Das Mädchen spricht

[210] Georges Ritleng herzlichst gew.


Dann glitt in leisem Schmuck geblümter Wiesen

der Frühling übers Land rieselnd von Sonne

und schwer vom Sehnen früher Sternennächte.


Ein Abend kam gehüllt in weiches Licht

beperlter Büsche. Matter Frühlingsregen

war sanft verronnen in den braunen Dämmer

der hinter den Zypressenstämmen aufglomm.

Ich stand an dem Magnolienstrauch und sog

den starken Duft und schmiegte meine Lippen

tief in den warmen feuchten Flaum der Blüten.

Er kam von hinten. Faßte mich am Arm. Ich schrak

zusammen. Doch er war so schön

wie er so dastand mit den hellen Augen

und ganz bestrahlt von Lust und Glanz der Blüten.


Wir gingen durch die leise laue Nacht.

Und wie der fernen Brunnen Silberton

fast nur aufbebte wie ein dunkler Zweig

vom liebetrunknen Nachtwind angerührt

und hie und da ein schwacher Laut der Lust

die Nacht durchwehte starben unsre Worte

und schweigend gingen wir und lauschten nur

gedämpftem Knirschen der zerknickten Halme

und wie vom buschigen Geäst gescheucht

ein großer Vogel rauschend uns umstrich

und gingen hin und fanden nicht ein Wort

zu sagen was in dieser Nacht erwuchs

und heller strahlte als der heiße Glanz

der von erglühten Rosenbüschen fließt.[211]

Das ist nun alles lang vorbei. Und war

so süß doch. Wenn von dunklem Sims ich leicht

mich niederschwang und atmend stand und dann

so hinlief und die warme Nachtluft mich

zitternd umspülte an gefüllten Beeten

vorbei und goldnen Brunnen durch den Glanz

der hellen Wiese zum Granatbaum der

mit Purpurarmen uns umgitterte –

Leuchtend wie schwere goldne Ampeln hingen

die Äpfel. Und in seiner Krone sangen

zwei Nachtigallen. Leise zog ihr Lied

durch fernster Gärten atemloses Dunkel

und wie verzaubert. Wenn ich so allein

unter den Ästen stand dann sickerte

wie Blütentau der Wohllaut auf mich nieder

und kürzte mir die langen heißen Stunden

denn manchmal kam er spät. Und durch die Büsche

wehte ein fremder Schauer der mich schreckte.


Und einmal als die Sommernacht wie Gold

zwischen den Zweigen hing und alle Blumen

wie Flammen in den roten Vollmond glühten

hob er mich auf und trug mich hin ich schlang

den Arm um seinen Nacken wie im Rausch

den schmalen Heckenweg der wie aus Silber

gesponnen glitzerte die kühlen Stufen

hinab zum Brunnenbecken. Seltsam blitzte

die blanke Flut und dunkle Zweige hingen

wie ein Geriesel weicher wirrer Strähnen

zum feuchten Spiegel. Schauernd überrannen[212]

die blassen Wellen meine Brüste und

das selige Zittern seiner heißen Hände.

Und plötzlich riß er mich empor. Wild jauchzend

trug er mich fort. Taumelnd vor Schreck und Glück

lag ich in seinem Arm. Die kühlen Tropfen

funkelten noch wie flimmerndes Geschmeide

um meinen Leib. Und zwischen Rosen

trug er mich bebend hin und zwischen Rosen

ertrank ich und versank im Duft der Nacht. –

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 2, Hamburg o.J. [1954], S. 210-213.
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