Das achte Lied

[268] Die Sulamithinn.


Ach hettest du mit mir an einer Brust gesogen,

Daß meine Mutter dich wie mich hett' aufferzogen,

So würde mich kein Mensch, der jetzt uns neiden kan,

Verdencken, grieff' ich dich gleich offenbarlich an.


Ich wolte deinen Halß, mein Trost, auff freyer Gassen

Für aller Welt Gesicht' erwischen und umbfassen;

Ich führte, Liebster, dich in meiner Mutter Hauß

Und liesse dich hernach auch nimmer nicht herauß.


Daselbsten würdest du, mein Seelentrost, mich lehren;

Hergegen wolt' ich dir gemachten Wein verehren,

Und Granatöpffelmost. Die Lincke fügte sich

Umb mein verliebtes Haupt, die Rechte küste mich.


Salomon.


Die allerliebste schläfft: ich bitt' euch, ihr Jungfrauen,

Als wie auch zuvorhin, ihr wollet fleissig schauen

Daß ihr sie ruhen laßt; ach redet ja nicht viel

Und ruffet ihr nicht auff, biß daß sie selber will.


[268] Die Jungfrauen.


Wer ist das werthe Bild mit solchen schönen Brüsten,

Mit solcher grossen Zier, die auffsteigt auß der Wüsten,

Und lehnt so zierlich sich auff ihren Liebsten an?

Wer ist sie, welcher nichts an Gaben gleichen kan?


Salomon.


Bey einem Apffelbaum' hab' ich dich, Lieb, gefunden

Und auß der Ruh erwacht; hier, wo zu guter Stunden

Dich deine Mutter hat, mein Hertzensliecht, erzeugt

Und mir zu dieser Lust geboren und geseugt.


Setz' als ein Siegel mich dir auff dein Hertz' und Armen;

Laß deine Liebe doch bey mir so sehr erwarmen,

Daß keine Wasserflut, ob gleich sie Nacht und Tag

Sich mehr und mehr ergeust, die Brunst verleschen mag.


Für rechter Liebe kan kein Silber nicht bestehen,

Das beste feine Gold kan ihr nicht gleiche gehen,

Die über alles steigt; es ist kein edler Stein

Der ihr am minsten auch nur kan gemesse sein.


Was bringen wir hernach, was bringen wir für Sachen

Der kleinen Schwester für? was soll man mit ihr machen,

Die noch nicht Brüste hat? Was sagen wir nur wol,

Im Fall man künfftig sich mit ihr bereden soll?


Nun, ist sie eine Wand, so wollen wir auch schauen

Daß wir darauff ein Schloß unnd silbern Bollwerck bauen,

Damit sie edler sey; ist sie dann eine Thür,

Soll schönes Cedern-Holtz vermehren ihre Zier.


Die Sulamithinn.


Ich bin ein Mauerwerck, das wol gegründet stehet,

Und meine Brüste sind als zweene Thürn' erhöhet.

Willkommen, edle Ruh; ihr Waffen gute Nacht,

Ich bin nun franck und frey, der Fried ist schon gemacht.


Es pfleget Salomon an tausend Silberlingen

Für seinen grossen Berg, der guten Wein kan bringen,

Von einem jeglichen, der diesen Wein veracht,

Die Zinsen einzuziehn; den Pact hat er gemacht.


Mein Weinberg ist für mich; darauß solt du erheben

Auch tausent Silberling' und ich will gleichfals geben,

O König Salomon, den Leuten allzumal

So drinnen Hüter sind zweyhundert an der Zahl.


[269] Salomon.


Mein Hertze, welche du die stillen Gärte liebest,

Und in denselben dich mit schönen Singen übest,

Es stehen meine Freund' und Mitgesellen hier;

Laß hören, o mein Lieb, der güldnen Stimme Zier.


Die Sulamithinn.


Fleuch, mein Geliebter, fleuch, fleuch fort mit freyem Zügel,

Mein Alles und mein Ich, fleuch auff die Kräuterhügel,

Als wie ein junger Hirsch und Rehe seine Ruh

In öden Wüsten sucht und läufft den Bergen zu.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 268-270.
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