Vortrag,

gehalten im demokratischen Frauen-Verein zu Oederan, im Januar 1849

(Schluß.)

[114] Aber mitten heraus aus dem finstern Mittelalter brach der lichte Strahl der Reformation. Ja, zuerst nur ein Strahl, als Johannes Huß und Hyronimus die Kirchen-Verbesserung lehrten. Huß kam auf die ersten Urlehren des Christentums zurück, die der allgemeinen Gleichheit und Freiheit. Der Kelch für Alle! das war sein Losungswort – damit vernichtete er das Vorrecht der Priester und jedes Vorrecht. Die römischen Pfaffen ließen ihn dafür auf dem Scheiterhaufen sterben. [...]

Das Losungswort der Hussitten oder Kalixtiner (Kelchner) »der Kelch für Alle« brachte den christlichen Grundsatz der allgemeinen Gleichheit aller Menschen wieder zu Ehren. Priester und Laien, Männer und Frauen, sie sollten alle gleiche Rechte haben, zumal das gleiche Recht, nach dem Höheren zu streben und, ohne eines menschlichen Vermittlers zu bedürfen, vom Kelch des Heils selbst zu trinken. Und so wandten die Frauen mit den Männern begeistert dieser Lehre sich zu. So stillten sie alle ihr Dürsten nach diesem Kelch, der ihnen so lange vorenthalten gewesen. So stritten die Frauen wie die Männer für das heilige Kleinod, so gingen die Frauen mit den Männern freudig für dasselbe in den Tod, in den Ketzertod. Die unglückseligste Zeit kam über Deutschland, eine Zeit, der die unsrige in vielen Beziehungen gleicht. Es erfüllte sich wieder einmal Jesus prophetisches Wort: wo Fünfe in einem Hause sind, da werden Drei gegen Zwei sein und Zwei gegen Drei; der Sohn wird wider den Vater sein und die Tochter wider die Mutter. Es sind aus dieser Zeit unzählige Beispiele, besonders auch der Opfer bekannt, welche von Frauen der neuen Lehre gebracht wurden. Herzensglück, Familienbande und jedes irdische Glück opferten sie freudig der reinen Überzeugung. Denken wir daran, meine Schwestern, hinter diesen edlen Vorbildern nicht zurückzubleiben! Derselbe Drang nach Freiheit, der in dem umnachteten Jahrhundert zunächst als ein Drang nach Glaubensfreiheit auftrat, es ist derselbe, welcher auch in unsern Tagen sich herrlich offenbart hat! denn die Freiheit ist nur eine! Nur Einseitige mögen von religiöser, von politischer, von sozialer Freiheit sprechen – die Freiheit selbst ist einzig und unteilbar und faßt dies alles in sich. Wohlan denn, geben wir diesem Drange uns hin, dienen wir mit derselben[114] Aufopferungsfähigkeit, mit dem ihm gedient ward zur Zeit der Reformation.

Was Huß begonnen hatte und was nach der Besiegung der Hussitten auch mit besiegt schien: das Werk der Reformation – unser Martin Luther nahm es wieder auf und führte es siegreich weiter. Wie er selbst mit Kraft, Entschlossenheit und Begeisterung den Männern ein Beispiel gegeben – so gab es auch seine Gattin Katharina von Borg den Frauen. In den strengsten Lehren der römischkatholischen Kirche aufgewachsen und im Kloster bereits Nonne geworden, war ihre Seele doch für das neue Licht empfänglich und ihr Herz für die Liebe eines Mannes wie Luther. Die Nonne, weil sie selbst das Bessere erkannt hatte, trotzte dem Vorurteil, sie floh aus dem Kloster, um die Gattin des Ketzers zu werden. [...]

So ward Katharina Luthers Frau und das Muster einer deutschen Hausfrau und Mutter.

Der dreißigjährige Krieg war ausgekämpft und das Mittelalter damit unter Schwerter-Klängen ins Grab geläutet. Eine allgemeine Erschöpfung folgte wie immer der vorhergegangenen langen Kette welterschütternder Ereignisse. Die Geschichte ward wieder von den Höfen, den Kabinetten gemacht, statt von den Völkern. Wissenschaften und Künste begannen sich zu entwickeln und allmählich aufzublühen, aber immer nur unter den französischen Einflüssen, welche der Krieg nach Deutschland gebracht hatte. Die Verhältnisse an den Höfen zumal und in den höheren Ständen waren tief entsittlicht. Wohl gab es Frauen und teils mit hohem Verstand begabte, die großen Einfluß aufs Allgemeine übten, aber es ist besser, wir verschweigen ihre Namen, denn sie gereichen unserm Geschlecht nicht zur Ehre. Das sogenannte Maitressentum der Fürsten war Brauch geworden. Die gemeinen Bedientenseelen vornehmer Herren ließen es sich zur Ehre gereichen, wenn Fürsten ihre Töchter verführten, sobald diese dann nur am Hofe frei walten und schalten konnten. Diese unsittlichen Verhältnisse ihrer Großen haben den armen Völkern oft ihr sauer erworbenes Gut gekostet, indem dieselben ausgesogen wurden, die Launen eines verworfenen Weibes zu befriedigen. Noch schändlicher aber war die indirekte Wirkung, die durch das Beispiel von oben gegeben ward, für die allgemeine Sittlichkeit. – Mit den französischen Sitten war auch die französische Sprache Hofsprache geworden und ward deshalb auch in allen Kreisen der Gesellschaft, die sich zu oben drängten, angenommen. Es galt für gemein – seine Muttersprache zu sprechen. Man ließ französische Mädchen und Männer kommen, welche den Kindern verwehrten, ihre vaterländische Sprache zu reden, ihnen dafür die französische und die französischen Sitten aufdrängten. Wahrlich, niemals hat ein Volk sich tiefer selbst entwürdigt als hier das deutsche! Eine größere Unnatur hat es nie gegeben. Gegen diese französischen Einflüsse erheben sich endlich die Träger der Poesie, die Schriftsteller zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Mit und durch Schiller und Goethe bildete sich in Weimar ein Kreis aus deutschen Dichtern und Kunstfreunden, in denen auch die Frauen eine edle, einflußreiche Stellung einnahmen. Schillers Gattin besonders und schon früher Goethes Mutter, die sogenannte Frau Rat in Frankfurt, sind von entschiedenem, wenn auch indirektem Einfluß auf ihre Angehörigen gewesen. Es gibt überhaupt viele rührende Beispiele, besonders unter den deutschen Schriftstellern, von dem Einfluß der mütterlichen Erziehung und Liebe auf den Sohn – das ist eine Mahnung für jede deutsche Mutter, sich mit umsichtiger Sorgfalt auf das heilige Geschäft der Erziehung vorzubereiten – es ist aber auch ein bedeutungsvoller Grund für die Unhaltbarkeit einer Behauptung, die man oft aussprechen hört, daß die mütterliche Erziehung für die Söhne nichts tauge. Diese Behauptung ist unwürdig unsers Geschlechts, und wir müssen ihr überall mit Entschiedenheit entgegentreten.

Die französische Revolution brach herein – die Sonne der neuen Zeit ging auf – zuerst zwar eine blutige Sonne, aber doch eine Sonne! Die zu Boden getretene Menschheit sprang auf und zerriß ihre Ketten – wo bisher entsittlichte und gebundene Sklaven gewandelt waren, begrüßten sich freie Bürger und Bürgerinnen. Ja Bürgerinnen! Das proklamierte Ver nunft-Recht erkannte dem Weibe dasselbe Recht zu wie dem Manne, und aus den Bürgerinnen wurden auch Heldinnen und Rächerinnen! Eine der edelsten unter ihnen, Charlotte Corday, ermordete mit eigner Hand nach langer, ruhiger Überlegung und angesichts eines blutigen Henkertodes Marat, den Tyrannen Frankreichs. Sie hoffte, so das Vaterland zu erretten, und bebte deshalb vor nichts zurück. Wir dürfen den Mord nicht gutheißen – aber wir dürfen an diese Zeit, wo eine Welt aus ihren Fugen war, auch nicht die gewöhnlichen Maßstäbe legen, wir dürfen diese Jungfrau nicht verdammen. Nicht ihre Tat sei uns ein Beispiel – aber ein Beispiel sei uns ihre Begeisterung für das blutende Vaterland, ihre Bereitwilligkeit, ihm jedes Opfer zu bringen, auch ihr Leben. Wer weiß, ob nicht bald eine Zeit kommt, wo auch wir solchen Todesmut brauchen können! –

Die Republik Frankreich ward die Beute eines Kaisers, der auch Deutschland unterjochte. – Endlich aber erhob sich das deutsche Volk. Nun sahen auch die deutschen Frauen nicht müßig zu. Ihr wißt, wie alles kam und wie alles endete. Ich will nicht erst schildern, was ihr zum teil wohl selbst erlebtet. Die deutschen Frauen waren von der allgemeinen Begeisterung, das Vaterland von der Selbstherrschaft zu befreien, wie die Männer ergriffen, und taten was ihnen zukam – aber wie die Männer vergaßen sie die erretteten Güter zu wahren, und so sank Deutschland in Knechtschaft zurück. Daß die jetzige Erhebung nicht wieder endige wie die damalige, laßt auch uns Frauen Wache halten am Altar des Vaterlandes und der Freiheit, und das heilige Feuer hüten, damit es nicht wieder verlösche! –

L.O.[115]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 114-116.
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