Der versteigerte Schneider.

[74] Und nun kommt der Richtige.

Wir hatten ihn gern, den blonden, vierschrötigen Gesellen. Von außen war er lauter Ernsthaftigkeit, im Innern war er voller Possen.

Er kam uns eines Tages – wildfremd wie er war – ins Haus geregnet. Er hielt eine weite Lodenhülle umgeworfen; das Wasser rann ihm von allen Seiten auf den Fußboden hinab, daß er auf demselben eine schwarze Straße hinter sich herzog von der Tür bis zum Tisch, wo mein Meister und ich die Werkstatt aufgeschlagen hatten. Er schaute uns so possierlich ins Gesicht, daß wir lachen mußten, er bat in fremdartiger Sprechweise um trockene Kleider. Aber es war keiner im Hause des Firstinghofes, dessen Hosen und Leibeln dem Goliath nicht viel zu enge und zu kurz gewesen wären.

So hüllte der in die Stube geregnete Mensch, während sein Anzug trocknen sollte, ein Leintuch und eine rote Bettdecke um sich und spazierte wie ein König im Purpurmantel würdevoll den Fußboden auf und ab; fragte auf einmal den alten Firstinger, ob nicht eine gut gestopfte Tabakspfeife zur Hand wäre, er hätte Zeit und Weil zum Rauchen.

»Mein Meister konnte keine Leute leiden, von denen er nicht wußte, was sie wären und in welcher Weise sie[75] beitrügen, die Welt zu schieben. Er richtete daher an den Großen kecklich die Frage: »Wer sein mer denn?«

»Bis ich trocka bi, will ich's schon säga,« entgegnete der Fremde und setzte seinen gemessenen Gang fort und blies den Tabaksrauch in einer Art von sich, daß der alte Firstinger uns zuflüsterte: »Gott weiß, wer der Mensch ist! Wie vor zwei Jahren der Graf Schildberg auf der Jagd da ist gewesen, hat er den Rauch just akkurat so herausgeblasen. Und schon an der Aussprach merkt man, daß er von fürnehmen Stammen ist.«

Wir kamen ihm höflich entgegen; er tat höflich Bescheid. Der Firstinger lud ihn artig zum Nachtmahle und zur Herberge ein, er nahm es freundlich an. Er bekam dasselbe Bett, in welchem zwei Jahre früher der Graf Schildberg geschlafen hatte.

Am anderen Morgen waren die Kleider trocken. Wir sahen, dieselben waren nicht allzu vornehm, doch schien er sich darin recht behaglich zu fühlen. Draußen war noch immer schlechtes Wetter. Der Fremde setzte sich an unseren Tisch und förderte durch sein sinnendes Zuschauen unsere Arbeit.

»Ihr schaffet auch mit Hinterstich,« sagte er plötzlich, »ischt auch besser bim Loda. Daß ma hernach halt gut ausklopfa muß, Jung'!«

Das letzte Wort war an mich gerichtet; der Meister aber legte seine Faust auf das Knie, wie er immer tat, wenn er einen gewichtigen Ausspruch plante und sprach: »Versteht der Herr auch was von der Schneiderei?«

»Wega was soll ich denn nicht?« sagte der Fremde, »bin ja sel' ein Fädlezieher.«

So hat er sich zu erkennen gegeben. Mein Meister[76] warb ihn. Er antwortete, daß er zwar auf Luftreisen sei. Geboren, geschopft und freigesprochen zu Appenzell, sei er auf der Reise durch die Welt; aber so lange Sankt Petrus Bärte wasche, stehe er gern in Arbeit ein, wisse nur nicht, ob man mit ihm auskommen könne, er sei manchmal ein wüster Querkopf.

Der alte Firstinger, der vor lauter Krüppelhaftigkeit nicht mehr arbeiten konnte und stundenlang an unserem Tische saß, fragte noch, ob das Appenzell in Böhmen stehe; denn er hielt jede fremde Mundart für Böhmisch.

»Schwizer, Schwizer!« sagte der Fremde.

»Ja, ja,« meinte der Bauer. »'s ist auch schon wieder heiß.«

So war der Hans Ättinger zu uns gekommen. Neun Wochen lang zog er mit uns um; ein vorzüglicher Arbeiter, und immer wieder voll Humor und Possen.

Weil er so groß und sauber gewachsen war – der schönste Schneider in unserer Gegend vielleicht seit Erschaffung der Welt – so hatten es die Weiber auf ihn heiß. –

Eine der ersten Begebenheiten war, daß ihm am heiligen Magdalenentage die Schleiferdirn nachlief und ihn flehentlich bat, er möge sie doch beschützen vor den Nachstellungen der Burschen; nur zu ihm habe sie das Vertrauen. Die Mannsleute ließen ihr um und um keine Ruhe und wollten ihr immer den Schnurrbart in die Wangen reiben; neulich hätte sie aber in ihrem Zorn so fest in einen gebissen, daß der Bursche ihr bei allen Heiligen versprochen, sie nicht mehr zu verfolgen, wenn sie auslasse. Als sie hernach ausgelassen, sei er doch vor ihr stehen geblieben und hätte gesagt, das wäre nicht[77] übel gewesen und sie solle nur noch einmal tapfer hineinbeißen. Sie habe ihn aber davongejagt, und nur zum Hans Ättinger habe sie das Vertrauen.

Worauf ihr der Mann aus dem Schweizerlande antwortete: »Hätt' insowit wohl mi Vertraua zu dir; fürcht' nur, daß eine Maidle, das sich schon einmal in en Schnurrbart verbisse hätt', möcht licht a Haar zwischen de Zähne stecke blieba si. Und so a Härle tut ke Gut meh. Gott behüt' dich, Schlifermaidle!«

Die traupperte fort, aber was geschah? Das Spreitzer Veferl ging auf ihn zu und fragte, was er denn mit dieser Schleiferdirn zu sprechen hätte? Ob er nicht wisse, was am vergangenen Sonntage geschehen sei – im Wirtshaus unten?

»Was wird denn gscheha si, Närrle? Ein Schoppa han ich mit dir trunka.«

»Und meinst, du wirst mir den Krug geben und einer anderen den Wein?« so fragte das Veferl bitter und war gelb im kleinen Angesicht vor Zorn und Ärgernis. –

Ähnlich erging's dem guten Hans Ättinger mehrmals. So überaus überlegen er mir war, hatte er gegen mich doch nicht den Gesellendünkel, den Lehrlinge so oft erfahren müssen. Er gab sich mit mir ab, er meinte, ein Lehrjunge wäre sozusagen doch auch eine Art von Menschenkind; – und des gedenke ich heute noch mit dankbarer Rührung. So sagte der Schweizer eines Tages – spät abends im Bett war's, und der Meister nicht zugegen – : »Bischt denn du gar nichts wert, Bürschle, daß sie all mich gern hant? Bin jetzund drei Wocha vorhande und zähle fünf oder sechs Wibsbilder, die mir nachlaufa. In dieser Gegend versaure will ich nicht; so[78] lange ich aber da bin, mag mir schon eine tauga. Nur frag ich mein Herrgöttle: die Welch'?«

An der Stelle seines Herrgöttles antwortete ich: »Die Schönste.«

»Ja, die Schönste,« lachte er, »Lehrjung', itzt glaubst, weiß Gott, was du Gescheites gsait häscht. In a paar Wocha, spätestens in ema Monat bin ich fremd und lauf um a Ländle weiter. Wärest du der Tropf und kunntst die Schönste verloo (verlassen)?«

»Da ist leicht geraten,« meinte ich, »nimm die Häßlichste, wird dir das Scheiden weniger Mühe kosten!«

»Wird's ihr um so schwerer. Sie verloo, versetza in Spott, daß sie sich blind tät zahna und ihr Lebelang meina, der groß' Schwizer hätte sie um ihr Glück betroga – das will ich nicht. – Das Bescht wird si, ich mach' es, wie zu Bludenz in Vorarlberg. Bludenz wirscht du doch kenna. Nicht? Ei, schon so groß und nicht in Bludenz gsi! Sechs oder sieben Tagsprüngl hin – für ema Schneider ist das keine Weite. Aber, 's ischt mir Spaß und Ernst auch, ich mach' es, wie zu Bludenz, ich laß mich versteigera.«

Hierauf hat er mir die ganze Geschichte erzählt. In Bludenz bei einem Balle wäre es gewesen; der Tanzboden voll von Weibsbildern, denen alle Pfeifen und Geigen in die Beine gefahren, und zwei oder drei Stück Mannsleute. Die zwei hätten jeder seine Gewisse gehabt, der dritte – und das sei der Schweizer Hans selbst gewesen – wäre von den Weibern umworben worden wie eine Metbude auf dem Jahrmarkt. Sie wären ihm alle lieb gewesen, er wollte keine verschmähen, daher konnte er keine nehmen. Da kam ihm der Gedanke: versteigern![79] Die das Mehrste gibt, die hat ihn, mag sich mit ihm die Füße abtanzen bis zu den Strumpfbändern – und der Erlös gehört den Musikanten. Sind einverstanden gewesen und die Sauberste unter allen tut zuerst den Mund auf und bietet einen alten Batzen. Sie wird überboten, es ist ein Gehetz und Geschrei; im Nu jagen sie die Batzen hinauf bis zu achtzehn – zwanzig. Dann kommen die Ohrgehänge dran, die Fingerringe, und wie die Weiber schon hitzig sind, wenn's um einen Mann geht, reißt die eine ihr neues, rotseidenes Busentuch herab, hält es hoch in die Lüfte wie eine Siegesfahne und schreit: »Das gebe ich! Wer gibt mehr?« – Über ein seidenes Busentuch konnte keine mehr. Der Schweizer wurde ihr zugeschlagen, und wer ist sie gewesen?

»Wer sie gsi ischt?« berichtete der Hans, »die allerältest' Vettel ischts gsi! – – Drei Tänzle hab' ich mit dersele Buß tan und bi drauf nächtig verschwunda.«

»Und nun willst es noch einmal versuchen, Hans?«

»Bi miner Schniderseel, das Späßle mach' ich noch einmal. Was kann mir denn gscheha? Sind lauter subere Maidle, die mir nachjage – ich laß mich versteigera.«

Der Jakobitag wurde dazu bestimmt. Mir fiel die Aufgabe zu, es unter dem Weibervolke lautbar zu machen, daß an diesem Tage nach der Messe beim Hausteinerwirt der schweizerische Schneider versteigert würde. Ich sollte den Hammer handhaben und den Ausrufer machen.

»Mit fünf Groscha fanga mer an,« unterwies er, »und das Geld vermach' ich für ein Armesleuthus.«

Als wir so sprachen, tat sich nebenan ein alter Knecht aus seinem Stroh hervor, der sagte: »Einen[80] Kapitalspaß gibt das, Schneider, aber ich rate dir: paß' auf! Wenn's aus Männerversteigern geht, da bleiben die Jungen weg und just die alten und häßlichen Kreaturen kriechen aus ihren Höhlen hervor und bieten das meiste. Du meinst, du bist findig, mein lieber Hans, aber das sage ich dir: Einer Alten, wenn sie nur ein Haar von dir erwischt, der kommst du nimmer aus!«

»Ischt nicht in den Wind zu schlaga, die Red',« meinte der Hans.

»Ich will dir aber einen Gefallen tun,« sagte der Knecht, »ich schicke meine Alte hin, die tut mit – hockt in einem Winkel und hat allemal zu überbieten, so oft eine Garstige obenauf ist. Bleibst meiner Alten in der Hand, so brauchst dich deshalb nicht zu kränken; laß't ihr heimlich das Geld nach, denn sie hat keins, zahlst ihr ein Schlückel Wein, dann geht sie ihres Weges.«

So wurde es verabredet. Am nächsten Tage teilte der Hans das Unternehmen dem Meister mit. Der Meister schüttelte den Kopf – der war damals schon grau – und sagte, mit solchen Sachen treibe man kein Spiel; wolle der Geselle eine Mannin haben, so solle er es so machen, wie es braven Männern ansteht, sich frischweg eine aussuchen und anheiraten.

Jetzt war's, als der Schweizer das merkwürdige Wort sprach: »Eine ischt mir z'viel und keine isch mir z'wenig.«

»Und zur Halbscheid gibt's nit,« setzte der Meister drauf. Alle drei waren wir nun still und nadelten, und als der Meister zum Bügeln kam, schlug er das heiße Eisen mit großer Entschiedenheit auf den Loden, als wollte er dergestalt sein Wort besiegeln. Wie er dann in die Küche ging, um den Stahl wieder in die Glut zu[81] legen, murmelte der Hans: »Und das Späßle mach' ich doch.«

Am Vorabende des Jakobitages gingen wir – der Schweizer Hans und ich – über die Felder, um die Einzelheiten der morgigen Versteigerung noch einmal zu besprechen und festzustellen. Ich hatte schon Leute dazu geworben und gab der Hoffnung Ausdruck, daß wir eine recht schöne Gesellschaft haben würden.

»Werden denn die Schönen sich einstelle?« fragte der Schweizer.

»Alle kommen. Viele nehmen es gar für Ernst. Ich habe gehört, daß die Schleiferdirn seit gestern ihre Kuh mitsamt dem Kalb zum Verkauf ausbietet. Wenn die ihre Vieher anbringt, nachher – Hans – nachher geht sie weit mit, nachher bleibt sie obenauf.«

»Die Schleiferdirn wäre das größt' Unglück noch nicht,« meinte er.

Noch erinnere ich mich, daß an demselben Tage ein Weib fragen kam, ob verheiratete Frauen auch mitlizitieren dürften.

»Warum nicht,« beschied der Schweizer, »wenn ihnen ihre Männer das Geld dazu gent!«

»Der Meine,« klagte sie dann, »der ist halt gar so viel zuwider auf mich. Ist sonst ein guter Lapp, aber wenn ihm was über die Leber kommt, so laßt er an mir seinen Ärger aus.«

»Lieb's Wible,« versetzte mein Hans, »ischt recht schön von Euch, daß Ihr Eurem Mann lauter Gutes nachsäget. Aber, müssent Ihr wisse: Wenn der Ehemann einmal zerfahre heimkommt und er will sein bitteres Herzli usgießa, vor wem soll er's denn tua, wenn sein treues[82] Hälftli nit sagt: gieß' nur her, wenn dir nachher leichter ischt – mag's willig ertraga? Bei gutem Humor ischt der Mann überall gern g'seha, aber wenn's weh tut da d'rina und trüb ischt und kalt ischt, da braucht er das gutherzig Frauli.«

Sie ging und ließ sich nicht mehr blicken.

Als wir an demselben Abende gegen den Wald hinkamen, blieb der Hans stehen und drückte mit dem Daumen aus einer Kornähre mehrere Körner, die davonspritzten.

»Den Buer, den dieses Kornfeld angeht, söllt ma ein Bitzele auf ema Bock spanna,« sagte der Hans.

»Warum?«

»Ischt die heilig' Gottesgab' schon zitig bis zum Abfalla und der Strolch tut nicht ein Fingerspitzle dergleicha, als ob er sie einmal wöllt schnida.«

»Ja, das ist anders,« belehrte ich den Gesellen, »dieses Kornäckerlein gehört der armen Lehmbacherin, die dort unter den Bäumen ihr Häusel hat. Der ist vor etlich Monaten ihr Mann verstorben und seither kränkelt sie selber und kann ihr Korn nicht schneiden.«

Nach diesem Bescheide kam der Mund des großen Schweizers ganz nahe an mein Ohr: »Was gilt's Jung', mir zwei stelle heut noch was an?«

Wieso er das meine?

»Mir schnidend der armen Witib hüt nacht 's Korn!«

»Wir zwei Schneider?«

»– schnidend ihr 's Korn und verrata's nicht. Wird ein Späßl si, morga früh, wenn sie aufschaut und sieht ihr Korn in Schöberla steha.«

Allein, das Kornfeld war nicht allzu klein, und es[83] gehörten für eine Nacht wohl vier oder fünf Schnitter dazu. Der Mond versprach zu leuchten, er reckte sein weißes Gesichtlein schon über die Berge heraus. Der Gehilfen wegen sprach der Hans im großen Wandegghofe vor. Der Wandegghofer saß eben bei seinem Jausenkrug, schnitt sich Weißbrot dazu und fuchtelte, indem er sprach, mit dem Messer hin und her. »Was das wieder für Narrheiten sind,« sagte er, »könnte mir nicht einfallen. Habe selber noch viel Getreide auf dem Feld und brauch' meine Leut' morgen früh wieder ausgerasteterweis'. Gaulen ohnehin viel nächtig herum in der Nachbarschaft – ginge die Dummheit mit Eurem Kornschneiden just noch ab.«

»Der arma Witfrau z' Lieb wollt' ich's doch vermeina, daß der reich' Wandegghofer –«

»Das käme mir gerade recht auf,« eiferte der Großbauer, »daß man den Schluckern bei der Nacht die Feldfrucht heimse! Und sie selber täten liegen auf der faulen Haut und sich des Morgens in die Faust lachen, wenn die Arbeit getan wäre. Müssen andere auch hart arbeiten, wenn sie was haben wollen. Wer schneidet denn mir die sieben großen Felder, die in der Reise stehen –«

»Wohl wahr, wohl wahr,« sagte mein Schneider sanftmütig, »wöllt's der Wandegghofer nur bedenka: Das Wibl ischt krank.«

»Hab' ihr genug geschenkt!« rief der Bauer, »mit Händen und Füßen lauft alles Bettelvolk zu mir zusammen. Kurzum, ich geb' nichts und ich tu' nichts. Schneid' er selber das Korn, braucht's nicht nächtig Weil, wie zu einem Schelmenstuck –«

»Schon gut, schon gut, Wandegghofer,« unterbrach[84] ihn der Hans, »krieg' ich kei' Schnitter, so bedank ich mich auch für de guta Rat.«

Wir gingen davon. »Das ischt auch einer, der da drinna,« der Hans klopfte sich auf das Brustblatt der Herzgegend, »ema Geldsack hänga hat!«

Zehn Minuten vom Hause begegnete uns der junge Fankermichel. Den ging ich gleich an, ob er uns in dieser Nacht helfen wolle, der Lehmbacherin das Korn zu schneiden.

Der Michel zog mich etliche Schritte beiseite, daß es der Hans nicht sollte hören können, was er mir vertrauen wollte. Und hierauf gestand er, wie er den Spaß gern mitmachen möchte, schade nur, daß er sich für diese Nacht schon versprochen hätte.

»Kann mir's denka,« sagte hernach mein Schweizer, »was der dir hat ins Ohr geblasa: Der hat Säezeit jetzund und ischt zum Ernte nicht zu haba.«

Noch wollten wir zu einem anderen Bauer gehen, da begegnete uns auf der Straße ein Kobelwagen, der von zwei Maultieren dahergezogen wurde. Mein Schweizer rief durch ein Loch der faßartig aufgespannten Plache hinein: »Künnen Se Kornschnida?«

Da wurde es drinnen lebendig. Zuerst kroch ein junger Mann hervor, dann ein alter, dann guckte ein Weib heraus und im Gezelte wimmelte es von Kindern. Die Männer erboten sich; Kornschneiden, das könnten sie. Der Hans war in Freuden und versprach eine Maß Wein zu zahlen – ob nachher, ob im vorhinein – je nach Wunsch. Er rieb sich die Hände: »Das gibt ein Späßle!«[85]

Ich trieb Sicheln auf. Der Hans fand noch eine alte Kräutlerin. »Wenn Sie Korn schnida hilft, so kann Sie morga mitlizitiera!«

.So waren wir – eine wunderliche Rotte mit glitzernden Messern – versammelt im Walde, zunächst am Lehmbacherhäuschen, und erwarteten den Einbruch der Dunkelheit.

Als es auf dem Kirchturme drüben zehn Uhr schlug, verlosch im Häuschen der Witwe der Fensterschein; bald darauf gingen wir still an unser Geschäft. Die Sicheln schimmerten im Mondscheine, aber sie rauschten viel zu sehr, sie rauschten weit lebhafter, als am hellen Tage.

Ich – der ich auf meines Vaters Hofe das Kornschneiden regelrecht gelernt hatte – stellte mich auf Anordnung des Schweizers voran. Hernach kam der alte Mann aus dem Kobelwagen, hierauf folgte die Kräutlerin, nach dieser stand der junge Mann aus dem Kobelwagen und endlich war der Hans.

Der Hans ging uns scharf auf die Fersen und er war es auch, der die tiefsten Einschnitte machte und die größten Garben band. Dabei flüsterte er fortwährend: »Nur voran, Leutle, und kein Lärm macha!«

Da tat die Kräutlerin plötzlich einen Schrei, der drei- und vierfach im Walde widerhallte.

»Geh', mach' keine G'schichta net!« brummte der Hans, »von wegen ema Fröschle da! Wenn das Hupferle sich vor dir erschreckt, so mag ich's eher glauba.«

Nach diesem Auftritte kauerten wir eine Weile am Korn und regten uns nicht. Erst als wir uns überzeugt hatten, daß unten im Lehmbacherhäuschen und weiterhin in den Höfen alles ruhig blieb, begannen wir wieder zu[86] sicheln. – Die Heimchen wisperten, die Halme waren j,;j;;;;

»Wa das für a fröhlichs Schnida ischt in der kühle Nacht!« sagte der Schweizer ermunternd, als er merkte, wie an unseren Helfern Lust und Mut zu erlahmen begannen. Als es zwölf Uhr schlug, gab er das Zeichen zur Rast. Wir setzten uns auf die Garben und trockneten den Schweiß an unseren Häuptern. Drüben im Steghofe schlug der Haushund an.

»Es scheint, dort drüben schläft nicht alles, was liegt,« bemerkte der Alte aus dem Kobelwagen. über dem Himmel strich dort und da eine Sternschnuppe.

»Die Engel tue Steinle werfa,« sagte der Hans, »und wir werden jetzt wieder Korn schnida.«

Damit ging die Arbeit von neuem an. Allzu sein sah es auf den Stoppeln nicht aus, doch der Hans sammelte während des Schneidens und Bindens unablässig die zerstreuten Halme und steckte sie in die Garben. Er war der Emsige und Unermüdliche und Eifrige und alles »des Spaß's wega, wenn die Wittib morga ufschaut und meint, das ganze Korn wär' ihr g'stohla«.

Um drei Uhr waren wir fertig und die Garben standen in einer Reihe von Schöberchen, hübsch geschichtet zum Trocknen und wohlgeborgen gegen Regen.

Die Gehilfen entlohnte der Hans nach seiner Weise, sie sollten sich beim Hausteinerwirt einfinden zum Weine und im übrigen glaube er, der liebe Gott würde das, was er im Schweizerlande tue, auch in Steiermark nicht lassen; es wäre ja sein Geschäft, gute Werke zu segnen. »Aber sein schweiga!« schärfte er noch jedem ein, »der[87] Witib ihr Seliger ischt mit eine Schock Engela dagewese – was soll mer weiter noch reda!«

Als wir beide unserer Wohnung zugingen, mochten wir ein wenig verschlafen dreinlugen und ich gab meiner Besorgnis Ausdruck, daß sein schläfriges Aussehen der Versteigerung nicht zum Vorteile sein dürfte.

»O Herrgöttle von Mannheim!« schrie der Schweizer jetzt auf, »hüt werda mer ja versteigerat.«

Das erste, was er jetzt tat: daß er sich im Kaltbache, der auch zur Sommerszeit bisweilen über Nacht seine Eiszapfen spann, das Gesicht wusch. Dann war er rot und frisch und schaute so munter in die Welt, daß ich ausrief: »Hans, und wenn's ihre Seelen gilt, sie überbieten sich zu Tod um dich, du prächtiger Hans!«

»Du dummer Buab!«

Drei Stunden später machten wir uns auf. Der Hans sah aus wie ein Bräutigam.

»Fünf Grosche zum Erschta!« rief er lustig in den Tag hinaus. Da stand an der Tür auf einmal die Lehmbacherin. Sie war noch jung und sein; sie war sonst blaß und abgehärmt, aber jetzt waren ihre Wangen schier rot wie zwei reifende Äpfel und aus ihren Augen sprang ein ganz merkwürdiges Feuer, als sie uns beide anfaßte, mich mit der linken, den Hans mit der rechten Hand, und die Worte sagte:

»Ihr kommt am besten draus, wenn ihr's offen gesteht!«

»Was sölle mer denn gstoh in Gott's Morgafrüh, kaum einer die Augla ufmachet!«

»Na, na, ihr habt eure Augen heut schon lang offen,«[88] sprach das Weib lebhaft, »Schneider, ihr habt mir in dieser Nacht mein Korn geschnitten!«

»Kunt mir nit infalla! In der Nacht Korn schnida! Nit im Traum, nit einmal denka!« So rief der Hans unwirsch und wie er jetzt einen Blick auf sie warf, da trat er fast erschrocken einen Schritt beiseite und murmelte: »Potz dusig, ischt die noch so jung!«

»Ich kann mir's nicht deuten,« sagte die Witwe, »soll ich euch schelten oder soll ich mich bedanken, ich weiß nicht, wie es gemeint ist. Ich hätte die Frucht noch lange nicht vom Stoppel gebracht. Und heute, wie ich zum Fenster schau, kommt schon die Müllnerin daher und schreit mir's zu. Gleich bin ich auf und weiß selber nicht, wie leicht ich da bin hergekommen. Schneider, ihr seid verraten. Es dank' euch zu tausendmal Gott, ich kann es nicht!« Sie setzte sich erschöpft auf die Türschwelle.

Der Hans zupfte mich am Ärmel, daß ich mit ihm hinter die Bodenstiege komme. »Du, Bürschli,« sagte er dort, »mach' mir de Gefalla, gang ins Wirtshus: sie sollet sich selber umtua, versteigera laß i mi nöt

Ich habe meinen Auftrag ausgerichtet und weil die Stube schon besetzt war mit lustigen Burschen und Dirndln, so wollte ich den Spaß auf eigene Rechnung üben. – Für den Lehrjung' fünf Groschen zum Ersten! – Wer gibt mehr? –

Keine einzige bot, und so bin ich mir geblieben.

Anders der Schweizer Hans. Der hat an jenem Jakobitage die junge Witwe bis an ihr Häuschen begleitet.

Wir haben es noch an demselbigen Tage gesagt: »Dieses Kornschneiden führt zu was.«[89]

Bis zur Hochzeit hat der Schweizer Hans noch bei meinem Meister gearbeitet, dann verkauften sie das Lehmbacherhäuschen und wanderten dem Schweizerlande zu.

In einem Dörfchen bei Appenzell haben sie ihr kleines Heim mit einer Schneiderwerkstatt und einem Kornfeld. Dort habe ich die Leutchen im Jahre 1870 besucht. Der Hans war noch ganz der alte, nur um ein Erkleckliches dicker. Wir wurden heiter und wehmütig in der Erinnerung an vergangene Zeiten; aber einen kleinen Jungen hatte er, den schaukelte er, hob ihn mit beiden Armen hoch in die Lüfte und rief: »Mit so ema Burscha da! Ob's uf der Welt noch ein finer Späßli gibt, will ich fraga!«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 74-90.
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