[732] Rom. Ein Vorzimmer in Cäsars Hause.
Agrippa und Enobarbus begegnen einander.
AGRIPPA.
Wie! trennten sich die Brüder?
ENOBARBUS.
Sie sind eins mit Pompejus; er ist fort,
Die andern unterzeichnen. Octavia weint,
Von Rom zu gehn; Cäsar ist traurig; Lepidus
(Wie Menas sagt) hat seit Pompejus' Schmaus
Die Bleichsucht.
AGRIPPA.
Ei, du wackrer Lepidus! –
ENOBARBUS. Ausbündigstes Gemüt! Wie liebt er Cäsarn! –
AGRIPPA. Und wie entzückt ihn vollends Marc Anton! –
ENOBARBUS. Cäsar? Das ist der Jupiter der Menschheit!
AGRIPPA. Und Marc Anton? Der Gott des Jupiter! –
ENOBARBUS. Spracht Ihr vom Cäsar? Oh, der nie Erreichte! –
AGRIPPA. Und Marc Anton? Der Phönix aus Arabien!
ENOBARBUS.
Cäsarn zu loben sprecht: »Cäsar!« Nichts mehr! –[732]
AGRIPPA.
Ja, beiden spendet er erhabnes Lob.
ENOBARBUS.
Doch Cäsarn mehr. Zwar liebt er auch Anton:
Nicht Herz, Wort, Griffel, Schreiber, Bard' und Dichter,
Denkt, spricht, malt, schreibt, singt, reimt, was er empfindet
Für Marc Anton: doch nennt Ihr Cäsarn, kniet,
Kniet nieder, kniet und staunt!
AGRIPPA.
Er liebt sie beide.
ENOBARBUS.
Sie sind ihm schwere Flügel, er ihr Käfer. –
Trompetenstoß.
So
Das heißt zu Pferd! Leb wohl, edler Agrippa! –
AGRIPPA.
Viel Glück, mein wackrer Krieger, und lebt wohl! –
Es treten auf Cäsar, Antonius, Lepidus und Octavia.
ANTONIUS.
Nicht weiter, Herr! –
CÄSAR.
Ihr nehmt von mir ein groß Teil von mir selbst;
Ehrt mich in ihm! Schwester, sei solch ein Weib,
Wie dich mein Herz gedacht, mein höchstes Pfand
Dir Bürgschaft leisten möchte. Mein Anton,
Laß nie dies Stärkungsmittel – zwischen uns
Als unsrer Liebe Mörtel eingesetzt,
Sie fest zu gründen, – Mauerbrecher werden,
Sie zu zerschmettern. Besser dann für uns
Wir liebten ohne sie, wenn beide nicht
Dies Mittel heilig achten.
ANTONIUS.
Kränkt mich nicht
Durch Mißtraun!
CÄSAR.
Nun genug.
ANTONIUS.
Nie geb' ich Euch,
So fein Ihr prüfen mögt, den kleinsten Anlaß
Zu solcher Furcht. So schützen dich die Götter,
Und lenken deinem Wunsch die Herzen Roms! –
Wir scheiden hier! –
CÄSAR.
Leb wohl, geliebte Schwester, lebe wohl!
Die Elemente sei'n dir hold, sie stärken
Mit frohem Mut dein Herz! Gehab' dich wohl!
OCTAVIA.
Mein edler Bruder! –[733]
ANTONIUS.
April ist dir im Aug', der Liebe Lenz,
Und Tränen sind der Regen, die ihn künden!
Blick heiter!
OCTAVIA.
Oh, sorge doch für meines Gatten Haus,
Und ...
CÄSAR.
Wie, Octavia?
OCTAVIA.
... heimlich sag' ich's dir.
ANTONIUS.
Ihr Mund gehorcht dem Herzen nicht, noch kann
Das Herz die Zunge meistern: wie des Schwans
Flaumfeder steht auf hochgeschwellter Flut
Und sinkt auf keine Seite.
ENOBARBUS.
Wird Cäsar weinen?
AGRIPPA.
Wolken stehn im Auge! –
ENOBARBUS.
Das wäre schlimm genug, wär' er ein Pferd;
So mehr für einen Mann.
AGRIPPA.
Wie, Enobarbus?
Antonius, als er Cäsarn sah erschlagen,
Da schluchzt' er bis zum Schrei, und weinte auch
Über des Brutus Leiche bei Philippi.
ENOBARBUS.
Nun, in dem Jahre hatt' er wohl den Schnupfen!
Was er mit Lust zerstört, netzt' er mit Tränen?
Das glaubt, wenn ich auch weine!
CÄSAR.
Nein, teure Schwester!
Stets sollst du von mir hören; keine Zeit
Soll dein Gedächtnis tilgen.
ANTONIUS.
Kommt nun, kommt!
Laßt mich mit Euch in Kraft der Liebe ringen,
Seht, so noch halt' ich Euch: so lass' ich los,
Und gebe Euch den Göttern.
CÄSAR.
Geht! Seid glücklich! –
LEPIDUS.
Die ganze Schar der Stern' umleuchte dir
Den heitern Pfad! –
CÄSAR.
Leb wohl! Leb wohl!
Umarmt Octavia.
ANTONIUS.
Leb wohl!
Trompetenstoß. Alle ab.[734]
Ausgewählte Ausgaben von
Antonius und Cleopatra
|
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro