Neunter Auftritt


[803] Johanna und Lionel. Fastolf. Isabeau.


FASTOLF eilig hereintretend.

Das Volk ist länger nicht zu bändigen.

Sie fodern wütend, daß die Jungfrau sterbe.

Ihr widersteht vergebens. Tötet sie,

Und werft ihr Haupt von dieses Turmes Zinnen,

Ihr fließend Blut allein versöhnt das Heer.

ISABEAU kommt.

Sie setzen Leitern an, sie laufen Sturm!

Befriediget das Volk. Wollt Ihr erwarten,

Bis sie den ganzen Turm in blinder Wut

Umkehren und wir alle mit verderben?

Ihr könnt sie nicht beschützen, gebt sie hin.

LIONEL.

Laßt sie anstürmen! Laßt sie wütend toben!

Dies Schloß ist fest, und unter seinen Trümmern

Begrab ich mich, eh mich ihr Wille zwingt.[803]

– Antworte mir, Johanna! Sei die Meine,

Und gegen eine Welt beschütz ich dich.

ISABEAU.

Seid Ihr ein Mann?

LIONEL.

Verstoßen haben dich

Die Deinen, aller Pflichten bist du ledig

Für dein unwürdig Vaterland. Die Feigen,

Die um dich warben, sie verließen dich,

Sie wagten nicht den Kampf um deine Ehre.

Ich aber, gegen mein Volk und das deine

Behaupt ich dich. – Einst ließest du mich glauben,

Daß dir mein Leben teuer sei! Und damals

Stand ich im Kampf als Feind dir gegenüber,

Jetzt hast du keinen Freund als mich!

JOHANNA.

Du bist

Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks.

Nichts kann gemein sein zwischen dir und mir.

Nicht lieben kann ich dich, doch wenn dein Herz

Sich zu mir neigt, so laß es Segen bringen

Für unsre Völker. – Führe deine Heere

Hinweg von meines Vaterlandes Boden,

Die Schlüssel aller Städte gib heraus,

Die ihr bezwungen, allen Raub vergüte,

Gib die Gefangnen ledig, sende Geiseln

Des heiligen Vertrags, so biet ich dir

Den Frieden an in meines Königs Namen.

ISABEAU.

Willst du in Banden uns Gesetze geben?

JOHANNA.

Tu es bei Zeiten, denn du mußt es doch.

Frankreich wird nimmer Englands Fesseln tragen.

Nie, nie wird das geschehen! Eher wird es

Ein weites Grab für eure Heere sein.

Gefallen sind euch eure Besten, denkt

Auf eine sichre Rückkehr, euer Ruhm

Ist doch verloren, eure Macht ist hin.

ISABEAU.

Könnt Ihr den Trotz der Rasenden ertragen?[804]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 803-805.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans: Reclam XL - Text und Kontext
Die Jungfrau von Orleans: Eine romantische Tragödie (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart / Die Jungfrau von Orleans (Fischer Klassik)
Klassische Dramen: Maria Stuart / Jungfrau von Orleans / Wilhelm Tell (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon