Der süß traum

[52] In dem neuen ton Hans Sachsen.


1527.


1.

Ich lag eins nachts in einem süßen traum:

mich daucht, wie ich spaziert in einem walde,

kam aus ein zirkelrunden plan,

mitten darauf ein sinwel berg erscheine,[52]

darbei stunt ein rosengart blüent gröne

Darum stunden rundweis vil schöner baum,

mitten dardurch in einem roten merbel

ein fischreich klares bechlein ran;

do wurt mein herz klopfen der freuden schwengel;

es gleicht dem paradeis mit seiner schöne.

Ich blicket gen dem gartenwarz,

darin ein edler vogel het gehecket,

groß als ein adler, was kolschwarz;

sein linke seiten, die war im bedecket

mit lichten rosen, rot und weiß,

geteilt mit fleiß,

mit seim gefider macht er einen werbel

um sein junge, hielt sie in hut,

der wolgemut;

er speiset sie aus durch den winter kalde;

zier und geschmuck ist um in überal.

ich hört sein stim, war lieblich als ein engel,

durchklang überal berg und tal:

ich dacht, er wer phenix, der vogel reine,

als ich sach fein schön und hört sein getöne.


2.

Doch het der edel vogel wenig ru

vor sein feinden, die gerten in zu dempfen

und im geferlich stelten nach

aus neit und haß von wegen seiner stimme,

die so hel erklang über manig meile;

Mit netzen, gruben, pogaren darzu,

die man im stellet heimlich und verborgen

zu rings um den garten, ich sach.

doch sang der vogel stet in seinem garten

und was genzlich unschedlich seinem gegenteile.

Etlich geflügel darzu holf

falk, geier, habicht, fledermeus und raben

greif, löwen, beren, schwein und wolf

den garten unten und oben umgaben,

kunten doch nit zureißen in;

doch war ir sin,[53]

den großen adler verhetzen zu kempfen,

das er in und die jungen sein

brechte in pein;

etlich stachen auf in abent und morgen;

doch welcher im mit kampf zu nahent wolt,

das tet er mit sein scharfen kloen warten

und hackt in, als er billig solt;

des wurden sein feint über in erst grimme

und versuchten an im noch baß ir heile.


3.

Ich sach vier freulein um den vogel kün:

das erst in weiß bekleit, die trug ein zedel;

den vogel lert sin scharfe sin,

wie er sich und sein nest regiert, besunder

dem aufsatz der vögel und tier entweiche.

Das ander freulein war bekleit in grün

und trug ein wag und auch ein schwert ganz bloße,

darmit sie etlich jaget hin,

die im on alle ursach taten drenge;

mit der wag dienet sie im gar sinreiche.

Das dritt freulein, bekleit in bla,

die trug in irer hent die klaren sunnen

und leucht unter die vögel da:

aus scham, forcht, schrecken ir gar vil entrunnen.

die vierte mit harnisch, panzer

nach heldes ger

gewapnet war und trug ein hamer große,

darmit treib sie die wilden tier

vom garten schier

zu schutz dem auserwelten vogel edel,

und machte um in einen weiten raum,

das dem unziefer wart der walt zu enge.

also ich von dem süßen traum

erwacht und lag in herzlich tiefem wunder,

wer mir den auslegt mit kunst miltikleiche?

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 52-54.
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