Herbstesahnung

[152] Lang ist es her: die welken Blätter sanken,

Der Nordwind brauste durch die Nächte hin,

Ein ödes Mondlicht trüb aus Wolken schien,

Hinschleichend durch der Reb' entlaubte Ranken.


Mir schweiften hell und sonnig die Gedanken,

Das Bild der Süßen hieß den Winter ziehn,

Und um mich sah ich Alles leuchten, blühn,

Gebrochen war die Zeit mit ihren Schranken.


Seit nun die Gute hin ist, kam geschienen

Manch Frühlingsmorgenrot, manch Sommerlicht,

Doch mocht' es mir zu keiner Freude dienen;


Jetzt rauscht durch's kahle Feld der Herbstwind wieder,

Darum erlöscht auch meine Hoffnung nicht:

Vielleicht er weht den alten Lenz mir nieder.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 152-153.
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