Als wir um ein Büschel Sonnenstrahlen haben geschickt.

[69] Auch in unserem Bauernkalender stand Sonnenschein und trübes Wetter, unabhängig von Sturm oder blauem Himmel draußen.

Noch pfiff der Meister ein fröhlich Liedel, rief die Bäuerin herbei: »Geh' her, will dir einmal etwas hinaufhängen.« Die Bäuerin kam, der Meister warf ihr das lose zusammengeheftete Jöppel um, strich da mit der Kreide an, zerrte dort an einer Falte und sagte: »Gut ist's, passen tut's.« Aber das Pfeifen war dahin. Zu trennen begann er und zu schneiden am Jöppel, und zu brummen dabei. Der Geselle Christian schimpfte, wenn ein Kleid nicht lag, schimpfte über die Weibsbilder, die so höllisch schlecht gewachsen wären und so unzuverlässig, daß sie sich noch, während die Joppen schon in der Arbeit stünden, änderten. So ungerecht war der Meister nicht. Er knurrte höchstens über »den Zeug«, der beim Bügeln zusammenschlieft oder schon ursprünglich zu wenig gewesen für ein Bloch übereinand, als es die kugelrunde Bäuerin ist. Ein einzigmal hatten die Mäuse schuld, die ein Joppenmuster derart zugenagt, daß es den Meister beim Zuschneiden irregeführt hatte. Es begann dann ein unerquicklich Schnitzeln und Stückeln und trübselig war es in der Stube, es mochte draußen die Sonne noch so freundlich leuchten.

Wenn hingegen die Joppe in der Tat wie angegossen[70] auf dem Weibel saß, da pfiff der Meister lustig drauflos, pfiff hell wie eine Drossel und war gar vergnügt. Wenn es zudem auch noch war, daß wir in einem Hause gut gefüttert wurden, so hatten wir alles erklecklich beisammen, was hienieden zu einem echten Schneiderglücke notwendig ist.

So glücklich saßen wir einmal im Statzhofe. Die junge Bäuerin hielt viel auf Schmuck und Zier und nachdem der Meister gesehen hatte, daß ihr die neue Samtjoppe wie angemalen saß, beschloß er, sie mit unterschiedlichem Zierat, als »Perteln«, Schnürlein, Seidenmaschen, Knöpflein u. dgl. so prächtig auszuputzen, wie man in der Gegend bisher an Pracht nichts Ähnliches erlebt. Überlaut sagte die Bäuerin zwar: So schön! Das wäre wohl aus der Weis', so schön täte sich's für eine Bauersfrau doch nicht schicken, so schön hätte es nicht einmal die Baderin, und die Schulmeisterin schon gar nicht! – Insgeheim flüsterte sie aber dem Meister zu, wie sie es bei der Amtmännin gesehen, daß jetzt die Perteln und »Paßpulaturen« angenäht würden, und so ein Goldschnürl an den Aufschlägen, wie es die Verwalterin trage, stünde freilich wohl sauber. »Sollten sich gerad' einmal giften, die Herrenfrauen, wenn's jetzt auch die Bäuerinnen nachmachen oder besser machen; möcht' wissen, wesweg' die Bauersfrauen alleweil zurückstehen sollten. Man hat eh' sonst keine Freud' auf der Welt; wenn man kein sauberes Gewand auch nit hat, nachher kann sich eins gleich lebendig eingraben lassen.«

Dachte sich insgeheim mein Meister: Dumm bist, Statzhoferin, aber mir kann's recht sein. Kommt die Ausbandlerei auf, beim Weibergewand, so gibt's mehr[71] Arbeit, und so gut wie der ungarische Schneider bandeln wir auch noch aus, Gott sei Dank.

Um dieselbe Zeit fiel unter anderem der erste April. Und beim Statzhofer hatten sie eine niedliche aber einfältige Magd, die auch ein wenig lüstern war nach uns Schneidern, heißt das nach unserer Ausbandlerei, ob wohl ich einen ganzen Tag lang auf dem Witz herumritt: Mit der möcht' ich lieber anbandeln als ausbandeln, mit der!

Der muntere Meister mochte auch so ein Böcklein reiten, denn plötzlich sagte er zu mir: »Was meinst, das treuherzige Wabel soll man doch ein wenig in den April schicken?«

»Tun wir das! Foppen wir sie!« stimmte ich bei. Es zeigte sich aber bald, daß des Meisters Auffassung lange nicht so niederträchtig war als die meine.

»Wabel,« rief er die Magd, als er sah, wie sie an ihrem Kasten stand und ein Feiertagsröckel anzog, »mir scheint, Wabel, du gehst in die Hauptstadt Fischbach hinab.«

»Freilich,« antwortete sie, »die Bäuerin schickt mich um Kaffee und Zucker.« Mir sprang vor Freuden das Herz auf die Zunge und schrie zum Mund heraus: »Juchhe!«

»Wabel,« sagte der Meister, »weil du schon nach Fischbach gehst, wolltest nicht so gut sein und mir beim Bandelkramer was holen? Für der Bäuerin ihre Joppe tät' ich drei Ellen Sonnenstrahlen brauchen zum Aufnähen. Aber von der feineren Sorte.«

»Gern,« antwortete die Magd, »mas werden sie denn kosten?«[72]

»Zwölf Kreuzer, denke ich, die Elle. Aber vom vorigen Sommer müssen sie sein, gut getrocknete, und daß sie dir nicht etwan abgelegene geben! Sag' für den Schneidernatzel, und soll's aufschreiben.«

»Aufschreiben tut er nichts, der Baudelkramer,« wußte die Wabel zu sagen, »wie ich vorige Wochen Seidenbandeln hab' aufmerken lassen wollen, hat er gesagt: Das Rechnen hätt' er wohl gelernt, aber das Schreiben nit.«

»Nachher muß ich dir schon zwei Zwanzigerlein mitgeben,« sagte der Meister, »was übrig bleibt, wirst mir wohl fleißig zurückbringen?«

»Halt ja,« versicherte das Wabel und ging.

Als hierauf die Magd beim Bandelkramer zu Fischbach für den Schneidernatzel drei Ellen Sonnenstrahlen begehrte und die zwei Zwanziger hinhielt, sagte der Krämer: »Saggra, Dirndl, diese War' ist mir ausgegangen! Noch ein altes Büschel vom Sechzigerjahr ist da, aber das ist ganz abgestanden, weil es in demselbigen Sommer so kalt gewesen ist, daß die Sonnenstrahlen gefroren sind. Sie sind alles zu spröd' und lassen sich nicht biegen, die kann er nicht brauchen, der Meister. Ich geb' dir aber einen guten Rat, Wabel, geh' ins Wirtshaus hinüber, laß dir für die zwei Zwanziger eine Halbe Wein geben und einen Schweinsbraten und laß dir's auf die Gesundheit des Meisters schmecken.«

So hat die treuherzige Magd denn auch getan. Als sie am Nachmittag nach Hause kam, hatte sie ein so strahlendes Gesicht, daß es schier hell ward in unserer düsteren Stube. Wir ahnten aber nicht, daß dies die Sonnenstrahlen wären, um die wir sie geschickt hatten.

Den Pack mit Zucker und Kaffee legte sie in die Hand[73] der Bäuerin. »Nun;« fragte der Meister, »und auf uns hast vergessen? Was ist mit den Sonnenstrahlen?«

»Jesseles ja!« rief das Wabel, »er hat jetzt keine. Alte hätt' er noch, sagt er, wären aber ganz abgestanden und nicht mehr zu brauchen.«

Der Meister schwieg und schmunzelte: Nach einer Weile fragte er die Magd: »Wabel, fällt dir nichts auf?«

»Gar nichts,« antwortete sie.

»Geh',« schmunzelte er, »geh', Wabel, guck' einmal in den Kalender!«

Sie ging ihrer Arbeit nach und tat nichts desgleichen. »Sonderbar,« sagte der Meister gegen Abend zu mir, »sie tut nichts desgleichen.«

Nach dem Abendmahl, als man sich allerseits zum Schlafengehen rüstete; ging ihr der Meister nach, sie blieb an der Kammertür stehen und glaubte, er wolle ihr eine neue Joppe anmessen. Aber der Meister erinnerte sie höflich an die zwei Zwanzigerlein.

»Schneider,« schmunzelte sie, »guck' einmal in den Kalender...«

Mit dieser Erfahrung bereichert, kam mein Meister kleinlaut zu mir zurück. »Und das,« so machte er endlich seinem Gemüte Luft, »das ist das einfältige Wabel!«

Von dieser Zeit an hatten wir keine mehr in den April geschickt. Der Statzhoferin stand die neue Joppe auch ohne Sonnenstrahlen vortrefflich und mein Meister bemerkte, als der Spaß von der vornehmen Zier auf Weiberjoppen wieder einmal aufgetischt wurde: »Mit Sonnenstrahlen arbeiten ist nicht so einfach. Ich habe mir damit einmal die Finger verbrannt.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 69-74.
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