Jüngling und Mädchen

[39] Er.


Noch einmal, Liebe, komm in meine Arme;

Mich ruft das stolze Vaterland zum Streit;

Hinüber mit dem wilden Brüderschwarme!

Wir alle, Mädchen, sind dem Tod geweiht!

Laß ab von deinem Weinen, deinem Harme,

Den liebend dir dein weiches Herz gebeut:

Nur aus des Geistes altem Riesenstreben

Steigt siegend auf ein heilig junges Leben.


Sie.


Ach! tobend stürzt der Mann sich ins Getümmel:

Ihn wogt dahin die sturmbewegte Fluth;

Doch einsam fühlt das Weib nur ihren Himmel:

Im Herzen still bewahrt sie ihre Gluth[40]

Dich stürzt der wilde Sinn ins Kampfgetümmel,

Zum Schlachtendrang dein kühner Feuermuth!

Doch, einsam in den alten, öden Mauern

Muß bang um dich die stille Jungfrau trauern.


Er.


Wie schwarz die Wolke von Gebirgesfirnen

Herunterstürzt mit ihrem Nebelgrau'n,

Und leuchtend dann die alten Riesenstirnen

Im jungen Morgenlicht zum Aether schau'n,

Und wie gebändigte Giganten, zürnen

Die Wolken, unten auf der Thäler Au'n;

So folgt dem Kampf die neue Siegesfeyer,

Und alles schau'n wir heiterer und freyer!


Sie.


Doch eh' am Morgen auf dem Wiesengrunde

Die junge Sonne quillend niederblickt,

Hat kalt und schaurig schon zur Nebelstunde

Der Wind den zarten Blumenkelch geknickt.

Dein Busen krankt an einer Todeswunde,

Die Braut hält dich an ihre Brust gedrückt:

Im letzten Kusse deckt sie deine Wangen

Mit ihrer Liebe heißem Gluthverlangen.


[41] Er.


Wie aus der Höh', gleich tosenden Gewittern

Die Schneelawine donnernd niederwallt,

Und Steingeklüfte, Felsenrippen zittern,

Und Berg und Wiese dröhnend wiederhallt;

Und hundertjähr'ge Eichenkronen splittern,

Und alles weicht der stürmenden Gewalt,

So wird der Feind vor unserm Sturm sich neigen,

Und bebend seine stolzen Häupter beugen.


Sie.


Ach! schöner wär's, wenn wir am Ufer wallten;

An deinem Arm die weiche junge Braut!

Wann um der blassen Berge Glanzgestalten

Das weiße, milde Mondlicht niederthaut,

Und zarte Bilder sich dem Aug' entfalten,

Das weinend in die bleiche Ferne schaut,

Da stillte wieder sich dein wildes Sehnen,

Und ach! auch deines Mädchens heiße Thränen!


Er.


Leb' wohl! es läßt der gnäd'ge Gott uns siegen!

Leb' wohl; zum Kampfe fordert mich die Pflicht!

Leb' wohl; du Blasse! Liebe wird nicht trügen,

Aus Trümmern steigt der Freyheit Siegeslicht.


[42] Sie.


Ach! lebe wohl! die Ahnung wird nicht lügen,

Die leise wogend aus dem Busen spricht!

Dein Mädchen giebt dir diesen Kuß zur Weihe,

Nimm ihn zum keuschen Siegel ihrer Treue!


Beyde.


Und wie die Morgensonne aus den Wellen

In reiner Schöne hoch empor sich hebt,

Und Licht und Fülle ströhmt aus tausend Quellen,

Und alles jung am Kuß der Mutter webt;

So wird der Friede segnend niederquellen,

Vom Morgenhauch des ew'gen Licht's durchbebt,

Und tief und heilig, wie zwey Opferflammen,

Schlingt Lieb' und Stärke wieder sich zusammen.


Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Lieder der Griechen 1823. Tübingen 1979, S. 39-43.
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