[735] Alexandria. Ein Zimmer im Palast.
Es treten auf Cleopatra, Charmion, Iras und Alexas.
CLEOPATRA.
Wo ist der Mensch?
ALEXAS.
Er fürchtet sich, zu kommen.
CLEOPATRA.
Nur zu, nur zu: tritt näher, Freund!
Bote tritt auf.
ALEXAS.
Monarchin,
Herodes von Judäa scheut dein Auge,
Wenn du nicht lächelst.
CLEOPATRA.
Des Herodes Haupt
Verlang' ich: aber wie? wer kann mir's schaffen,
Seit Marc Anton nicht hier ist? – Komm, nur näher!
BOTE.
Huldreiche Majestät ...
CLEOPATRA.
Hast du Octavien
Selber gesehn?
BOTE.
Ja, Herrin.
CLEOPATRA.
Wo?
BOTE.
In Rom.
Ich sah ihr ins Gesicht; sah sie geführt
Von ihrem Bruder und vom Marc Anton.
CLEOPATRA.
Ist sie so groß als ich?
BOTE.
Nein, gnäd'ge Fürstin.
CLEOPATRA.
Und ihre Sprache? Ist tief sie oder hell?
BOTE.
Ich hörte, wie sie sprach: mit tiefer Stimme.
CLEOPATRA.
Dann klingt's nicht gut, dann liebt er sie nicht lang'.
CHARMION.
Sie lieben? Nun, bei Isis, ganz unmöglich!
CLEOPATRA.
Das hoff' ich, Charmion! dumpf von Stimm' und zwerghaft!
Ist Majestät in ihrem Gang? Besinn' dich,
Wenn du je Majestät gesehn!
BOTE.
Sie kriecht;
Ihr Stillstehn und Bewegen sind fast eins;
Sie zeigt sich mehr ein Körper als ein Leben,
Mehr Bildnis als beseelt.[735]
CLEOPATRA.
Ist das gewiß?
BOTE.
Sonst fehlt mir Scharfblick.
CHARMION.
Drei in ganz Ägypten
Bemerken besser nicht.
CLEOPATRA.
Er zeigt Verstand,
Das seh' ich wohl. Von der ist nicht zu fürchten: –
Der Mensch hat gutes Urteil.
CHARMION.
Ausgezeichnet! –
CLEOPATRA.
Wie alt wohl mag sie sein?
BOTE.
Sie war
Schon Witwe, Fürstin.
CLEOPATRA.
Witwe? Charmion, hörst du? –
BOTE.
Auf dreißig schätz' ich sie.
CLEOPATRA.
Schwebt dir ihr Antlitz vor? lang oder rund?
BOTE.
Ganz übertrieben rund.
CLEOPATRA.
Solche Gesichter
Verraten meist auch Einfalt. Was für Haar? –
BOTE. Braun, Fürstin, und so niedrig ihre Stirn,
Wie man's nur sehn mag.
CLEOPATRA.
Nimm, da hast du Gold! –
Du mußt mein Eifern von vorhin vergessen; –
Ich geb' dir Briefe mit zurück; du scheinst mir
Sehr brauchbar in Geschäften. Mach' dich fertig;
Die Briefe sind bereit.
Bote ab.
CHARMION.
Ein hübscher Mann! –
CLEOPATRA.
Das ist er auch; und ich bereue sehr,
Daß ich ihn so gerauft. Nun, so nach ihm
Kann das Geschöpf nicht viel bedeuten.
CHARMION.
Gar nichts.
CLEOPATRA.
Er sah doch Majestät, und muß sie kennen.
CHARMION.
Ob er sie sah! Nun, Isis mög' ihm helfen,
So lang' in Euerm Dienst! –
CLEOPATRA.
Ich muß ihn eins noch fragen, gute Charmion:
Doch tut es nichts. Geh, bring' ihn auf mein Zimmer,
Da will ich schreiben. Noch vielleicht gelingt's!
CHARMION.
Fürstin, verlaßt Euch drauf!
Gehn ab.[736]
Ausgewählte Ausgaben von
Antonius und Cleopatra
|
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro