[65] Die Insel Jesus, zwischen den beiden oberen Armen des St. Lorenzo gelegen und minder umfangreich als die Insel Montreal, enthält immerhin mehrere Kirchspiele. Sie umfaßt die Grafschaft Laval – deren Namen auch[65] die große katholische Universität von Quebec, und zwar zur Erinnerung an ihren ersten, im canadischen Lande eingesetzten Bischof, trägt.
Laval ist ebenso der Name der Hauptortschaft der Insel Jesus und liegt an deren südlichem Ufer. Die Wohnung des Herrn de Vaudreuil gehörte zwar zu demselben Kirchspiele, lag aber eine Lieue am St. Lorenzo stromaufwärts.
Es war das ein Haus von freundlichem Aussehen, umgeben mit einer Parkanlage von etwa fünfzig Acker1 Ausdehnung und bedeckt mit Wiesengründen und hohem Baumbestande, dessen Grenze das Ufer des Stromes selbst bildete. Durch seine architektonische Anordnung wie durch die Einzelheiten der Ausschmückung unterschied es sich deutlich von jener angelsächsischen Gothik, welche einst vielfach zu Ehren Großbritanniens beliebt war. Hier war der französische Geschmack vorherrschend, und wäre nicht der rasche gurgelnde Wasserlauf gewesen, der zu ihren Füßen hintoste, so hätte man glauben können, daß die Villa Montcalm – so hieß das Gebäude – sich an den Ufern der Loire, in der Nachbarschaft von Chenonceaux oder von Amboise erhebe.
Stark betheiligt bei den letzten reformatorischen Erhebungen in Canada, hatte Herr de Vaudreuil auch zu dem Complot gehört, dem der Verrath jenes Simon Morgaz ein so tragisches Ende bereitete, indem dadurch Walter Hodge, Robert Farran, François Clerc das Leben und die übrigen Verschworenen die Freiheit einbüßten.
Einige Jahre später wurden den Letzteren übrigens in Folge eines allgemeinen Gnadenerlasses die Kerkerthüren wieder geöffnet, und Herr de Vaudreuil war nach seiner Besitzung auf der Insel zurückgekehrt.
Die Villa Montcalm war am Ufer des Stromes erbaut. In den Wellen der Ebbe und Flut badeten sich die ersten Stufen der vorderen Terrasse, welche eine elegante Veranda vor der Front des eigentlichen Wohnhauses überdeckte. Weiter rückwärts unter dem stillen Schatten des Parkes unterhielt der Luftzug vom Flusse her eine erquickende Frische, welche die heißen Tage des canadischen Sommers erträglicher machte. Wer Liebhaber der Jagd oder des Fischfanges war, hätte diesen Zerstreuungen hier vom Morgen bis zum Abend nachgehen können. An Wild gab es Ueberfluß auf den Ebenen der Insel, ebenso wie an Fischen in den Buchten des St. Lorenzo, der auf den langen Wellenlinien der Laurentidenkette am linken Ufer von einem breiten grünen Rahmen eingefaßt war.[66]
Diesen noch so echt französisch gebliebenen Landstrich hätten die Franco-Canadier recht wohl noch Neu-Frankreich nennen können. Sitten und Gebräuche waren hier noch dieselben wie im 17. Jahrhundert. Ein englischer Schriftsteller, Russel, konnte mit Recht sagen: »Unter-Canada gleicht weit mehr einem Frankreich aus alter Zeit, über dem das Lilienbanner flatterte.« Ein französischer Autor, Eugène Réveillaud schrieb: »Hier ist die Zufluchtstätte der alten Herrschaft. Es ist eine Bretagne oder eine Vendée von vor sechzig Jahren, die sich jenseits des Oceans ausdehnt. Auf dem Festlande Amerikas hat der Bewohner hier mit besonders vorsichtiger Sorgfalt ebenso die geistigen Anschauungen und den naiven Glauben, wie den Aberglauben seiner Väter zu bewahren gewußt.« – Dieses Urtheil ist auch noch für die Jetztzeit zutreffend, wie es gleichfalls wahr ist, daß die französische Race sich in Canada sehr rein und ohne Vermischung mit fremdem Blute erhalten hat.
Bei seiner Heimkehr nach der Villa Montcalm, gegen 1829, befand sich Herr de Vaudreuil in Verhältnissen, welche ihm ein glückliches Leben gewährleisteten. Obwohl sein Vermögen nicht beträchtlich war, sicherte es ihm doch ein bequemes Auskommen, das er hätte in Ruhe genießen können, wenn ihn sein glühender Patriotismus nicht immer wieder in den Bannkreis der politischen Agitation gedrängt hätte. Wo diese Erzählung beginnt, zählte Herr de Vaudreuil siebenundvierzig Jahre. Sein grau melirtes Haar ließ ihn vielleicht etwas älter erscheinen; der lebhafte Blick, die glänzenden tiefblauen Augen, die mächtige Gestalt, die kräftige Constitution, die ihm eine unerschütterliche Gesundheit verbürgte, die ansprechende wohlwollende Physiognomie und das wohl etwas stolze, aber keineswegs hochmüthige Auftreten machten ihn zum unverkennbaren Typus eines französischen Edelmannes. Er war sozusagen der leibhaftige Nachkomme jener unternehmenden Adelsgeschlechter, welche im 15. Jahrhundert den Atlantischen Ocean überschritten, der Sohn jener Gründer der schönsten überseeischen Colonien welche die verächtliche Gleichgiltigkeit Ludwigs XV. auf die Ansprüche Großbritanniens hin abgetreten hatte.
Seit zehn Jahren schon war Herr de Vaudreuil Witwer; der Tod seiner Gattin, die er mit tiefer Zärtlichkeit liebte, ließ in seinem Leben eine stets schmerzlich empfundene Lücke zurück. Jetzt widmete er seine Sorgfalt ausschließlich seiner einzigen Tochter, in der die muthige edle Seele der Mutter wieder aufs neue auflebte.
Zu jener Zeit war Clary de Vaudreuil zwanzig Jahre alt. Ihre zierliche Gestalt, das dichte, fast schwarze Haar, die großen brennenden Augen, der trotz[67] seiner Blässe noch warme Teint und das etwas ernsthafte Aussehen machten sie weniger schön als hübsch, mehr imponirend als anziehend, wie verschiedene Heroinen Fennimore Cooper's. Gewöhnlich bewahrte sie eine kühle Zurückhaltung, oder richtiger, ihr ganzes Sein und Wesen concentrirte sich nur in der einen Liebe, die sie bis jetzt gefühlt, in der Liebe zu ihrem Vaterlande.
In der That, Clary de Vaudreuil war eine echte Patriotin. Während der Bewegungen, die sich 1832 und 1834 abspielten, verfolgte sie die verschiedenen Phasen des Aufstandes mit gespannter Aufmerksamkeit. Die Führer der Opposition betrachteten sie auch als die entschlossenste der zahlreichen jungen Mädchen, die mit Leib und Seele der nationalen Sache ergeben waren, und als die politischen Freunde des Herrn de Vaudreuil sich in der Villa Montcalm zusammenfanden, nahm Clary an den Verhandlungen stets theil, und wenn sie sich mit dem Worte nur sehr bescheiden einmischte, so hörte sie und beobachtete sie doch Alles und widmete ihre Kräfte dem Schriftwechsel der Reformer-Comités. Alle französischen Canadier hatten zu ihr das festeste Vertrauen, weil sie solches verdiente, und bewahrten ihr die achtungsvollste Freundschaft, weil sie derselben würdig war.
In diesem leidenschaftlichen Herzen war indessen neben der Liebe zum Vaterlande noch eine andere Liebe aufgelodert – eine ideale und eigentlich gegenstandslose Liebe, denn sie kannte nicht einmal den, dem dieselbe galt.
Sowohl 1831 wie 1834 hatte eine geheimnißvolle Persönlichkeit eine hervorragende Rolle in den Aufstandsversuchen jener Zeit gespielt. Derselbe hatte seinen Kopf mit einer Kühnheit, einem Muthe und einer Entschlossenheit zu Markte getragen, welche auf empfindsame Naturen ihren Eindruck nicht verfehlen konnten. In der ganzen Provinz Canada nannte man seinen Namen mit heller Begeisterung – oder vielmehr eine ihm allein verbliebene Bezeichnung, denn man nannte ihn nicht anders als Johann ohne Namen. An den Tagen des Kampfes stand er gewiß im dichtesten Gewühle; nach Beendigung desselben war er spurlos verschwunden. Man empfand es jedoch, daß er auch im Dunklen weiter wirkte, daß seine Hand niemals ruhte, die Zukunft vorzubereiten. Vergebens hatten die Behörden sich bemüht, seinen Zufluchtsort auszuspähen; selbst das Haus Rip & Cie. holte sich bei den Nachsuchungen nach ihm nur beschämende Schlappen. Uebrigens wußte man nichts von der Herkunft dieses Mannes, so wenig wie von seinem dermaligen als auch von seinem früheren Leben. Nichtsdestoweniger ließ sich gar nicht verkennen, daß er auf die französisch-canadische[68] Bevölkerung einen geradezu mächtigen Einfluß ausübte. So hatte sich um seine Person eine wirkliche Legende gewebt, und die Patrioten harrten immerfort darauf, ihn erscheinen und die Fahne der Unabhängigkeit entfalten zu sehen.
Die Thaten dieses namenlosen Helden hatten auf den Geist Clary de Vaudreuil's einen höchst lebhaften und tiefreichenden Eindruck gemacht. Ihre geheimsten Gedanken flüchteten immer und immer nur zu ihm. Sie verehrte ihn gleich einem überirdischen Wesen; sie lebte vollständig in dieser mystischen Gemeinschaft, und indem sie Johann ohne Namen mit der edelsten Liebe anhing, schien es ihr, als ob sie damit ihr Vaterland nur noch mehr liebte. Diese Empfindung verschloß sie jedoch sorgfältig in ihrem Herzen. Wenn ihr Vater sie durch die Baumgänge des Parkes wandeln und ihren Gedanken nachhängen sah, so konnte er gar nicht auf den Gedanken kommen, daß sie von dem jungen Patrioten träumte, in dem sich in ihren Augen die canadische Revolution verkörperte.
Unter den politischen Freunden, welche sich am häufigsten in der Villa Montcalm versammelten, trafen sich zu friedlichem Meinungsaustausch auch einige derjenigen, deren Eltern oder Verwandte mit Herrn de Vaudreuil an dem so schlimm endenden Complot von 1825 theilgenommen hatten.
Aus diesem Freundeskreise haben wir vor Allem André Farran und William Clerc zu erwähnen, deren Brüder, Robert und François, am 26. September 1825 das Schaffot bestiegen hatten; ferner Vincent Hodge, den Sohn Walter Hodge's, jenes amerikanischen Patrioten, der für die Sache Canadas gestorben war, als Simon Morgaz an ihm und seinen Genossen jenen schändlichen Verrath begangen hatte. Außer diesen stellte sich auch ein Advokat aus Quebec – derselbe, in dessen Haus sich Johann ohne Namen hatte aufhalten sollen, welche falsche Nachricht dem Agenten Rip zugegangen war – zuweilen bei Herrn de Vaudreuil ein.
Der heftigste Widersacher der Unterdrücker war ohne Zweifel Vincent Hodge, damals zweiunddreißig Jahre alt. Von Vaters Seite her amerikanischen Blutes, hatte er von seiner Mutter, die nach dem Tode ihres Gatten bald aus Kummer starb, auch französisches Blut in den Adern. Vincent Hodge hatte nicht lange in der Nähe Clary Vaudreuil's sein können, ohne sie erst bewundern, dann aber lieben zu lernen, was Herrn Vaudreuil gar nicht zu mißfallen schien. Vincent Hodge war ein vornehmer junger Mann, der überall gern gesehen wurde wegen seines angenehmen Wesens, wenn dieses auch zuweilen von den etwas derben Zügen des Yankees von der Grenze durchbrochen wurde. Soweit[69] die Ausdauer der Empfindung, die Ehrlichkeit seiner Neigung und sein persönlicher Muth in Frage kamen, hätte Clary de Vaudreuil gar keinen ihrer mehr würdigen Gatten erwählen können. Das junge Mädchen hatte jedoch gar nicht bemerkt, daß sie das Ziel seines Strebens sei. Zwischen Vincent Hodge und ihr konnte es nur ein Band geben – das der Vaterlandsliebe. Sie schätzte wohl seine Eigenschaften – lieben konnte sie ihn nicht. Ihre Gedanken und Wünsche gehörten ja einem Andern, jenem Unbekannten, auf den sie wartete und der schon eines Tages vor ihr erscheinen werde.
Inzwischen beobachteten Herr de Vaudreuil und seine Freunde mit Aufmerksamkeit die Bewegung der Geister in den canadischen Provinzen. Bezüglich der Loyalisten hatte sich die öffentliche Meinung zum Glühen erhitzt. Sie ging jetzt nicht mehr auf ein sogenanntes Complot allein hinaus wie 1825, wo es sich nur um einen Gewaltstreich gegen den Gouverneur handelte – jetzt hatte sich noch, unter dem Schleier verhüllt, eine allgemeine Verschwörung herausgebildet. Zum Losbrechen derselben fehlte nur noch, daß ein Anführer der Rebellion in den verschiedenen Kirchspielen zu den Waffen rief; auch unterlag es keinem Zweifel, daß Herr de Vaudreuil und seine Freunde dann sofort in die vorderen Reihen der Insurgenten einspringen würden.
Wirklich waren die Umstände fast nie so günstig gewesen. Die Reformer, welche sich kaum noch zu halten vermochten, schleuderten die heftigsten Worte gegen die Verfügungen der Colonialregierung, welche sich durch das englische Cabinet für befugt hielt, ohne Zustimmung der Volksvertretung über die öffentlichen Einkünfte zu verfügen. Die Zeitungen – darunter der schon 1806 gegründete »Canadier« und der erst später erschienene »Vindicator« – donnerten gegen die Krone und die von ihr ernannten Beamten. Sie veröffentlichten die Verhandlungen der Kammer ebenso wie die in öffentlichen Versammlungen gehaltenen Reden eines Papineau, Viges Quesnel, St. Real, Bourdages und vieler Anderer, welche an Talent und Kühnheit in ihren patriotischen Auslassungen und Forderungen mit einander um die Palme stritten. Unter diesen Verhältnissen mußte ein Funke hinreichen, die Explosion im Volke herbeizuführen. Das wußte Lord Gosford sehr gut, nicht minder gut wie die Parteigänger der Reformbestrebungen selbst.
So war die Lage der Sachen, als am 3. September in der Villa Montcalm ein Brief eintraf. Dieser am Vortage auf dem Postamte zu Montreal eingelieferte Brief meldete Herrn de Vaudreuil, daß seine Freunde Vincent Hodge,[70] André Farran und William Clerc eingeladen seien, sich am Abend genannten Tages bei ihm einzufinden. Herr de Vaudreuil erkannte nicht die Hand, welche diese Zeilen geschrieben und dieselbe mit der Unterschrift »ein Sohn der Freiheit« unterzeichnet hatte.
Herr de Vaudreuil war über diese Mittheilung nicht wenig erstaunt, und nicht weniger über die Art und Weise, wie sie ihm gemacht wurde. Am Abend vorher hatte er seine Freunde in Montreal gesehen und man hatte sich da getrennt, ohne ein Wiederzusammentreffen für den folgenden Tag zu verabreden. Wahrscheinlich mußten also Vincent Hodge, Farran und Clerc einen ähnlich lautenden Brief erhalten haben, der sie erst nach der Villa Montcalm einlud; doch lag die Befürchtung nahe, daß hierhinter vielleicht ein Angriff der Polizei zu suchen war. Ein solches Mißtrauen schien seit der Geschichte mit Simon Morgaz vollständig gerechtfertigt.
Herrn de Vaudreuil blieb auf jeden Fall nichts übrig, als der Dinge zu warten, die da kommen sollten. Waren Vincent Hodge, Farran und Clerc in der Villa eingetroffen – wenn sie überhaupt dahin kamen – so würden sie ihm ohne Zweifel erklären, was ihm bei dieser seltsamen Zusammenkunft noch unerklärlich blieb. Dahin ging der Rath Clarys, als sie von jenem Briefe Kenntniß erhalten hatte.
Die Augen auf das geheimnißvolle Schreiben geheftet, prüfte sie dasselbe mit größter Aufmerksamkeit. Wunderbar! Wo ihr Vater eine seinen politischen Freunden und ihm gestellte Falle witterte, schien sie vielmehr an einen bevorstehenden mächtigen Eingriff in die nationale Sache zu glauben. Vielleicht zeigte sich jetzt endlich die Hand, welche die Fäden einer neuen Bewegung hielt, welche diese leiten und zu Ende führen sollte.
»Lieber Vater, sagte sie, ich habe volles Vertrauen!«
Da die Versammlung indeß erst für den Abend bestimmt war, wollte Herr de Vaudreuil sich vorher noch nach Laval begeben. Vielleicht vernahm er dort eine Nachricht, welche die Dringlichkeit der geplanten Versammlung erklärte. Gleichzeitig konnte er daselbst Vincent Hodge und dessen beide Freunde empfangen, wenn diese an der Landungsbrücke der Insel Jesus ausstiegen. In der Minute aber, wo er Auftrag geben wollte, anzuspannen, meldete ihm ein Diener, daß soeben ein Besucher der Villa Montcalm eingetroffen sei.
»Wer ist es? fragte Herr de Vaudreuil lebhaft.
– Hier seine Karte,« antwortete der Diener.[71]
Herr de Vaudreuil nahm die Karte in Empfang, las den Namen derselben und rief sogleich:
»Ah, der vortreffliche Meister Nick?... Er ist stets willkommen. Lass' ihn eintreten.«
Einen Augenblick später stand der Notar Herrn de Vaudreuil und dessen Tochter gegenüber.
»Sie, Herr Nick? sagte Herr de Vaudreuil.
– In Person, und bereit, Ihnen ebenso wie dem Fräulein Clary zu dienen!« antwortete der Notar verbindlich.
Er drückte die Hand des Herrn de Vaudreuil, nachdem er das junge Mädchen mit einer mehr förmlichen Verbeugung begrüßt, wie sie die früheren Geschichtschreiber nach alter Ueberlieferung bewahrt hatten.
»Das ist ja ein recht unerwarteter, doch deshalb um so angenehmerer Besuch, Herr Nick, nahm Herr de Vaudreuil wieder das Wort.
– Angenehm, vorzüglich für mich, antwortete Herr Nick. Und wie befinden Sie sich, mein Fräulein?... Und Sie, Herr de Vaudreuil?... Sie haben Beide ein blühendes Aussehen. – Nun ja, in der Villa Montcalm mag sich's ja gut leben. Ich möchte in mein Haus am Bon-Secours-Markte wohl etwas von der Luft, wie man sie hier athmet, mitnehmen.
– Jede beliebige Menge davon steht Ihnen zur Verfügung, Herr Nick. Besuchen Sie uns nur öfter...
– Und bleiben Sie gleich einige Tage hier, setzte Clary hinzu.
– Und meine Expedition... meine Acten! rief der zungenfertige Notar. Ach, die lassen mir keine Zeit zu einem angenehmen Landaufenthalt... Die Testamente wären daran weniger Schuld. Die Leute in Canada werden so schrecklich alt, daß ich fürchte, sie hören überhaupt einmal auf zu sterben. Was haben wir an Achtzigjährigen und sogar an Hundertjährigen!... Das überschreitet die gewohnten Grenzen der Statistik.... Die Heiratscontracte dagegen, ja, die machen mir mehr zu schaffen! – Doch halt, in sechs Wochen habe ich in Laprairie zu thun bei einem meiner Klienten – einem meiner guten Klienten, das dürfen Sie glauben – wo der Contract seines neunzehnten Sprößlings aufgesetzt werden soll.
– Das muß ja, ich möchte darauf wetten, mein Pächter Thomas Harcher sein, antwortete Herr de Vaudreuil.
– Ganz recht, und in Ihrem Pachthofe zu Chipogan ist es, wo ich erwartet werde.[72]
– Eine recht hübsche Familie, Herr Nick!
– Ohne Zweifel, Herr de Vaudreuil, und bedenken Sie, daß ich mit den, dieselbe betreffenden Urkunden immer noch nicht zu Ende bin.
– Nun, Herr Nick, fiel Clary ein, es ist nicht unmöglich, daß wir Sie im Pachthofe von Chipogan treffen. Thomas Harcher bestand so dringlich darauf, uns der Vermählung seiner Tochter beiwohnen zu sehen, daß wir, mein Vater und ich, wenn uns nichts Besonderes zurückhält, uns das kleine Vergnügen gern machen werden.
– Und mir bereiten Sie damit ein wohl noch größeres, antwortete Meister Nick. Ist es nicht stets eine Freude für mich, Sie zu sehen?... Ihnen, Fräulein Clary, habe ich nur einen einzigen Vorwurf zu ma chen.
– Einen Vorwurf, Herr Nick?
– Gewiß, nämlich den, daß Sie mich hier stets nur als Freund, und gar nicht einmal als Notar empfangen.«
Das junge Mädchen lächelte bei dieser Andeutung, doch nahmen ihre Züge sofort den gewohnten ernsten Ausdruck an.
»Und dennoch, bemerkte Herr de Vaudreuil, sind Sie, mein lieber Nick, heute nicht als Freund, sondern als Notar nach der Villa Montcalm gekommen?
– Freilich!... freilich!... antwortete Meister Nick. Doch das hat mit Fräulein Clary leider nichts zu thun... Nun, auch das wird nicht ausbleiben!... Es kommt ja Alles einmal!... Ich muß Ihnen, Herr de Vaudreuil, übrigens gleich bemerken, daß ich nicht allein gekommen bin.
– Wie, Herr Nick, Sie haben einen Reisegefährten und lassen ihn auf dem Vorsaale warten? – Ich werde sofort Befehl geben, ihn herein zu führen...
– Nein,... nein,... das lohnt sich nicht der Mühe! Es ist ganz einfach mein zweiter Schreiber... ein Kerlchen, der Verse schmiedet... Hat man je so etwas gesehen?... Und den Irrlichtern nachläuft! Stellen Sie sich nur einmal vor, ein Schreiber-Poet oder ein Poeten-Schreiber, Fräulein Clary! Da ich Sie allein zu sprechen wünschte, Herr de Vaudreuil, hab' ich ihn beordert, einstweilen im Park spazieren zu gehen...
– Ganz recht von Ihnen, Meister Nick... Man wird dem jungen Dichter jedoch einige Erquickungen anbieten müssen.
– Das wäre vergebliche Liebesmühe! Der trinkt blos Nektar; doch sollten Sie von der letzten Ernte her noch davon etwas übrig haben...«[75]
Herr de Vaudreuil mußte über den Scherz des vortrefflichen Mannes lachen, den er von längerer Zeit her kannte und dessen Rathschläge ihm bei seinen persönlichen Geschäften stets werthvoll und nutzbringend gewesen waren.
»Ich werde Sie mit meinem Vater allein lassen, Herr Nick, sagte da Clary.
– O bitte, bitte, bleiben Sie, mein Fräulein! erwiderte der Notar. Ich weiß, daß ich in Ihrer Gegenwart auch noch von Sachen reden kann, die sogar vielleicht etwas mit der Politik zusammenhängen... Ich vermuthe das wenigstens, denn wie Ihnen bekannt ist, mische ich mich selbst niemals...
– Schon gut, schon gut, fiel ihm Herr de Vaudreuil ins Wort. Clary wird unserer Verhandlung beiwohnen. Doch erst wollen wir uns setzen, und dann sprechen Sie nach Belieben.«
Der Notar nahm einen der Rohrlehnstühle, welche sich im Salon befanden, während Herr de Vaudreuil sich mit seiner Tochter auf einem Sofa ihm gegenüber niederließ.
»Und nun, mein lieber Herr Nick, fragte Herr de Vaudreuil, welcher Grund hat Sie denn eigentlich nach der Villa Montcalm geführt?
– Ich hatte Ihnen das hier zu übergeben«, antwortete der Notar.
Er zog dabei ein Bündel Banknoten aus der Tasche.
»Wie? Geld?... sagte Herr de Vaudreuil, der sein größtes Erstaunen nicht zu verbergen wußte.
– Jawohl, Geld... gutes Geld, und – es mag Ihnen das nun gefallen oder nicht – eine recht schöne Summe!...
– Eine schöne Summe?...
– Urtheilen Sie selbst!... Fünfzigtausend Piaster in tadellosen, cursfähigen Bankscheinen.
– Und dieses Geld wäre für mich bestimmt?...
– Gewiß für Sie... allein für Sie!
– Wer sendet es mir?
– Das kann ich Ihnen aus sehr triftigem Grunde nicht sagen, ich weiß es nämlich selbst nicht.
– Wozu soll dieses Geld dienen?
– Das weiß ich ebenso wenig.
– Und wie kommen Sie zu dem Auftrage, mir eine so große Summe auszuhändigen?
– Hier, lesen Sie.«[76]
Der Notar hielt ihm einen Brief von nur wenigen Zeilen hin.
»Herr Nick, Notar zu Montreal, wird ersucht, dem Vorsitzenden des Reform-Comités zu Laval, in der Villa Montcalm, den Rest der Summe, welchen unsere Abrechnung in der Expedition noch ergibt, auszuhändigen.«
2. September 1837.
»J. B. J.«
Herr de Vaudreuil sah den Notar an, ohne diese an ihn gerichtete Sendung näher zu verstehen.
»Wo ist dieses Schreiben zur Post gegeben gewesen, Herr Nick? fragte er.
– In St. Charles, Grafschaft Verchéres.«
Clary hatte den Brief ergriffen. Sie prüfte sorgsam die Handschrift; vielleicht rührte er von der nämlichen her, welche Herrn de Vaudreuil den Besuch seiner Freunde Vincent Hodge, Clerc und Farran ankündigte... Das war nicht der Fall; die Schriftzüge beider Briefe ließen keine Aehnlichkeit erkennen – was Fräulein de Vaudreuil ihrem Vater erklärte.
»Sie haben auch keine Muthmaßung, Herr Nick, fragte sie, wer der Unterzeichner dieses Briefes, der sich unter den einfachen Buchstaben »J. B. J.« verbirgt, sein könnte?
– Gar keine, liebes Fräulein Clary.
– Und doch kann es nicht das erste Mal sein, daß Sie mit dieser Persönlichkeit in Beziehung treten?
– Offenbar nicht.
– Oder vielmehr mit diesen Personen, denn der Brief spricht nicht von »meiner« sondern von »unserer« Abrechnung – was darauf schließen läßt, daß jene drei Anfangsbuchstaben drei verschiedenen Namen angehören.
– So scheint es, bestätigte Meister Nick.
– Ich möchte auch bemerken, sagte Herr de Vaudreuil, daß Sie, da ja von einer Abrechnung die Rede ist, schon früher über Geldmittel derselben Personen verfügt haben dürften...
– Herr de Vaudreuil, versetzte der Notar, hören Sie kurz, was ich Ihnen hierauf sagen kann und, wie mir scheint, hierüber sagen darf.«
Er nahm sich ein wenig Zeit, ehe er zu weiterer Erklärung kam, und da berichtete Meister Nick dann Folgendes:
»Im Jahre 1825, einen Monat nach dem Todesurtheil, welches einigen Ihrer vertrautesten Freunde das Leben, und Ihnen, Herr de Vaudreuil, die[77] Freiheit raubte, erhielt ich einen großen Brief mit Wertheinlage, der die ungeheure Summe von hunderttausend Piastern enthielt. Der betreffende Brief war in Quebec zur Post gegeben und enthielt noch ein zweites Schreiben folgenden Wortlautes:
Der Betrag von hunderttausend Piastern wird hiermit in die Hand des Meisters Nick, Notars in Montreal, niedergelegt, am davon den Gebrauch zu machen, über den ihm später weitere Bestimmungen zugehen werden. Man rechnet auf seine Discretion, Niemandem von dem in seine Verwahrung gegebenen Dépot, noch von dem Gebrauch zu sprechen, der in Zukunft davon gemacht werden könnte.«
– Und die Unterschrift? fragte Clary.
– Die Unterschrift lautete ebenfalls J. B. J., antwortete Meister Nick.
– Dieselben Anfangsbuchstaben?... sagte Herr de Vaudreuil.
– Genau dieselben? wiederholte Clary.
– Ja, mein Fräulein. Wie Sie sich leicht vorstellen können, fuhr der Notar fort, war ich im höchsten Maße erstaunt über die geheimnißvolle Seite dieser Hinterlegung. Da ich die Summe dem mir unbekannten Clienten, der sie mir geschickt, doch nicht zurücksenden konnte, und ich andererseits Anstand nahm, den Behörden von der Sache Mittheilung zu machen, so hinterlegte ich wieder jene hunderttausend Piaster bei der Bank von Montreal und beschloß ruhig zu warten.«
Clary und ihr Vater hörten dem Meister Nick mit gespanntester Aufmerksamkeit zu. Der Notar hatte ja gesagt, daß dieses Geld seiner Meinung nach eine politische Bestimmung haben könne. Wie der Leser bald sehen wird, sollte er sich auch nicht getäuscht haben.
»Sechs Jahre später, fuhr er fort, wurde von mir durch einen, mit denselben räthselhaften Buchstaben unterschriebenen Brief die Summe von zweiundzwanzigtausend Piastern verlangt, und das Ersuchen ausgesprochen, dieselben nach dem Flecken Berthier, in der Grafschaft gleichen Namens, zu adressiren.
– Ja, aber an wen?... fragte Herr de Vaudreuil.
– An den Vorsitzenden des Reformer-Comités, und nach kurzer Zeit brach die Revolte aus, die Sie ja kennen. Vier Jahre gingen dahin, da traf ein gleicher Brief ein, welcher die Summe von achtzehntausend Piastern nach St. Martine, dieses Mal an den Vorsitzenden des Comités von Châteaugay, verlangte. Nur wenig später entstand die heftige Bewegung, welche bei den[78] Wahlen von 1834 zu Tage trat, die Vertagung der Kammer zur Folge hatte, und der das Verlangen, den Gouverneur Lord Aylmer in Anklagestand zu versetzen, auf dem Fuße folgte.«
Herr de Vaudreuil überdachte einige Augenblicke das, was er von dem Notar hörte, und wandte sich dann an diesen mit den Worten:
»Sie erkennen also, mein lieber Nick, sagte er, einen inneren Zusammenhang zwischen jenen verschiedenen Ereignissen und der Absendung des Geldes an die Reformer-Comités?...
– Ich, Herr de Vaudreuil, erwiderte Meister Nick, ich erkenne nicht das Geringste! Ich bin ja kein Politiker!... Nichts weiter, als ein einfacher, rechtskundiger Diener Jedermanns, der meine Hilfe in Anspruch nimmt. Ich habe nichts Anderes gethan, als die Summe, die mir in Verwahrung gegeben war, entsprechend den mir ertheilten Weisungen zurückerstattet. Ich erzähle Ihnen den Thatbestand, wie er ist, und muß es Ihnen überlassen, daraus Ihre Schlußfolgerungen zu ziehen.
– Sehr gut, mein weiser Freund, antwortete ihm Herr de Vaudreuil lächelnd. Wir werden Sie nicht compromittiren. Doch wenn Sie heute nur nach der Villa Montcalm gekommen sind...
– So geschah es, Herr de Vaudreuil, um zum dritten Male zu thun, was ich schon zweimal gethan habe. Am heutigen Morgen, dem des 3. Septembers, erhielt ich Auftrag: 1. den Rest der mir einst übergebenen Summe, d. h. fünfzigtausend Piaster, abzugeben; 2. dieselbe in die Hand des Vorsitzenden des Comités von Laval auszuliefern. Das ist die Veranlassung, Herr de Vaudreuil, daß, da Sie doch Vorsitzender des bekannten Comités sind, ich mich eingestellt habe, um die erwähnte Summe als Cassen-Bilanz hierher zu bringen. Ich weiß weder, noch wünsch' ich zu wissen, welchem Zwecke dieselbe dienen soll. Ich habe die Ausschüttung der Masse in die Hand des durch jenen Brief bezeichneten Vorsitzenden besorgt, und wenn ich den Betrag nicht durch die Post sandte, sondern es vorzog, ihn selbst zu überbringen, so geschah das, weil es mir willkommene Gelegenheit bot, meinen werthen Freund, Herrn de Vaudreuil, und Fräulein Clary, seine Tochter, einmal wieder zu sehen.«
Ohne unterbrochen zu werden, hatte Meister Nick seine Erklärung vollenden können. Nachdem er nun gesagt, was er nur zu sagen hatte, erhob er sich, näherte sich der, der Terrasse zu liegenden Fensteröffnung und betrachtete die Fahrzeuge, welche auf dem Strom in Berg- oder Thalfahrt begriffen waren.
In Nachsinnen versunken, verhielt sich Herr de Vaudreuil völlig still. Die Gedanken seiner Tochter[79] waren ganz in derselben Richtung beschäftigt. Es war ja gar nicht zweifelhaft, daß dieses so geheimnißvoll geschickte und Meister Nick in Verwahrung gegebene Geld zu den Bedürfnissen der Parteisache verwendet worden war, und nicht weniger zweifellos war es, daß ihm angesichts einer bevorstehenden Erhebung dieselbe Anwendung vorbehalten war. Diese Sendung traf übrigens an demselben Tage ein, wo ein »Sohn der Freiheit« die vertrauten Freunde des Herrn de Vaudreuil nach der Villa Montcalm berufen hatte; deutete das nicht auf einen mindestens eigenartigen Zusammenhang?[80]
Die Unterhaltung dauerte noch eine Weile lang fort, was bei der Plauderseligkeit des Herrn Nick nicht zu verwundern war. Er unterhielt dabei Herrn de Vaudreuil von dem, was dieser ebenso gut und noch besser als er selbst wußte, von der politischen Lage, vorzüglich in Unter-Canada. Und diese Dinge, er wiederholte das öfter – berichtete er nur mit der allergrößten Reserve, da er keineswegs die Neigung habe, sich in Sachen einzumischen, die ihn nichts[81] angingen. Sein Ziel schien nur das zu sein, Herrn de Vaudreuil möglichst Vorsicht zu empfehlen, denn sicherlich verdoppelte die Polizei ihre Aufmerksamkeit in den Kirchspielen der Grafschaft Montreal.
Das veranlaßte den ehrenwerthen Herrn Nick noch zu den Worten:
»Offenbar befürchten die Behörden ganz besonders, daß sich ein Führer an die Spitze der Volksbewegung setzen könne, und daß jener Führer der berühmte oder berüchtigte Johann ohne Namen sein werde.«
Bei diesen Worten erhob sich Clary und lehnte sich an das nach dem Park zu gelegene Fenster.
»Kennen Sie denn diesen kühnen Agitator, lieber Nick? fragte Herr de Vaudreuil.
– Ich kenne ihn nicht, habe ihn niemals gesehen und sogar noch keinen Menschen getroffen, der ihn gekannt hätte. Daß er aber leibhaftig vorhanden ist, erleidet entschieden keinen Zweifel... Ich stelle mir ihn mit Vorliebe in der Erscheinung eines Romanhelden vor, eines jungen, hochgewachsenen Mannes mit vornehmer Erscheinung, sympathischem Gesicht und mit einnehmender Stimme – wenn es nicht eben ein braver Patriarch an der Schwelle des Greisenalters, mit tiefgerunzeltem Gesicht und entkräfteten Gliedern ist!... Ja, bei solchen Leuten weiß man nie vorher, woran man ist.
– Wer er auch sei, antwortete Herr de Vaudreuil, gebe Gott, daß er bald auf den Gedanken kommt, sich an unsere Spitze zu setzen, und wir werden ihm ebenso weit folgen, wie es ihm belieben wird, uns zu führen.
– O, Herr de Vaudreuil, das könnte vielleicht binnen Kurzem geschehen! rief Meister Nick.
– Was sagen Sie?... fragte Clary, welche raschen Schrittes nach der Mitte des Salons zurückkam.
– Ich sage, Fräulein Clary... oder vielmehr, ich sage lieber nichts, das ist wohl klüger.
– Ich bestehe aber darauf! erwiderte das junge Mädchen. Reden Sie!... Reden Sie! Ich bitte darum; was wissen Sie?
– Wohl nur, was auch Andere wissen, antwortete Meister Nick, das nämlich, daß Johann ohne Namen in der Grafschaft Montreal aufgetaucht sein soll. Wenigstens macht eben ein solches Gerücht die Runde... unglücklicher Weise...
– Unglücklicher Weise?... wiederholte Clary.[82]
– Ja; denn wenn es sich bewahrheitet, dürfte unser Held schwerlich den Nachstellungen der Polizei entgehen. Heute, als ich über die Insel Montreal fuhr, habe ich selbst die Häscher gesehen, welche der Minister Gilbert Argall auf die Spuren Johanns ohne Namen losgelassen hat, unter diesen auch den Chef des Hauses Rip & Cie.
– Wie?... Rip?... stieß Herr de Vaudreuil hervor.
– Ihn selbst, versicherte der Notar. Das ist ein gewandter Mann, dem für seine Mitwirkung gewiß ein hoher Preis zugesichert wurde. Gelingt es ihm, sich Johanns ohne Namen zu bemächtigen, so ist die Verurtheilung dieses jungen Mannes – ja wohl, er muß noch jung sein – entschieden, und die nationale Partei wird ein Opfer mehr zu zählen haben.«
Trotz ihrer Selbstbeherrschung erbleichte Clary urplötzlich, ihre Augen schlossen sich und kaum vermochte sie das Klopfen ihres Herzens zu verbergen. Herr de Vaudreuil ging nachsinnend im Salon auf und ab.
Um den peinlichen Eindruck seiner letzten Worte zu verwischen, setzte Meister Nick hinzu:
»Allem Anschein nach ist er ein Mann von ungewöhnlicher Kühnheit, dieser unauffindbare Johann ohne Namen!... Bisher ist es ihm ja gelungen, sich den angestrengtesten Nachforschungen zu entziehen. Im Falle man ihm zu dicht auf den Fersen wäre, würde jedes Haus der Grafschaft ihm Zuflucht gewähren, würden alle Thüren sich vor ihm öffnen – sogar die Thür der Expedition des Meister Nick, wenn er bei diesem eine Zuflucht suchte... obwohl Meister Nick sich auf keine Weise in politische Angelegenheiten zu mischen wünschte.«
Hiermit verabschiedete sich der Notar von Herrn und Fräulein de Vaudreuil. Er hatte keine Zeit zu verlieren, wenn er zur Essensstunde in Montreal zurück sein wollte – zu jener regelmäßig eingehaltenen und ihm stets willkommenen Stunde, in der er sich einer der wichtigsten Beschäftigungen seines Lebens hingab.
Herr de Vaudreuil wollte anspannen lassen, um Meister Nick nach Laval zurückzubringen. Als kluger Mann lehnte dieser das freundliche Angebot ab; es schien ihm besser, daß Niemand von seinem Besuche in der Villa Montcalm erfuhr. Er hatte ja, Gott sei Dank, gute Beine, und eine Lieue mehr oder weniger, das setzte einen der besten Fußgänger des canadischen Notariats nicht in Verlegenheit. Außerdem hatte er ja Sagamoren-Blut in den Adern, er, der Abkömmling jener kraftvollen indianischen Völkerschaften, deren Angehörige gleich ganze Monate lang auf dem Kriegspfade wandelten.[83]
Kurz, Meister Nick rief seinen Lionel, der in den Alleen des Parkes jedenfalls dem heiligen Bataillon der Musen nachjagte, und Beide begaben sich am linken Ufer des St. Lorenzo hin nach Laval zurück.
Nach dreiviertelstündigem Wege gelangten sie gerade in dem Augenblicke an die dortige Landungsbrücke, als Vincent Hodge, Clerc und Farran ans Land stiegen, um sich nach der Villa Montcalm zu begeben.
Im Vorüberkommen an denselben wurde er mit einem jener unentweichbaren und vertrauten »Ei, guten Tag, Meister Nick!« begrüßt. Nach Ueberschreitung des Stromes kletterte er dann wieder in den Wagen und traf in seinem Hause am Bon-Secours-Markte gerade ein, als seine alte Dienerin, Mistreß Dolly, die dampfende Suppe auf den Tisch setzte.
Meister Nick ließ sich sogleich in seinen bequemen Lehnstuhl nieder und Lionel nahm ihm gegenüber Platz, während er vor sich hinträllerte:
Mit Dir entstehn, Du Wandelflamme,
Mit Dir vergeh'n, Du irrend Licht!
»Na, na, bemerkte der Notar, wenn Du während des Essens auch noch Verse kanst, dann nimm Dich wenigstens vor den Gräten in Acht!«
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Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.
86 Seiten, 5.80 Euro
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
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