Lebewohl

[159] Lebe wohl, du stolze Schöne!

Ich entfliehe weil ich will;

Drückend sind mir deine Fesseln,

Und auf einem Bett von Nesseln

Liegt nur Manchas Ritter still.


Lebe wohl, du stolze Schöne!

Zwar dein Mund ist küssenswerth,

Feuer glüht in deinen Blicken:

Aber Thoren nur und Mücken

Traun dem Schein, der sie verzehrt.


Lebe wohl, du stolze Schöne!

Doch du hast nicht ganz verspielt,

Denn du hieltest eine Woche

Länger mich in deinem Joche

Als mich je ein Mädchen hielt.


Lebe wohl, du stolze Schöne!

Künstlerisch bist du gewiß,

Denn das Netz, dem ich entronnen,

War so schlau, so zart gesponnen,

War so fein daß es – zerriß.
[160]

Lebe wohl, du stolze Schöne!

Dichter haben leichten Sinn;

Laß die Veilchen heute schwinden,

Morgen wirst du Rosen finden,

Jetzt ergötzt und hin ist hin!


Lebe wohl, du stolze Schöne!

Nimmer störst du meine Ruh!

Färbt die Scham nicht deine Wangen?

Schmetterling, du bist gefangen,

Ich bin flüchtiger als du!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 159-161.
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