[107] Ich steh' am zorn'gen Katarakte,
Mein Herz ist still und traumbeschwert,
Mein Hirn ist müd' vom Donnertakte,
Mein Auge starr hinabgekehrt.
Ich kann's nicht lassen, hinzustarren,
Wie sich die Woge ewig jüngt
Und ewig in die Felsenbarren
Verzweiflungsvoll herniederspringt.
Es ist ein unablässig Rollen,
Ein nie verbrodelndes Gekoch',
Seit Ewigkeiten ist's erschollen,
Und Ewigkeiten schallt es noch.
Du wilder Sohn des Felsenspaltes,
O Strom! Ich weiß es, was Dich quält,
Ich weiß ein Lied, ein ernstes, altes,
Mir hat's die Fei am Quell erzählt: –
– Zur Zeit der Götter und der Riesen,
Da strömtest Du von Anbeginn
In blumenreichen Paradiesen,
Ein göttergleicher Strom dahin.
Du aber warst ein trotziger Stürmer,
Dir frommte nicht der eb'ne Pfad,
Du wärest gern, ein Bergetürmer,
Den ew'gen Göttern selbst genaht.
Du wolltest kühn den Schleier heben,
Der von der Gottheit Scheitel rollt,
Und weil Du's nicht erreicht im Leben,
So hast Du's durch den Tod gewollt.
Und aus dem Bette schwoll Dein Wasser,
Du warfest in dies Klippengrab,[108]
Ein rasch entschloss'ner Lebenshasser,
Selbstmordend, häuptlings Dich hinab.
Du warst der erste Erdenpilger,
Der sich zerstört' aus eig'ner Macht,
Du warst der erste Selbstvertilger,
Der erste Selbstmord war vollbracht.
Und sahst Du nun erfüllt Dein Hoffen,
Sahst Du den Himmel, ward er Dein? –
Noch immer steht der Abgrund offen,
Noch immer donnerst Du hinein.
Das ist die Strafe von den Göttern
Für die titanisch frevle Lust,
Daß im beständigen Zerschmettern
Du doch beständig leben mußt.
Nie sah man Rast in Deinem Schlunde,
Seit Du Dein Haupt hineingebeugt,
Du stirbst zehnmal in der Sekunde,
Und zehnmal wirst Du neu gezeugt.
Stets mußt Du wandern, rollen, streben,
Ein Ahasver mit Doppelnot,
Es ist ein ew'ger Tod im Leben,
Ein ew'ges Leben in dem Tod. –
Ich sehe, wie im immer schnellern
Und schnellern Sturz Du ringend bangst,
Und höre aus den Felsenkellern
Das Brüllen Deiner Todesangst.
Ich reiße mich aus Deiner Nähe
Und steige von dem Bergesjoch,
Doch wenn ich rückwärts nach Dir spähe,
So rauschest, rollst und ringst Du noch!
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
|
Buchempfehlung
Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro