Der wankelmütige

[54] In dem hofton Danheusers.


1528.


1.

Avianus, der frei poet,

ein fabel uns erzelte,

wie das ein fremder pilgerim

wurt irr in einer wüste

Zu winterzeit, in tiefem schne,

in reif und großer kelte;

der weg im gar verloren war,

sein laufen war umsüste.

Er stunt stil da in der wiltnus,

sein herz das war im schwer.

das ersahe ein satirus,

das ist ein waldener,

das kleine wilde leute sein,

in Libia geboren,

haben geißfüß und in der stirnen horen

und wonen auf dem berg Atlas

in großer wüsteneie;

in der gieng diser pilgrim irr

in sorgen mancherleie.


2.

Und diser wilde satirus

des pilgram sich erbarmet

und fürt in in sein hütlein balt

zu herbergen die nachte.

Der pilgram blies in seine hent,

bis er zum teil erwarmet,

des sich der wilt verwundert ser,

des blasen het er achte.[55]

Bracht im darnach ein kopf von golt

mit siedig heißem weine,

darmit er auch erwarmen solt

das ingedirme seine.

der pilgram nupfet balt darvon,

des weines hitz er fület;

er blies darein, auf das er würt gekület.

der satirus auch das ersach

und sprach zu im: »ich merke,

das deine zung und munt vermag

widerwertige werke.


3.

Das kalte kanstu machen heiß,

das heiß machestu kalt

gar schnel in einem augenblick

mit deinen schwinden griffen.

Du machest uns wol alle irr

in disem wilden walde;

wankel und unstet ist dein zung

und auf zwu schneit geschliffen.

Was du ietz lobest, schiltstu dan,

dein zung ist wankelmütig.

darum tu balt von mir ausgan –

ich bin dir wol zu gütig –

und wandel an ein ander ort

zu ander schmeichelkatzen,

die vorne lecken und auch hinten kratzen.

ich urteil dich nach deiner sag,

nach deim zwiefachen aten.

weich von mir; ich trau dir nicht mer;

dein wil ich wol entraten.«

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 54-56.
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