Als ich um Hasenöl geschickt wurde

[36] Im Jahre soundsoviel hatten wir zu Pfingsten noch einen Kübel Schweinsfett vorrätig. Der Vater hatte ihn nicht verkauft, weil er meinte, die Mutter würde ihn zu Hause aufbrauchen, und die Mutter hatte ihn nicht aufgebraucht, weil sie glaubte, der Vater würde ihn ja verkaufen wollen. Und während dieses wirtschaftlichen Zwiespaltes war das Fett ranzig geworden. Jetzt hätte es die Mutter gerne verkocht, allein so oft ein Sterz mit diesem Fette auf den Tisch kam, schnupperten die Knechte mit der Nase und sagten: Schusterschmer äßen sie nicht! Es war aber kein Schusterschmer, es war heilig ein echtes reines Schweinsfett und das wußten sie auch, und deshalb war es höllisch bösartig, daß sie solche Reden führten. Die Mutter war sonst ein sehr frohes und glückliches Weib, wenn aber ein Dienstbote über die Kost klagte, da wurde sie ganz verzagt und lud die anspruchsvollen Knechte wohl auch ein, sich nur selber einmal zum Herde zu stellen und mit den vorhandenen Mitteln eine Prälatenmahlzeit zu kochen. Unter Prälatenmahlzeit verstanden wir nämlich nichts Schlechtes.

Nun hatten wir zu dieser Zeit noch die alte Einlegerin im Hause, die für alles einen guten Rat wußte. Sie war zwar auf beiden Augen blind, sah aber doch gleich, was da zu machen war.

»Ein schlechtes Schweinschmalz hast, Bäuerin!« rief sie kecklich aus, »ranziges Schmalz kaufen sie nur noch in der Apotheken, sonst nirgends nit und gewiß auch noch!«[37]

Ja, die Apotheken, das ist wahr. Die hat im vorigen Jahre auch Gamswurzeln genommen und Arnikablumen und gedörrte Hetschepetsch, die nimmt alles, was schmeckt (riecht), die nimmt auch das Schweineschmalz. Und ich, der zwölfjährige Hausbub, bin hervorgesucht worden, um am Pfingstmorgen zeitlich in der Früh das Kübelchen beim Henkel an den Stock zu hängen und so über der Achsel hinabzutragen nach Kindberg in die Apotheke. Und bei dieser Gelegenheit sollte ich auch etwas anderes besorgen.

Da hatten wir zur selbigen Zeit einen alten Weber in der Einwohne, der nahm, wenn keine Arbeit war, oft den Kopf in beide Hände, brummte schier unheimlich vor sich hin und sagte dann zu dem, der just da war: »Mensch, ich werde blöd. Just, als hätte ich ein Hummelnest im Kopf, so tut's brummen, weiß der Ganggerl, was das ist. Immer einmal ganz dumm komm' ich mir vor, das ist mir jetzt schon zu dumm!«

Und antwortete ihm nun auf einmal die alte Einlegerin: »Wenn du dumm bist, Hartl, so mußt du dir mit Hasenöl die Schläfe einschmieren.«

»Alte Dudel, wo soll denn ich ein Hasenöl hernehmen?« begehrte der Weber auf.

»In der Apotheken kriegt man's,« lautete ihr Bescheid, und so sollte ich nun für den Weber Hartl um zwei Groschen Hasenöl einkaufen in der Apotheke zu Kindberg. Hasenöl? Geben denn diese Tiere auch Öl, so wie der Leinsamen und der Rüps? Natürlich wird's so sein, denn, wenn's kein Hasenöl gäbe, so könnte man ja keins kaufen.

Als ich nach langem Marsche gegen Mittag mit meinem Küblein in die lateinische Küche zu Kindberg kam, hieß es dort, Schweinsfett brauche man jetzt nicht, und wäre es auch ganz frisch.[38]

»Es ist aber nit frisch!« versicherte ich, »es schmeckt schon!«

Dann sollte ich nur in die Apotheke nach Bruck hinabgehen! meinte der Herr lachend, ich aber dachte: Wenn du mir kein Schweinsfett abkaufst, so kaufe ich dir kein Hasenöl ab – und machte mich auf den Weg. – Daß es aber so lange Straßen geben kann auf der Welt, wie dieser Weg war bis Bruck! An beiden Seiten des Tales Berge und Gräben, das Wasser einmal rechts und dann links und dann wieder rechts; ein Dorf ums andere, dieses hatte einen Kirchturm, jenes keinen, in manchem Wirtshause gab es Musik, in manchem helles Geschrei; mancher Wanderer lallte taumelnd des Weges dahin, mancher ruhte friedsam im Straßengraben – und immer so fort. Allzumal muß auch erzählt werden, daß die Sonne sehr heiß schien und mein Schweinsfett hinter dem Rücken Fluchtversuche machte, wie später an den Spuren auf meinem Rock zu bemerken war.

Bruck ist eine Stadt. Ich hatte noch nie eine Stadt gesehen. Ein vielgereister Handwerksbursche hatte bei uns einmal erzählt, Wien, Paris und Bruck wären die größten Städte der Welt und in Bruck stünde das achte Weltwunder: ein eiserner Brunnen.

Auf dem Wege zu solchen Merkwürdigkeiten wird man nicht müde. Die Sonne ging schon hinter den Berg hinüber, als ich mit meinem Küblein einzog in die große Stadt Bruck. Mein erstes war, dem eisernen Brunnen nachzufragen, denn auf dieses Wunder war ich vor allem gespannt. Welche Enttäuschung, als aus einem rostigen Gitterwerke ein Brunnen herausrann, ganz wie jeder andere Brunnen auch – von Wasser, und nicht von Eisen!

Die Apotheke ließ sich auch nicht lange suchen, stand doch der heilige Josef mit dem Knäblein an die Tür gemalt,[39] und der steht, das wußte ich schon, immer bei den Apotheken. Da drinnen war ein altes weißköpfiges Männlein mit Brillen, die es dazu benützte, über- oder unterhalb derselben recht schalkhaft auf mich herzublicken, als ich mein Schweinsfett ausbot, das Pfund um sieben Groschen. Er fragte, ob Safran in der Butter wäre! worauf ich eine Weile tat, als besänne ich mich.

»Na na,« sprach das Herrlein, »wenn du deine Schmier nicht gern gibst, so geh' nur gleich wieder!« Da ließ ich sie ihm ab. Er wog das Küblein mit einer unendlichen Gleichgültigkeit, das gab gerade drei Pfund, das Holz wie das Fett zahlte er pro Pfund zu fünf Groschen. Der Kübel wurde in eine dunkle Nebenkammer getragen, leichten Herzens bin ich von ihm geschieden. – Und nun um zwei Groschen Hasenöl! – Schön! Solle in einer Viertelstunde wiederkommen.

Ich war hungrig und durstig geworden, ging hinaus und suchte ein Wirtshaus. Es standen ihrer ein paar stattliche da herum, mit großen Fensterscheiben, durch die schneeweiß gedeckte Tische zu sehen waren. Ich traute ihnen nicht recht. Wenn andere gute Wirtshäuser suchen, so ist das ihre Sache, ich für mein Teil suchte ein schlechtes, mir wohl bewußt, was draufgehen durfte. Glücklich fand ich das gesuchte; die Stube war dunkel und voller Fliegen, die an den braunen kleberigen Holztischen herumkrochen; das halbe Seidel Wein war lau und kamig, aber naß, und das genügte mir. Die Semmel von vorgestern war schon deshalb zweckmäßig, weil sie mehr ausgab als etwa eine von heute. Diese Genüsse verschlangen zu meinem nicht geringen Schrecken ein halbes Pfund Schweinsfett, und ich – als der bloß nach Kindberg geschickte – durfte über das Kapital nicht verfügen![40] In die Apotheke zurückgekehrt, gab es dort Leute. Ich hatte zu warten und setzte mich hinterwärts auf eine Winkelbank, von der aus schön zu sehen war, wie dieses ehrwürdige Geschäft, mit allerhand Mitteln die Leute gesund zu machen, betrieben wurde. Da kam jemand und verlangte Fuchsschmalz. Das alte Männlein langte einen schwefelgelben Tiegel vom Gesimse, stach mit einem zierlichen Schaufelchen ein Batzlein heraus auf ein Papier, legte es auf die kleine Wage: »So, Vetter, da sind vier Quintel Fuchsschmalz, kosten zwei Groschen.« Hernach verlangte eine Frau Pillen. Eine andere bekam ein winziges Fläschchen. Eine Knabe begehrte Dachsfett als Mittel gegen den Kropf. Der Apotheker langte emsig nach dem schwefelgelben Tiegel auf dem Gesimse und gab, ähnlich wie früher, das Verlangte. Das fiel mir auf, er mußte sich vergriffen haben, in diesem Tiegel war doch das Fuchsschmalz. Hierauf wurden Pulver angefertigt und kleine Schächtelchen und Fläschchen allerlei. Ein altes Weib kam hereingehumpelt, beklagte sich über die Gicht und ob sie nicht eine Gichtsalbe haben könne. »Gewiß, liebe Frau!« sagte das Männlein, langte wieder nach dem schwefelgelben Tiegel und gab die Gichtsalbe heraus. Jetzt hub dieser schwefelgelbe Tiegel auf dem Gesimse an, mir unheimlich zu werden. Weil die Zeit verging und ich immer noch nicht bemerkt wurde, so trat ich endlich aus dem Winkel hervor und bat um mein Hasenöl.

»Ei ja richtig, Kleiner. Du bist auch da. Du bekommst Hasenöl!« sprach freundlich das Männlein, nahm den Schwefelgelben vom Gesimse und stach mir gestocktes Hasenöl heraus.

Noch hatte ich das kostbare Mittel, welches in ein ganz kleines Tiegelchen getan war, kaum geborgen in meinem verläßlichsten Rocksack, und es redlich bezahlt, als wieder[41] ein Frauchen zur Tür hereinkam und fragte, ob frisches Schweinsfett zu haben währe als Medizin?

»Vollkommen frisch!« rief der Apotheker, »heute erst bekommen!« und stach aus dem schwefelgelben Tiegel Schweinsfett.

Hierauf bin ich fortgegangen und habe gleich bei mir selber die Erfahrung gemacht, wie heilsam so ein bißchen Hasenöl ist gegen die Dummheit. – Fuchsschmalz, Dachsfett, Gichtpflaster, Hasenöl und Schweinsfett, alles in einem Tiegel! Jetzt erst ist mir klar geworden, welch einen Schatz von köstlichen Arzneien ich in meinem Kübel aus dem Gebirge herabgeschleppt hatte. –

Als ich von der Bruckerstadt fortging, lagen die Schatten der Berge schon weit in das Tal hinein. Meine Füße hatten sich in schwerem Schuhwerk heiß gegangen, auch das Atemziehen machte sich wichtig und es war, als ob mir jemand ein hartes Brett fest an die Brust gebunden hätte. Nach Alpel war es bloß noch acht Stunden. Weil es etwas langsam voran ging, so holte mich ein Fuhrwerk ein. Zwei klobige Pferde zogen einen großen Bauernwagen, auf dessen Vordersitz ein Bursche, etwa in meinem Alter, kutschierte. Der Wagen selbst war fast leer. Er war mit Lärchentaufeln nach Bruck zum Faßbinder gefahren, auf dem Rückweg hatte er einen Sack Feldbohnen und einen Stock Salz aufgeladen; daneben war noch reichlich Platz für einen einfältigen Buben, der am Leiblein ein paar müde Beine hatte, hingegen aber in der Tasche die Salbe für Dummköpfe, die gescheit werden wollen. Ich war bereits so gescheit, um den Burschen auf dem Wagen anzurufen, ob er mich aufsitzen lassen wolle.

»Wohin willst denn?« fragte er fast vornehm von seiner Höhe herab.[42]

»Heimzu.«

»So setz' dich auf, ich fahr' auch heimzu.«

Bald war der Bohnensack mein Kopfkissen und der Salzstock mein Schlafkamerad, der Fuhrmann schnalzte mit der Peitsche und es ging knarrend voran. – Viel weiß ich nicht von derselbigen Fahrt »heimzu«. Einmal, als ganz zufällig die Augen ausgingen, sah ich kohlschwarze Baumzacken in den nächtigen Himmel aufragen, welche ganz unheimlich ächzten, knarrten und holperten. Und dann wieder nichts.

Als ich erwachte, na, da war etwas! Da lag ich auf dem Wagen unter einem alten Holzschoppen, um mich war ein heller Tag, und eine fremde Welt. Eine schreckbar fremde Welt. Der rauschende Bach mit der Mühle daneben, das gemauerte Haus mit einer breiten, braunangestrichenen Tür, der Anger mit den Pferden und solcherlei war mir seltsam genug, noch unheimlicher war etwas anderes. Dort hinter den Waldbergen stand breit und hoch etwas Weißes, Leuchtendes auf, fast ähnlich den mittägigen Sommerwolken, wie sie sich am Sehkreise aufbauen, wenn's nachmittags Gewitter gibt. Aber das stand so starr und ruppig und rissig da im Sonnenschein, und von unten hinauf sah es aus, als ob blaue Wälder sich hinanzögen, von steilen grauen Streifen überall unterbrochen. Und höher oben war alles wie purer Stein, der zerklüftet und zersprungen ist. Und so war es voran oben und so war es rechts oben und so war es links oben und überall die ungeheure Höhe, daß mir schwindlig ward, als ich den Kopf so weit nach rückwärts bog, um hinaufzuschauen. Mein Lebtag hatte ich derlei nicht gesehen. Zum Glücke kam nun mein junger Fuhrmann, der fragte mit lautem Lachen, ob ich gut ausgeschlafen hätte. Vom Wagen gesprungen war[43] ich schon; so rief ich nun voll Entsetzen: »Mensch, wohin hast mich geführt?«

»Heimzu!« lachte er, »da bin ich daheim.«

»Wie heißt's denn da?«

»Da heißt's Tragöß,« sagte er.

»Und das da droben? Was ist denn das lauter?«

»Die Berge meinst?«

»Nit die Berge, was hinter den Bergen so steht, das meine ich.«

»Jeßtl!« lachte der Bursche und klatschte mit beiden Händen auf seine Knie, »das sind halt wieder Berge, die Steinberge, und du sollst jetzt ins Haus gehen Suppen essen.«

So habe ich an jenem Morgen das erstemal die hohen Felsenberge in der Nähe gesehen und jene Gegend, aus der mir fünfundzwanzig Jahre später der Geist zu meinem »Gottsucher« aufgestiegen ist. Auf dem Tisch der Hausstube, in die der Junge mich geführt, stand schon die dampfende Suppenschüssel mit weißem Brote. Ich wollte aber den Löffel nicht in die Hand nehmen; ißt du, so gehörst du ihnen, mußt dableiben und weißt gar nit, wer sie sind. Von der Küche kam ein älteres Weib herein, das schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als es hörte, wie weit ich verführt worden war, und daß ich anstatt nach Krieglach im Mürztale, nach Tragöß am Fuß des Hochschwabengebirges gekommen bin.

»Jetzt mußt erst recht essen, Bübel, daß du nachher heimgehen magst.«

»Frau Mutter, wie weit hab' ich denn heim?«

»Jetzt wart' einmal,« antwortete sie und hub an, an ihren Fingern die Ortschaften und die Stunden abzuzählen, »ihrer zwölf Stunden wirst wohl brauchen bis ins Krieglach[44] hinaus. Bist aber schon ein rechtes Tschapperl! So fest schlafen! Mein Seppel hat's freilich nit wissen können, wo du hinwillst, und hat sich gedacht, 's wird eh' recht sein ins Tragöß herein. Aber das ist jetzt schon ein helles Kreuz. Mach' dir nur nichts draus, mein Wagen hat dich hergeführt und dein Schutzengel wird dich hinführen.«

Während sie mich so tröstete, war draußen in der Küche fortwährend ein klägliches Wimmern, und nun kam der Seppel herein und berichtete, das Mentschl hätte halt wieder gar so viel Zahnweh.

»Was aber das Zahnweh für ein Elend ist!« rief das Weib, »jetzt leidet das Kind schon die ganze Nacht wie eine arme Seel' im Fegfeuer. Alles haben wir schon angewendet: heiße Tücher aufgelegt, kaltes Wasser in den Mund getan, mit Rosenbuschbalsam ausgewaschen, Kalmusgeist hineingetropft, mit Salz eingerieben, einen Mariazeller Rosenkranz umgehängt, zwei Zehen mit einem Seidenfaden zusammengebunden, die Füße ins Ofenloch gesteckt, und sonst allerhand angewendet. Einen Kletzen hat's geholfen! Schreien tut das arme Wesen, als ob man's wollt' köpfen, und jetzt weiß ich nichts mehr, – Katherl, Katherl, du gutes, armes Kindel du! Wart' einmal, jetzt will ich dir Hühnermist aufs Gnack legen, das zieht's aus, das hilft, Katherl, wirst es schon sehen, das hilft!« Damit eilte sie wieder hinaus in die Küche.

Das ganze Hausgesinde war zusammengeeilt um die Leidende, die nun neuerdings anhub, herzbrecherisch zu schreien: »Mein Zahnt, mein Zahnt! Ahndl, mein Zahnt tut mir so viel weh!«

»Laß nur Zeit,« tröstete die Angerufene, »das Mittel greift halt an, jetzt wird's bald besser sein, schau, bist ja mein liebes Katherl, du!«[45]

Auch ich war in die Küche hinausgegangen. Auf dem Herde, mit den Füßen im Ofenloch, kauerte ein Dirndl, das ein rundes, liebes Gesichtlein hatte, seine gefalteten Hände wie um Hilfe flehend an die rechte geschwollene Wange preßte und mich schrecklich erbarmte. Jedes im Hause hatte schließlich noch ein Mittel gewußt, keines und gar keines hatte geholfen. Ein Mensch war zugegen, der behauptete, Dummheit wär's, die Zähne nicht ordentlich zu pflegen, und deswegen alleweil das Zahnweh! – Gott, wenn's von der Dummheit kommt, da muß ja mein Hasenöl helfen! – Aus meinem tiefen Sacke zog ich das kostbare Tiegelchen hervor und aus meinem gescheiten Kopf den guten Rat, mit diesem gestockten Hasenöl die geschwollene Wange einzuschmieren. – »Schaden wird's wohl doch nit; wenn's ein Hasenöl von der Apotheken ist, kann's unmöglich schaden!« sprach die Großmutter und fettete das Dirndel ein. – Nicht fünf Minuten, so rief die Kleine aus: »Ahndl, jetzt ist's gut!« und flink sprang sie vom Herde herab.

Freilich ging nun meine Not an, denn alles Hasenöl wollten sie haben, ich sollt nur sagen, was es kostet! Von ihren dringenden Bitten kamen sie erst ab, als das geheilte Dirndel erklärte, der Zahn wäre so fest gut geworden, daß er gar nimmer wehtun werde, also konnte ich mein Öl wieder in den Sack stecken und sehen, wie man von Tragöß nach Krieglach-Alpel kommt.

Unterwegs bedachte ich das Hasenöl. Wenn es beim dummen Weberhartl auch so heftig wirkt, wie bei dem Zahnwehdirndl, dann geht er mit den drei Weisen aus dem Morgenlande als der vierte.

Nach einer fünfstündigen Wanderung war ich beiläufig wieder dort, wo der müde Junge einen Tag früher in den Bauernwagen gestiegen. In einem Gehöfte sprach[46] ich zu und fragte, wieviel es an der Uhr sei, wie weit es noch bis Krieglach wäre, ob ich wohl den richtigen Weg hätte. Die gründlichsten Auskünfte haben sie gegeben, jedoch, ob ich etwa einen Löffel Suppe möchte, das fragte niemand. Unter einem Kirschbaum lag ein Mensch und wimmerte vor Kopf weh: alsogleich wollte ich mein Mittel anbieten, jedoch ein Weibsbild, das da war, behauptete scharf und stramm, das Kopfweh sei in der vorigen Nacht in einem Wirtshause eingekauft worden und vor dem Abend gebe es gar kein Mittel; am Abend aber würde dieser Kopf schon von selber gut, hingegen dürften nachher dem, der ihn auf hätte, die Backen weh tun! – Eine Handbewegung des Weibes hat das undeutliche Wort sehr klar gestellt.

Unterwegs nach Krieglach lud mich ein Flossenführer (Roheisenführer) ein, auf seinen Eisenschollen Platz zu nehmen; ich besorgte, auch der möchte mich »heimzu« führen in die Stanz oder in die Veitsch oder sonstwohin; wollte daher ablehnen. Der Fuhrmann kannte mich aber und sagte, daß er über Alpel nach dem Rettenegger Hammer fahre – ja das war freilich eine Schickung Gottes. Gelegen bin ich mein Lebtag schon weicher, als damals auf den Eisenflossen, geschlafen habe ich selten besser. Richtig hätte ich mich jetzt auch an Alpel vorbei bis weit hinüber ins Rettenegg geschlafen, wenn mein Führer mich nicht abgesetzt hätte beim Heidenbauerntörl, nahe von daheim.

Um Mitternacht kam ich zu Hause an. Sie waren ein wenig in Spannung und schliefen noch nicht. »Wir haben schon gemeint, der Kindberger Apotheker hat zum Schweinschmalz dich selber als Draufgab' genommen,« sagte der Vater, das war Spaß. Dem alten Weberhartl jedoch war etwas anderes eingefallen. Er erinnerte sich einmal[47] gehört zu haben, daß die Apotheker jährlich ein Menschenkind abtäten, um daraus eine ganz besondere Medizin für ganz besondere Krankheiten zu gewinnen. – Es war wohl die höchste Zeit für den alten Hartl, daß ich mit dem Hasenöl heimkam!

Erst steckte er seine Nase ins Tiegelchen. »Scharf schmecken tut's, das wird schon angreifen,« murmelte er, »tut eh' schon wieder so viel brummen im Kopf.« Mein Vater roch auch und schaute mich grauenhaft strenge an. – Ich hatte nie begriffen, weshalb die Apotheker auf jeden Tiegel, den sie verkaufen, einen Zettel mit ihrem Namen und Wohnort kleben. Jetzt ward es mir klar, ohne diesen Zettel auf dem Tiegelchen hätte man es mir daheim niemals geglaubt, daß ich mein Hasenöl nicht aus dem Schweinsfettkübel genommen, sondern aus der Apotheke zum heiligen Josef in Bruck.

»Hat er's genommen wo der will,« rief der alte Weber hochgemut aus, »wenn's nur hilft!« und begann sich gleich die Stirn einzureiben mit dem Hasenöl.

Hat's geholfen? – Nun, die Wahrheit zu sagen, beim alten Weberhartl konnte eine nennenswerte Besserung nicht nachgewiesen werden, hingegen ist mein Vater durch dieses Hasenöl klüger geworden, ob schon er sich damit gar nicht eingerieben hatte. Er hat wohl auch in späterer Zeit noch manches Küblein Schweinsfett, manches Bündlein Wurzeln und Kräuter in die Apotheke geschickt – holen aber ließ er nichts mehr aus ihr. – Das heilsame »Hasenöl« hat uns für alle Zukunft geheilt.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 36-48.
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