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[110] Stimmen der Nacht!
Hebt aus der Tiefe
Dämmerndem Grunde
Leise die Schwingen
Ueber die Welt!
Wehen des Windes,
Rauschen der Wellen,
Nachtigalltöne,
Wecket den Wiederhall
Fern im Geklüft!
Ihr nimmer rastenden,
Die ihr die Stunde
Wisset, da mächtiger
Schwillt durch die Thäler
Euer Gesang:
Unter dem bergenden
Schleier des Dunkels
Singet ein Traumlied
Der schlummernden Erde,
Stimmen der Nacht!
»Was wir verkünden,
Hören die Schläfer nicht,
Träumen nur weiter
All' ihres Tages
Flüchtigen Schein.[111]
Aber der Wachende,
Der in die Seele
Senket die Blicke,
Prüfend und schauernd,
Höre das Lied!
Unter den Wogen
Starrt es von Klippen,
Senken sich Felsen,
Stürzet zum Abgrund
Wirbelnd die Fluth.
Droben die Fläche
Kräuselt nur spielend,
Was aus dem Kampfe
Senden die Tiefen,
Als leichten Schaum.
Wehen des Windes
Streift um die Knospen,
Küßt die erwachenden,
Daß sie als Blüthen
Grüßen den Tag.
Kommt es auf Flügeln
Sausenden Sturmes,
Bricht es die Knospen,
Streut es zu Boden
Blüthen und Laub.
Klänge der Nachtigall,
Kundig der vollsten
Holdesten Töne,[112]
Mühelos, rastlos
Singend der Nacht;
Ist es der Freude
Jubelnde Feier?
Klänge der Nachtigall,
Singen sie Klagen?
Künden sie Lust?«
Stimmen der Nacht!
Schön in des Mondes
Und der Gestirne
Silberner Dämmrung
Ueber dem Strom
Tönet das Rauschen,
Säuselt der Windhauch,
Dringt aus den Blüthen
Rufender Nachtigall
Schmetterndes Lied!
Was sich dem wachenden
Erdegebornen
Schmeichelt als Wohllaut,
Lächelt als Friede
Durch das Gemüth:
Laßt ihm der Sterne
Flimmernden Abglanz
Ueber der Fläche!
Laßt ihm der Täuschung
Freundliches Bild!
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