Liebe denn den Kopf schon so verrückt?
Wer ist Lenore denn?
SILVANDER.
Die stillste von den Schönen,
Die Tochter des Montan, ein Kind von Celimenen.
CORYDON.
Nun sage mir doch auch, wie deine Schwester heißt?
SILVANDER.
Luise.
CORYDON.
Doris?
SILVANDER.
Ja.
CORYDON.
Ha, ha, der Knoten reißt;[553]
Ich seh den ganzen Kram, ihr Pursche seyd betrogen,
Die alte Wärterinn hat euch was vorgelogen.
Die alte Hexe! (doch in Ehren so gesagt!)
Hat nach der Weiber Art, die schlimmste List gewagt.
Aus Liebe für mein Kind, das sie nicht ziehen konnte,
Weil sie zu alt schon war, verschwieg sie dem Oronte,
Welchs seine Tochter war! Ihr Anschlag war nicht dumm,
Aus Vorsicht tauschte sie auch beyder Namen um.
Lenor ist des Orants, und mein Kind ist Luise.
SILVANDER.
Himmel!
CORYDON.
Und daß sie mir ihre Treu bewiese,
Hat sie, als mich das Schiff noch nicht weit weggebracht,
Mir sterbend schriftlich noch dieß alles kund gemacht.
Ich zeige dir den Brief, er liegt bey meinen Sachen.
SILVANDER.
So will doch abermals mein schlafend Glück erwachen?
CORYDON.
Ja, ja, es ist gewiß. Wenn du Lenoren liebst,
So thust du unrecht dran, wenn du dich drum betrübst;
Du kannst sie heute noch zu deiner Frau bekommen,
Und dem Dorante wird Luise nicht genommen.
Zum Henker, hätt ich es doch nimmermehr gedacht,
Daß euch das alte Weib so gar verwirrt gemacht.[554]
SILVANDER.
Sie hat mich, eh sie starb schriftlich hintergangen.
Wie wird Montan sich freun, wenn er wird Licht empfangen!
Wie wird – – Doch Sylvia kömmt dort mit dem Damöt,
Der ihr aus Zärtlichkeit nie von der Seite geht.
Wir wollen sie doch nicht in ihrer Unschuld stören;
Montan muß alles erst aus unserm Munde hören.
Beyde ab.
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