Die Freisprechung und der ungarische Schneider.

[256] Als die drei Lehrjahre um waren, sagte mein Meister zu mir: »Nächst' Erchtag wirst frei!«

»Was wird denn da sein?« fragte ich, mich erinnernd an die großen Veranstaltungen, Gebräuche und Feierlichkeiten, die sonst bei einer Freisprechung von Lehrlingen stattgefunden hatten. Ein neues Gewand, eine Prüfungsarbeit vor dem Richterstuhle der Innung, eine Predigt vom Lehrmeister, eine feierliche Erklärung und Aufnahme in den Gesellenverband, und Wirtshaus, viel Wirtshaus. Die Schneidergesellen haben ein großes Getue, wenn sie einen Neuen in ihre Mitte kriegen.

»Was wird denn da sein?« fragte ich, da der Tag nahte, ohne daß irgendwelche Anstalt getroffen wurde.

»Da wird gar nichts sein,« antwortete mein Lehrmeister. »Seit der Gewerbefreiheit ist das alles abgekommen. Heut' ist jeder Meister, der S teuer zahlt, hat er was gelernt oder nicht. Alldeswegen gibt's heut' Schuster und Schneider, daß es grad' schwanzelt. Wenn einer auch nichts machen kann, wenn er den Leuten nur's Maul machen kann. Der best' Schwatzer ist heut' der best' Handwerker. Wer den schon sehen, wohin das führt. – Was dich angeht, Peter, so braucht's nur, daß ich nächst Erchtag sag': die drei Jahr' sind aus – und du bist frei.[257]

Das Lehrstück schenk' ich dir, willst aber eins ablegen, so geh' heim und mach' deinem Vater eine neue Joppen. Wird froh sein. Willst extra noch was, so kannst nach Birkfeld hinabgehen und dir vom alten Innungsvorstand – ich weiß gar nicht, wer's jetzt ist – den Freibrief ausstellen lassen; brauchst sonst gar nichts, als meinen Namen und einen Gulden – den mußt du in die Lad' zahlen. Willst ein Freiessen anstellen, so werden dir die Birkfelder Schneider gern dabei helfen; sie können recht passabel Gesundheit trinken – zahlen mußt du. – Ja, mein Bub, ums Geld kann einer heut' alles haben. Zu meiner Zeit war's anders; da ist nur der Fleiß und die Tüchtigkeit was wert gewesen.«

Nach diesen Worten sah ich ihm ins Gesicht, ob in demselben nicht etwa Spuren wären von einem Seitenstoß, der mir gegolten hätte; denn über meine Tüchtigkeit im Handwerke hatte sich weder er, noch mein Gewissen bisher unumwunden ausgesprochen. Indes fuhr er fort:

»Daß dir jetzt das Loch in die Welt offen ist, das weißt. Nur um drei Wochen eher sagen in' mir's, wenn du dich fremd machen willst. Bleibst mir aber noch länger, so gefreut es mich und verhoff' ich, daß wir trutz der vielen Herren Schneider, die ins Land kommen sind jetzund, schon noch Arbeit haben werden, all'zwei. Bei mir hast die Wochen neunzig Kreuzer und kannst es mit der Zeit noch auf einen Gulden bringen. Wer mehr geben kann heutzutag, der zwickt's den Kunden ab. Ich tue, was recht ist.«

Und dieses Gespräch am Arbeitstisch war eigentlich die ganze Freisprechung. Des Meisters Wort hatte ich nun, aber den Gulden hatte ich nicht und so ließ ich den[258] Freibrief fahren. Wenn es in Birkfeld noch ein Schneiderinnungsamt gibt, so habe ich meinen Freibrief noch heute dort zugute. Ich möchte drum bitten.

Ich war freigesprochen, aber die Lehrjahre waren trotzdem für mich noch lange nicht aus. Ich hielt mich als fertig mit zwanzig Lebensjahren und ahnte nicht, wie unermeßlich viel ich in meinem Leben noch sollte lernen müssen.

Besiegelt wurde mein Eintritt in den Gesellenstand an einem der nächsten Sonntage im Wirtshause mit Wein und Braten, vom Meister feierlich vorgesetzt, für mich bezahlt und von mir verzehrt. An dem Abende desselben Tages auf meinem glückseligen Heimweg – denn glückselig war er in meinem Bewußtsein, daß an den Bauernhäusern, die am Wege standen, jetzt kein Schneiderlehrling vorbeiging, sondern ein »Gesell«, der mit anderen Gesellen offen du und du sein darf, und im Wirtshaus sitzen und Tabak rauchen und die Lehrbuben auslachen – auf diesem glückseligen Heimweg schlug sich der Schneider Steff zu mir. Das war ein junges, glattes Männlein mit einem blühweißen Gesicht und einem dunkeln Schnurrbärtchen, ein Freund der Bäuerinnen und ein Ärgernis der alten hausgesessenen Meister. Er hatte sich einige Zeit zuvor in unserer Gegend angesiedelt und in seinem schlechten Deutsch – er war ein Ungar – wußte er den Leuten die Vorzüglichkeit und Billigkeit seiner Arbeiten woltern klar und begreiflich zu machen. Das war der, den mein Lehrmeister mit dem »Schwatzer« gemeint und der uns letzt' Zeit aus dem Hintergrunde öfters das Leben versauert hatte. Der Steff rief mir jetzt einen so lustigen und kameradschaftlichen Gruß zu, als hätten wir seit Erschaffung[259] der Welt miteinander aus einer Schüssel gegessen. Und doch mußte er so gut als ich wissen, daß wir bisher Feinde gewesen waren, denn mein und jedes alten braven Meisters Glaubensbekenntnis mußte lauten: Ein Gott im Himmel und ein Schneidermeister auf Erden!

Ich wäre nun in den tausend Schneiderwerkstätten dieser Erde daheim gewesen, fühlte aber so heiß für die Sache meines Lehrmeisters, daß mich ein Schlag auf sein Geschäft und auf seine Ehre tödlich verwunden konnte. Er selbst war in dieser Sache viel gleichgültiger als ich und er sagte einmal: »Das Ärgern und das Prahlen hilft nichts. Brav und fleißig arbeiten. Die Leut' werden es schon einsehen.«

Der ungarische Schneider schlug mir seine Hand lustig auf die Achsel und beglückwünschte mich, daß ich die harte Lehrzeit hinter mir hätte und nun mein eigener Herr wäre. Hierauf riet er mir, von dieser Eigenschaft auch Gebrauch zu machen und – wie tüchtig mein Lehrmeister auch sein möge – doch zu versuchen, auch einem anderen etwas abzulernen. Ein junger Mensch dürfe nicht hocken bleiben und man lerne nie aus. Es sei auch nicht nötig, alsogleich in die Fremde zu laufen, es gebe auch daheim noch manch geschickten Mann, bei dem man sein Glück versuchen und sich vervollkommnen könne. Endlich lud er mich ein, daß ich bei ihm in Arbeit treten möge und versprach mir allerlei Vorteile und einen Gulden Wochenlohn.

Ich antwortete kurzweg: »Das tue ich nicht. Mein Lehrmeister hat die Plag' mit mir gehabt, so soll er jetzt einen braven Gesellen an mir haben.«

Schneider Steff setzte nun auseinander, wie die drei[260] Lehrjahre lang genug wären, daß ein Lehrmeister Plag' und Vorteil in denselben haben könne, und daß keiner seinen Lehrling freispreche, bevor er nicht zweifach für alle Mühe bezahlt wäre. Außerdem möge ich gelegentlich bei den Leuten auf dem Kirchplatz selber sehen, was für ein Unterschied sei zwischen seinen Hosen und denen meines Lehrmeisters. Er sei kein solcher, der etwa wegen Brotneids oder so was – aber das könne er dreist sagen, die Pantalons mache ihm keiner nach – keiner! mein Lehrmeister am wenigsten.

Das war mir genug. Ich hatte seitlings gar nichts zu tun, aber ich bog vom Wege ab. Ich fühlte mich sehr verletzt und bestrebte mich am nächsten Tage, meinem Lehrmeister doppelte Liebe angedeihen zu lassen, zur Entschädigung für das Feindselige, das über ihn gesagt worden war und von dem er zum Glücke nichts wußte.

Übrigens waren wir in diesen Tagen ein wenig pressiert. Wir arbeiteten auf der Ster beim Unterhefer und hätten gleichzeitig beim Stegbauer und beim Sprenzhofer arbeiten sollen. Dem Stegbauer hatte es der Meister schon an fünf Sonntagen auf dem Kirchweg versprochen: »Ja, du, 's ist wahr, du hast uns schon so viel lang nachgewartet, aber morgen – morgen kommen wir heilig; kannst dich verlassen.«

Und jedesmal war's heilig erlogen. Der Stegbauer wurde endlich ungeduldig und rief meinem Meister auf dem Kirchplatz und just vor dem Weihbrunnkessel zu: »Ihr verdankten Schneider! Ihr habt's mich gefoppt genug. Jetzt nehm' ich den Steff!«

Wir zwei werden vermutlich totenblaß geworden sein, und heute noch fühle ich es kalt über den Rücken laufen,[261] wenn ich an den Eindruck denke, den die Worte: »Jetzt nehm' ich den Steff!« in mir hervorgebracht hatten.

Mein Meister hatte dem Bauer nur noch entgegnet: »Wenn du meinst, daß dir der Krawat besser taugt! Nimm ihn. Ist mir ganz lieb.« Und halb betäubt waren wir vom Platz getorkelt.

Das Stegbauernhaus – seit Menschengedenken dem Natz getreu – war verloren. Hingegen der Spreitzhofer, ein guter Freund und Musikantenbruder vom Meister – mein Meister blies in der Kirche die Trompete, der Spreitzhofer das Flügelhorn – war ohne Mühe noch zu halten, wenn wir ihm die letzten Tage dieser Woche ins Haus kommen konnten.

So arbeiteten wir beim Unterhefer spät in die Nacht hinein und gingen erst um elf Uhr zu Bette. Da war's am Dienstagabend, wir hatten schon ausgelöscht und ich auf dem Stroh meinen Leib versucht, ob er nach einem sechzehnstündigen Gekrümmtsein doch etwa noch in die Grade und in die Länge ginge, als wir an der Haustür ein heftiges Gepolter hörten. Bevor man sich noch unter die Decke retten konnte, wurden auch schon Stimmen gehört: »Die Patrull ist da!«

Jetzt krochen wir hervor. Die »Patrull« hat für einen ehrlichen Menschen nichts Schreckliches, hingegen etwas sehr Beruhigendes, denn sie ist der Arm des Gesetzes. Anfangs ist sie bloß der Finger – und zwar der Zeigefinger. Da wird eines Tages dem Dorfrichter die Anzeige gemacht, es gebe allerlei Vagabunden und verdächtiges Gesindel in der Gegend. Eine Streifung und Säuberung tut not. – Die Mitglieder entlegener Landgemeinden sind ihre eigene Polizei und wenn ein Teil[262] ihrer Steuer »Sicherheitssteuer« heißt, so kommt der Name nicht etwa davon, daß der Staat durch diese Steuer die Sicherheit ihres Eigentums wahrt, sondern davon, daß sie versichert sein können: der Dieb kommt aus. Hingegen geht der Sicherheitswachmann hernach mit Nachdruck an die Verfolgung, er mißt die Dicke der Tür, durch welche eingebrochen worden ist, zählt die Sprossen der Leiter, über die der Dieb klettern mußte, untersucht das Stemmeisen, durch welches die Kästen gesprengt sind, läßt sich genau berichten, was entwendet, läßt auch schätzen, wie hoch sich das Entwendete im Wert beläuft – schreibt all das sauber auf einen Bogen Papier, zündet sich eine Zigarre an und trägt den Bogen Papier ins Bezirksamt, wo selbiger in das Fach der Diebstähle gelegt wird.

Jeder Staatsbürger tut daher gut, seine Sicherheitssteuer zu zahlen und darauf zu achten, daß ihm nichts gestohlen wird. Darum stand in einer Nacht der Dorfrichter von Hauenstein aus seinem Bette auf und untersuchte zuerst sein eigen Haus und Hof. Da fand sich außer einigen Unregelmäßigkeiten in den Liegerstätten des Gesindes nichts Verdächtiges vor. Dann ging der Richter zum Nachbar, weckte den auf: »Geh' mit, bettlerstreifen, 's tut not.« Sogleich wurde auch des Nachbars Haus durchsucht, dann gingen die zwei miteinander, klopften an jedem Hause: »Die Patrull ist da!« durchsuchten überall die Räume von oben bis unten und nahmen von jedem Hause für die weitere Streifung den Bauer und die Knechte mit. So wuchs die »Patrull« bald zu einem ansehnlichen Haufen und so hatte sie nun auch an das Tor des Unterhefers gepocht.

»Der Unterhefer ist nicht daheim, ist auf den Ochsenhandel[263] ausgegangen, und der Knecht liegt krank.« Diesen Bescheid rief mein Meister zum Fenster hinaus.

»Wer sagt's denn?« fragte der Dorfrichter.

»Der Schneider Natz.«

»So muß der Schneider Natz mit.«

»Mein Gesell' kann gehen, ich bin gar nimmer jung.«

»Der Gesell' muß auch mit.«

Es half uns nichts. Eine so seine warme Grube wir jeder in unserem Stroh uns gehöhlt hatten, wir mußten aufstehen und »streifen« gehen.

Im Unterheferhause fand sich nichts, nicht einmal der kranke Knecht Michel, der in der Scheune sein Bett hatte. Neben diesem Bette standen zwei große Medizinflaschen, worauf zu lesen: »Alle Stund' einen Eßlöffel voll.« Aber das Nest war leer und kalt, als hätte man seinen Inhaber schon hinausgetragen.

Ohne des Rätsels Lösung zu finden, zogen wir weiter zum nächsten Hause.

Hier fanden wir auf dem Heuboden eine Bettlerfamilie, deren Oberhaupt uns versicherte, daß es seit fünf und einem halben Jahre nichts mehr gestohlen habe. Die Leute wurden durch eine Abteilung der Patrull ins Gemeindehaus gebracht.

Beim Wallhofbauern sprang, als wir uns dem Hause näherten, ein Strolch aus dem Dachfenster, von dem der Wallhofbauer nicht wußte, wie er auf den Dachboden gekommen wäre.

»Den sperren wir nicht ein,« sagte der Dorfrichter.

»Warum nicht?« fragte ich entrüstet.

»Weil wir ihn nicht erwischen.«

Überall, wohin wir kamen, öffneten uns die Leute[264] Tür und Tor, und mancher Hausvater überantwortete uns den Gast, welchen er über Nacht unter sein Dach genommen hatte. Wer einen guten Paß hatte, durfte sich wieder auf die Haut legen.

Manch anderer jedoch war sehr erstaunt über das zur nächtlichen Weile so plötzlich hereinbrechende Strafgericht. Einer von diesen sagte: »Saggra, ihr seid's ärger als wie unsereiner. Wenn ich mir bei der Nacht in einem Hause schon was nehmen will, so geb' ich Achting, daß ich die Leut' nicht aus dem Schlaf schreck' – weil das nicht gesund ist. Und ihr da, ihr fallt's gleich über den nachtschlafenden Menschen her, schreit's ihm ins Ohr, daß er die Fraiß kunnt kriegen, nehmt's den ganzen Kerl mit und fragt's nicht, ob er euch gehört. Das ist eine Gewalttätigkeit, meine Herren, gegen die ich mich sehr verwarne!«

Der Schmiedmeister von Hauenstein war unter uns, der erschrak, als er diese Stimme hörte, die bekannte Stimme. Einen ehemaligen Gesellen von ihm als Vagabunden zu finden!

In einem anderen Hause, in einem Bette der Futterkammer, an dessen Wand zu Häupten der süße Name Maria stand, fanden wir – den kranken Knecht Michel vom Unterhefer.

»Michel!« rief der Dorfrichter, »du versäumst das Einnehmen. Alle Stund' einen Eßlöffel voll!«

Der im Zustande üppigster Gesundheit so schmachvoll ertappte Kranke sprang mit einem Fluch aus dem Bett und davon. Der Richter hielt die Laterne über das Bett und sagte zu einem großen Knäuel, welcher unter der Decke lag: »Jetzt hast auch du ein' Fried.«

Als wir unser »Patrull ist da!« vor dem Spreitzhoferhause[265] riefen und der Bauer zum Fenster auf uns heraussah, wollte er nicht ausmachen.

»Mußt was Verdächtiges haben in deinem Haus!« bemerkte der Richter.

»Gewiß nicht. Von was Verdächtigem ist bei nur keine Red', darauf könnt's euch verlassen.«

»So kannst uns um so leichter hineinlassen. Jedem wird heut' das Haus durchsucht.«

»Ich bin der Spreitzhofer, und wenn ich sag', in meinem Haus gibt's nichts Verdächtiges, so wird's auch so sein. Ich bin ein ehrlicher Bauer und aussuchen laß ich mich nicht.«

»Wie kommst mir denn vor, Spreitzhofer?« sagte der Richter, »bist sonst in so Sachen ja nicht selberhörig. Wirst es doch nicht drauf ankommen lassen, daß wir die Tür aufbrechen.«

Da öffnete der Mann. Als wir ins Haus traten und er in der Dunkelheit den Tisch noch abgeräumt hatte, reichte ihm mein Meister die Hand: »Daß du mir ja nicht bös wirst, Spreitzhofer, aber es ist uns bisher frisch nicht möglich gewesen. Beim Unterhefer müssen wir fertig machen, voreh. Aber wir kommen dir noch in dieser Woche, die letzten Tage. Aber schon ganz gewiß!«

Der Bauer murmelte was und ging mit uns, die Stuben, Gelasse und Gemächer seines Hauses aufzusperren. Überall alles in Ordnung. Auf der Rückkehr sagte der Richter: »Da ist auch noch eine Tür, die hast uns nicht ausgemacht.«

»Hab' den Schlüssel nicht bei der Hand,« antwortete der Spreitzhofer.

»So hol' ihn, wir warten ja gern.«[266]

»Haben ihm den Bart gebrochen, ist jetzt beim Schmied.«

»Bei mir hast keinen Schlüssel,« redete der Schmied drein. Jetzt bemerkte der Bauer, der bisher sein Auge immer auf mich und meinen Meister geheftet hatte, erst die Gegenwart des Schmiedes.

»Ja, ja, ja,« knurrte er, »mußt nit glauben, du wärst der einzige Schmied auf der Welt.«

»Teremtete! Draußen wos is für verdammtér Lärm!« rief innerhalb der geschlossenen Tür plötzlich eine Stimme. Die Männer blickten sich an. Mein Meister erblaßte, und ich wußte warum.

Der Spreitzhofer machte jetzt die Tür auf, und was sahen wir?

Den ungarischen Schneider in der Unterhose.

»Meister Steffan!« rief der Richter. »Aber Bauer, wesweg hast denn mit diesem braven Mann so heimlich getan?«

»Dumm genug,« sagte der Spreitzhofer mit einem ärgerlichen Seitenblick auf uns. »Aber man muß den Brotneid kennen.«

Jetzt trat mein Meister zum Bauer und fragte mit leiser, aber doch sehr nachdrücklicher Stimme: »Wie meinst du das, Spreitzhofer? Wenn es meinetwegen ist, und du glaubst, daß du mich beleidigen wirst, weil du mich auf die Ster gebeten und einen andern genommen hast, so irrst du dich. Ist mir allemal eine Ehr' gewesen in deinem Haus, aber drauf anstehn tu' ich nicht. Du kannst dir Schneider nehmen, welchen du willst, und wenn du einen hast, den du der Patrull verheimlichen zu müssen glaubst, so geht das einen andern nichts an.«[267]

Als ich diese herrlichen Worte des Meisters hörte, ging ein Wonnegefühl durch mein Herz. Der verhaßte Nebenbuhler einerseits und der abtrünnige Bauer anderseits hatten das ihre.

Hierauf graute der Morgen und die Patrull zerstreute sich. Wir gingen zum Niederhefer zurück. Am nächsten Abend, zwischen der Lichten, besuchte ich den kranken Knecht Michel in der Scheune. Er war wohl noch etwas blaß und erschöpft, aber Rekonvaleszent. Er schien keine Ahnung zu haben, daß ich von der nächtlichen Streifung etwas wisse. Als ich ihn fragte, wie er die Nächte zubringe, antwortete er, mißmutig die Achsel zuckend: »Schlaflos, schlaflos.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 256-268.
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