Trennung

[26] Was wir gelitten und erduldet

Durch meine Fehler, deine Schwächen,

Was du geirrt, was ich verschuldet –

Wir wollen nicht darüber sprechen.


Wer an dem Zwiespalt unsrer Tage –

Zu lösen nicht und nicht zu schlichten, –

Die größ're Schuld, die klein're trage,

Wir wollen nicht darüber richten.


Ich weiß nur Ein's! nur Eines fühle

Im Herzen ich, dem trauervollen:

Wir hätten in dem Weltgewühle

Uns nun und nimmer finden sollen.
[27]

Und da wir dennoch uns gefunden,

So laß uns zürnen nicht und klagen

Ob all den Schmerzen und den Wunden,

Die Ein's dem Andern wir geschlagen.


Nicht böser Wille ist's gewesen,

Der uns gebracht so herbe Leiden;

Uns trennet unser tiefstes Wesen,

Der Gott im Innern heißt uns scheiden.


Ein Frevel war, was einst wir schwuren

Und Thorheit unser Kämpfen, Weinen!

Sich widerstrebende Naturen

Die kann die Liebe nicht vereinen.


Je heißer, sehnender sie ringen

Nach sel'gen Einklangs sanften Frieden,

So tiefer wird es sie durchdringen,

Durch welche Klüfte sie geschieden. –


Und so ist es auch uns ergangen,

Gott weiß allein, mit welchen Qualen

Mit wie verzweiflungsvollem Bangen

Wir für den Irrthum mußten zahlen.
[28]

Jetzt ist der Klarheit Tag erschienen –

Laß uns ihn ohne Groll begrüßen

Und, klaglos, auf des Glücks Ruinen

Für Schuld, die nicht die unsre, büßen.

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 26-29.
Lizenz:
Kategorien: