[190] Im rosenton Hans Sachsen.
26. jenner 1546.
1.
In Cypern saß ein edelmane
hieß Aristippus, wol getane,[190]
der het ein son Cymon genant,
den tet er hinaus auf das lant,
zu bleiben in der bauren zunfte,
weil er war on sin und vernunfte.
Der fund in einer grünen wiesen,
ein silber klares brünlein fliesen
bei dem ein schöne jungfrau lag,
Ephigenia, um mittag.
Cymon stunt bei ir in der gröne,
verwundert sich an irer schöne,
Gescherft wurden im sin und witz
durch inbrünstiger liebe hitz;
kam heim und tet fleißig studiren,
rennen, stechen, fechten, turniren,
in aller ritterlichen tat
für all junkherren in der stat;
ließ werben um die jungfrau klare,
die gen Rodis versprochen ware
2.
Pisimondo, eim edlen jungen.
Cymon durch liebe wart gezwungen;
als man die braut gen Rodis sant,
da legt er an das schiff sein hant
und in die braut nam mit gewalde,
wolt mit auf Creta faren balde.
Indem hub sich ein sturmewinde
und schlug das schiff zurück geschwinde
bei finstrer nacht; als es wart tag,
das schiff nit weit von Rodis lag;
die Rodiser auf sie ausfuren,
von den sie all gefangen wuren;
In ewig gfenknus man sie schloß.
darin lag Cymon gar trostlos,
sein herzlieb nimer mer zu sehen.
kürzlich nach den tagen geschehen,
wolt Pisimondus hochzeit han
mit seiner braut, geziret schan;[191]
dergleich sein bruder auf ein morgen
wolt hochzeit haben unverborgen.
3.
Die selb braut het der richter holde,
sie im mit nichten laßen wolde,
hielt mit dem gfangnen Cymon rat,
der was auch willig zu der tat.
zu abents auf den hochzeittage,
als mans nachtmal zu eßen pflage,
Gewapnet auf den sal sie zugen,
wer sich ir weret, sie erschlugen,
beid breutgam schlugen sie zu tot;
der sal der wurt von blut gar rot.
beid breut sie namen mit gewalde,
kamen an die merporten balde
Und saßen auf ein großes schiff,
furen hin auf dem mere tief
und hetten darnach hochzeit beide –
wie uns Boccatius bescheide.
also die lieb oft witzig macht,
das man nach zucht und tugent tracht,
doch wagen vil unglücks darneben,
bis lieb mit lieb in lieb mag leben.
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