Psalm 104, 4

[281] Anklopft das Wetter unter Sturm

Zu Biberach am Sünderthurm.

Die Wölbung bebt vom Widerhall,

Die Eisenstäbe zittern all.
[281]

Es blitzt so hell, es kracht so schnell:

Da liegt auf Stroh kein Diebsgesell,

Dem in der schwarzen Feuernacht

Nicht das Gewissen lodernd wacht.


Ein jeder Blitz weckt eine Tück',

Ein jeder Knall ein Bubenstück.

Sie werfen auf die Kniee sich,

Und flehn und weinen bitterlich.


Ein Mörder nur ohn' all's Gebet

In Ketten angeschmiedet steht,

Ein eisern Band den Leib umflicht,

Er kann nicht knie'n, er thät's auch nicht.


Er rasselt an der Wand vor Wut,

Wie wohl ein Wolf im Käfig thut;

Er flüstert: »Bald bin ich befreit!

Blitz Element, jetzt ist es Zeit!«


Aus einer Falte seiner Haut

Schlüpft eine Feil', eh's Einer schaut.

»Jetzt feil' ich in der dunkeln Nacht,

Ich feile, weil das Wetter kracht!


Ihr Narren, betet nur und heult

Derweil mein Ring wird durchgefeilt!

Eu'r Winseln bittet euch nicht los,

Doch ich, bald wandl' ich kettenbloß.


Dem Richter, dem Gesetz zu Spott!

Noch einen Strich – dann Trotz dir, Gott!

Ja wettre nur, ich feil', ich feil'!« –

Da fliegt der Blitz, der Flammenpfeil.


Da feilt der Stral den Ring durchein,

Er feilt bis in das Herz hinein,

Der Mörder krümmt sich wie ein Wurm,

Der Donner schüttelt an dem Thurm.
[282]

Die Andern hat verschont der Schlag,

Und nur als schwarze Schlacke lag,

Mit Ketten und mit Eisenband

Verschmolzen, Einer an der Wand.1

Fußnoten

1 Dieser Vorfall ereignete sich in der Nacht vom 20. bis 21. Juli 1819 zwischen 9 und 10 Uhr zu Biberach. Ein mit Ketten beladener, bereits verurtheilter Räuber wurde in dem mit Gefangenen angefüllten Gefängnißthurme des Ebinger Thores mitten unter einer Anzahl anderer Gefangenen, während eines heftigen Gewitters, unter den schrecklichsten Lästerungen, die er ausstieß, vom Blitze erschlagen.


Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 281-283.
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