Eingang zu diesem Büchlein/
Trutz Nachtigal genant

1.

Wan morgenröth sich zieret

Mit zartem rosenglantz/

Vnd sitsam sich verlieret

Der nächtlich Sternentantz:

Gleich lüstet mich spatziren

In grünen Lorberwald:

Alda dan musiciren

Die pfeifflein mannigfalt.


2.

Die flügelreiche schaaren/

Daß Federbürschlein zart

In süssem Schlag erfahren/

Noch kunst noch athem spart:

Mit Schnäblein wolgeschliffen

Erklingens wunder fein/

Vnd frisch in Lüfften schiffen

Mit leichten rüderlein.


3.

Der hole Waldt ertönet

Ab jhrem kraussen sang:[1]

Mit Stauden stoltz gekrönet

Die Krussten geben klang:

Die Bächlein krumb geflochten

Auch lieblich stimmen ein/

Von Steinlein angefochten

Gar süßlich sausen drein.


4.

Die sanffte Wind in Lufften

Auch jhre Flügel schwach

An Händen/ Füß/ vnd Hüfften

Erschüttlen mit gemach:

Da sausen gleich an Bäumen

Die lind gerührte Zweig/

Zur Music sich nit säumen;

O wol der süssen streich!


5.

Doch süsser noch erklinget

Ein sonders Vögelein/

So seinen Sang vollbringet

Bey Mon- vnd Sonnenschein.

Trutz-Nachtigal mit namen

Eß nunmehr wird genant/

Vnd vielen Wildt- vnd Zahmen

Obsieget vnbekandt.


6.

Trutz-Nachtigal mans nennet/

Ist wund von süssem Pfeil:[2]

Die lieb eß lieblich brennet/

Wird nie der Wunden heil.

Gelt/ Pomp/ vnd Pracht auff Erden

Lust/ Frewden eß verspott/

Vnd achtets für beschwerden/

Sucht nur den schönen Gott.


7.

Nur klinglets aller Orten

Von Gott/ vnd Gottes Sohn;

Vnd nur zun Himmelpforten

Verweisets allen thon:

Von Bäum- zun Bäumen springet/

Durchstreichet Berg/ vnd Thal/

Im Feldt vnd Wälden singet/

Weiß keiner Noten zahl.


8.

Es thut gar manche Fahrten/

Verwechßlet Ort/ vnd Lufft:

Jetzt findet mans im Garten

Betrübt an holer Klufft;

Bald frisch vnd frewdig singlet

Zusampt der süßen Lerch/

Vnd loben Gott vmbzinglet

Den Oel- vnd andren Berg.


9.

Auch schwebets auff den Waiden/

Vnd wil beyn Hirten sein/[3]

Da Cedron kombt entscheiden

Die grüne Wisen rein;

Thut zierlich sammen raffen

Die Verßlein in bezwang/

Vnd setzet sich zum schlaffen/

Pfeifft manchen Hirtensang.


10.

Auch wider da nit bleibet/

Sichs hebt in Wind hinein/

Den lären Lufft zertreibet

Mit schwancken Federlein:

Sich setzt an grober Eichen/

Zur schnöden Schedelstatt;

Wil kaum von dannen weichen/

Wird Creutz/ noch peinen satt.


11.

Mit jhm wil mich erschwingen/

Vnd manchem schwebend ob

Den Lorber-Crantz ersingen

In deutschem Gottes lob.

Dem Leser nicht verdriesse

Der zeit/ vnd Stunden lang:

Hoff jhm es noch erspriesse

Zu gleichem Either-sang.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 1-4,13-14.
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Ausgewählte Ausgaben von
Trutznachtigall
Sämtliche Schriften: Trutz-Nachtigall: Bd 1

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