Dritte Szene

[65] Franziska tritt mit Veit Kunz ein.


FRANZISKA. Sophie, denk dir meine Überraschung: Der Versicherungsbeamte ist Veit Kunz![65]

SOPHIE. Das trifft sich ja wieder einmal wundervoll für dich! Wenn dir dein Freund als Versicherungsagent ebensoviel Glück bringt, wie als Gesangslehrer, dann werden wir uns vor lauter Glück bald nicht mehr zu retten wissen.

VEIT KUNZ. Das klingt etwas höhnisch. Die Damen scheinen sich über irgend etwas erregt zu haben?

SOPHIE. Ganz recht! Ich fragte meinen Mann eben erst, ob man sich nicht auch gegen Untreue versichern kann.

VEIT KUNZ. Selbstverständlich können Sie das. Bestimmen Sie nur, welche Summe Sie im Falle Ihrer Untreue von uns zu bekommen wünschen.

SOPHIE. Sie quälen mich aufs Blut! Von meiner Untreue ist hier gar nicht die Rede.

VEIT KUNZ. Das dürften gnädige Frau nicht so leichtherzig aussprechen! Aber für uns bleibt das gleichgültig. Wir versichern Sie auch gegen die Untreue Ihres Gatten.

LYDIA. Erlauben Sie, gnädige Frau, daß ich mich empfehle.[66]

SOPHIE. Sie sind ein liebes Geschöpf. Mein Mann erscheint mir immer begreiflicher. Ich begleite Sie hinaus. Lydia grüßt die Herren durch Kopfnicken und wird von Sophie hinausbegleitet.

FRANZISKA. Du bist jetzt also tatsächlich auch noch Versicherungsbeamter?

VEIT KUNZ. Der war ich immer. Soviel ich weiß, haben wir hier in München schon einmal einen Versicherungsvertrag miteinander geschlossen.

FRANZISKA. Von dir habe ich damals nichts gesehen.

VEIT KUNZ. Ich war durch deinen schlanken Wuchs gefesselt. Um dich ungestört beobachten zu können, ließ ich mich bei den Vorbesprechungen durch einen Unteragenten vertreten.

FRANZISKA. Jetzt versicherst du mich also gegen jede Konventionalstrafe, in die ich verfallen kann?

VEIT KUNZ. Die Prämie, die du zu zahlen hast, muß erst berechnet werden. Morgen werden dir unsere Vertragsvorschläge zugestellt.[67]

SOPHIE zurückkommend zu Franziska. Ich habe ihr noch einmal geschworen, daß ich ihr eine Kugel ins Herz jage, wenn sie mich mein eheliches Glück nicht ungetrübt genießen läßt.

FRANZISKA. Nun, Sophie? was hat sie dir geantwortet?

SOPHIE. Franz! Franz! Ist dir meine hilflose Verzweiflung eine Freude?

FRANZISKA. Daran ist nur meine aufreizende Kindheit schuld. Ich verliere jeden Halt, sobald ich keine Tragik vor Augen habe. Der Anblick des Schmerzes macht erst einen tatkräftigen, überlegenen Menschen aus mir.

VEIT KUNZ. Soweit es deine Kunst betrifft, kann ich das vollauf bestätigen.

SOPHIE. Ich merke nichts davon.

VEIT KUNZ. Im Dienste einer großen Kunst haben heldenmütige Frauen wie Sie zu Hunderten gelitten. Eigentlich kann sich eine Frau gar nicht nutzbringender an einem Kunstwerk betätigen.[68]

FRANZISKA. Außerdem flößt die Frau dem Manne viel mehr Bewunderung ein, wenn sie etwas mit Anstrengung all ihrer Seelenkraft zu überwinden hat.

VEIT KUNZ. Die Frau wirkt dadurch als eine Art belebender Arznei, als ein Reizmittel, das alle Nerven und Muskeln anspannt.

SOPHIE. Ich merke nichts davon.

VEIT KUNZ. Ich desto mehr.

SOPHIE. Schließlich bin ich dann also im Grunde nichts anderes als ein unseliges Werkzeug in der Hand eines geldgierigen Sklavenhalters.

VEIT KUNZ. In erster Linie bin ich allerdings Lebensversicherungsagent.

SOPHIE lacht hell auf. Davon scheinen Sie wirklich den ausgiebigsten Gebrauch zu machen.

VEIT KUNZ. Jedenfalls ausgiebiger, als gnädige Frau sich's träumen lassen.[69]

SOPHIE. Wenn Sie wirklich Versicherungsagent sind, dann lassen Sie mich bitte das Leben dieser Tänzerin, die eben fortging, zu einer so ungeheuren Summe versichern, daß das Mädchen unmöglich umkommen kann, ohne daß Ihre Gesellschaft dabei den kläglichsten Bankerott macht. Das Geld dazu gibt mir mein Vater. Statt meiner hat dann Ihre Gesellschaft die Aufgabe, meinem Jammer abzuhelfen. Und ich bin diesen seelenmörderischen Kampf um mein rechtmäßiges Lebensglück los!

VEIT KUNZ. Gegen derartige Unglücksfälle sind wir natürlich bei anderen Gesellschaften rückversichert. Da die anderen Gesellschaften das auch bei uns sind, erzielen wir dabei zu guterletzt noch Prämiendividende.

SOPHIE. Dann haben Sie mich also belogen! Dann gibt es einfach keine Versicherung gegen Untreue!

VEIT KUNZ. Die einzige wirksame Versicherung gegen Untreue ließen sich gnädige Frau bereits entgehen. Sie hätten Ihrem Gatten einfach zuvorkommen müssen.

SOPHIE. Das kann ich nicht! Dazu liebe ich ihn zu leidenschaftlich! Ich habe ihn nicht umsonst gegen den Willen meiner ganzen Familie geheiratet. Er ist[70] mein eins und alles. Er ist mein Glück. Soll ich denn meinem eigenen Glück untreu werden?!

VEIT KUNZ. Wenn gnädige Frau so wenig Achtung vor sich selber haben, dann würde ich Ihnen empfehlen ...

FRANZISKA. Deine Ausdrücke, lieber Freund, sind im höchsten Grade unpassend!

VEIT KUNZ. Du hast zu schweigen, wenn dein Maestro spricht!

SOPHIE. Wenig Achtung vor mir selber! Was fällt Ihnen denn ein! Liebe und Treue sind seit Erschaffung der Welt die heiligsten weiblichen Tugenden. Ich achte mich nicht geringer, ich achte mich höher als jede andere Frau!

VEIT KUNZ. Wenn das Ihr Ernst ist, dann rate ich Ihnen, nicht Fräulein Lydia Höpfl, sondern sich selber in eine Lebensversicherung einzukaufen.

SOPHIE. Was kann mir das nützen? Zu wessen Gunsten soll ich mein Leben versichern?

VEIT KUNZ. Meinetwegen zugunsten des Mannes, den Sie so leidenschaftlich lieben![71]

SOPHIE. Sie machen sich über mich lustig.

VEIT KUNZ. Das kann mir nicht einfallen! – Dann versichern Sie Ihr Leben zugunsten eines Wöchnerinnenheims, eines Waisenhauses! Von dem Augenblicke an hat Ihr Leben einige Bedeutung für Sie. Das erfüllt Sie mit Stolz. Das schmeichelt Ihrer Eitelkeit. Sie freuen sich Ihres Edelmutes und ehe Sie sich's versehen, haben Sie hundertmal mehr Genuß von Ihrem Leben, als wenn Sie Ihr Glück in der Liebe suchen.

FRANZISKA. Nun Sophie? Hatte ich recht oder nicht? Eine bewundernswürdige Art von Weltbeherrschung!

SOPHIE. Franz! Wenn du deine Tänzerin gern hast, dann bewahr' sie vor dem Schrecklichsten! Wo mein Glück auf dem Spiele steht, kenne ich kein Erbarmen. Tritt sie mir noch einmal als deine Geliebte in den Weg, dann ist sie verloren! – Vielleicht sagt dir dein Freund und Lehrmeister, wie du dich mit meinem Entschluß am besten abfindest. Viel Vergnügen, meine Herren! – Ab.[72]


Quelle:
Wedekind, Frank: Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten, München 1912, S. 65-73.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon