§ 18

[180] Akzeptire ich diese Schein-Welt als wirkliche Welt im Hinblik auf meinen Körper und meine Betätigung, und nicht nur im Hinblik auf meinen Körper, sondern auch im Hinblik auf mein mit diesem externalisirten Körper gleichzeitig gegebenes Denken, und im Hinblik auf meine in diesem Denken gegebene Teorie und Weltanschauung, so ist es selbverständlich und bei einer radikalen Teorie unvermeidlich, dass ich mich vor einer Menge Unbegreiflichkeiten und Rätsel gestelt sehe und von Anderen gestelt werde. Das schwierigste dieser Rätsel wohl das: wie ich zu der Meinung komme, dass Dinge der Aussenwelt meine Psiche direkt beeinflussen. – Nun führe ich aber jede Diskussion in dieser Sache mit meinem Gegner und Fragesteller auf Grund von Zeichen und Verständigungen dieser Erscheinungswelt; also auf illusionistischem Gebiet; dessen Beweise und Widerlegungen wohl mein Begreifen fördern oder erschüttern, aber nie die Sicherheit meines Denkens[180] berühren oder gefährden können; ebenso wenig, wie ein auf jener supponirten Insel nicht zum Ziel gelangender Verständnisversuch mit den Fremden mich im Hinblik auf die Sicherheit meiner zurükgelassenen Heimat alteriren könte.

Es ist ganz einerlei welchen Spezialfall von scheinbarer Beeinflussung der Psiche durch die Aussenwelt ich mir auswähle, die Schwierigkeit ist bei jedem die gleiche; ich wähle aber als eines der sinnfälligsten Beispiele die Intoxikazions-Erscheinungen bei Alkohol oder Haschisch. Hier könte man angesichts der toxischen Wirkung auf unsere Psiche bedenklich werden, unsere psichischen Erscheinungen als eine Einwirkung des von uns postulirten transzendentalen Prinzips anzusehen, weil hier »äussere« Ursache und »innere« Wirkung so dicht beieinander liegen: man giesst vorne zum Mund Wein hinein, und hinten springt das Sinnesdelir aus dem Kopfe. Zunächst darf ich hier nun nicht vergessen, dass die sinliche, sensorische Leistung meines Hirns, eine rein in das empirische Gebiet der Psiche fallende Leistung ist; und dass ein der sinlichen Sfäre angehöriger Stoff, wie Alkohol, oder Haschisch, auch nur diese Sfäre trift. Dass ein Toxikon mein Gehirn trift und es verändert, auflokert, seine Reflexe beschleunigt, das ist eine innerhalb der Erscheinungswelt mir begreifliche Sache. Und wäre die Psiche eine Sache, die wie die Materjalisten wollen, im selben Topfe gekocht wird wie die sinlichen Erscheinungen, dann wäre es ein höchst einfältiger Vorgang: man giesst Haschisch zum Gehirn wie Zimt zum Reisbrei, und das toxische Delir kommt hervor wie der Zimtgeruch aus dem Topf. Aber vor meinem Denken ist der Saz, dass Haschisch Psiche kreïre – und darauf geht doch die materjalistische Meinung hinaus – eine unmögliche Sache. Dass aus einem Haschisch-Molekül ein Fantom, eine psichische Leistung entstehen könne, das ist für mein Denken eine ebenso repulsiver Gedanke, als dass aus einem Gehirnreflex Bewusstsein entstehen solle; Ueber diesen Abgrund bringe ich das Haschisch-Molekül so wenig hinweg, wie die Bewegung der Gehirn-Rindenzelle. Dass, wenn Gehirn in irgend einer Form mit dem Auftreten von Psiche verknüpft[181] ist, dann, wenn sich Haschisch in diesem Gehirn findet, auch Psiche in irgend einer Form mit Haschisch verknüpft sein kann, das kann vor meinem Begreifen bestehen. Aber, dass Gehirn oder Haschisch zu Psiche wird, das kann mein Begreifen nicht fassen. Nehme ich also als leztes Refugium die Möglichkeit als gegeben, dass Gehirn und Psiche ein gleichzeitiger, auf fremde Ursache zurük zuführender, aber identischer Prozess ist, dann schränkt sich meine Untersuchung über die Möglichkeit des Enstehens von Haschisch-Psiche aus Haschisch zu der rein mechanischen Untersuchung ein, wie Haschisch-Moleküle im Erscheinungs-Leben neben Gehirnmolekülen zu liegen kommen können, und wie sich diese gegenseitig berühren und verändern; eine Frage, die mein Denken nichts weiter angeht. –

So wenig also meine idealistische Auffassung von dem rein illusorischen Wert der Erscheinungswelt durch das Experiment alterirt werden könnte, wenn Jemand vor meinen Augen gelbe und blaue Farbe zu Grün mischte, eine Untersuchung atomistischer Art, die es mit dem zufälligen Nebeneinanderliegen von Gelb und Blau in der Erscheinungswelt, der Faserschicht meines Auges etc. aber nicht mit meiner Psiche zu thun hätte, so wenig kann von meinem transzendentalen Standpunkt aus die scheinbare Enstehung von Haschisch-Psiche aus Haschisch sich zu einer Schwierigkeit transzendentaler Art gestalten.

Viel plausibler liegt uns die Sache bei der Frage der Beeinflussung der Psiche durch Musik. Hier, wo – nach heutiger Auffassung – nichts Materjelles in unser Gehirn dringt, wird Niemand zu der Meinung kommen: Musik kreïre Psiche; sondern wird ihr nur einen richtenden, ordnenden Einfluss auf bereits vorhandene Psiche zulassen. Denke ich mir also meinen Geist, meine Gemütslage, als einen stets vorwärts drängenden Strom von Erregung, mit dem Körperlichkeit, Aussenwelt, zugleich als Erscheinung gegeben ist, dann ist die Frage nach der Beeinflussung von Psiche durch Musik lediglich die nach der Ko-Existenz von Schallwellen und Gehirnmolukülen, deren Beantwortung der Erscheinungswelt zufält.[182]

Die Schwierigkeit aller dieser Untersuchungen liegt in dem Umstand, dass es mir unmöglich ist über meine Psiche zu reflektiren, ohne sinliches Materjal zu benüzen. Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt, in's Psichische sich hebt, hier die Wahrnehmung erzeugt und dann – bildlich gesprochen – durch Ohr, Auge etc. herausfährt, sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat, bildlich gesprochen, von hinten nach vorn – so ist es auch mit jeder Untersuchung, die ich, von meiner Psiche ausgehend, mit ihr selbst anstelle. Immer stürzt sie sich in's Sinliche, nach vorn – nie rükwärts – und meine Antwort fält also immer sinlich, bildlich aus; sie ist immer eine Projekzion in's Äussere. Wolte ich also die Frage, wie es komme, dass das Haschisch Molekül meine Psiche beeinflusse, wirklich beantworten, wie sie gestelt ist, so wäre dies eine rükwärtige Untersuchung, die ich nicht anstellen kann, die gar nicht in meiner Macht liegt; denn, ansetzend, stürzte sich mein psichischer Impuls in's Sinliche, in's Materjelle, in Sprache, in Aussenwelts-Projekzionen; Und da, wo ich wegzukommen suche, komme ich immer fester hin.

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 180-183.
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