Vierter Auftritt

[247] Atreus, Aegisth.


ATREUS.

Unsinniger! wenn du dein Glück verstanden,

So hättest du geschwiegen: sahst du nicht

Hier den Verräter stehn? verstandst du nicht

Den Wink, der dir mein drohend Auge gab?[247]

AEGISTH.

Meinst du den Priester? – Herr! ich bin gelehrt,

In ihm den Gott, in dessen Heiligtum

Er dient, zu ehren ...

ATREUS.

Ha! wer lehrt es dich?

Der Aberglaube? Dank es meiner Gnade,

Noch mehr, der Zärtlichkeit für deine Mutter,

Daß dich mein Grimm nicht gleich getötet hat.

AEGISTH.

Was tat ich?

ATREUS.

Was? was du getan? Du fragst?

Du solltest mir allein den Götterspruch

Entdecken, mir entdecken, daß Thyest

In deinen Händen war. Der Priester haßt

Mich und mein Haus; schon längst hätt' ich der Wut

Ihn aufgeopfert: doch das blinde Volk

Wähnt, daß er, wie er will, den Blitz des Zeus

Regiert. Ein Wort von ihm? so bläst er uns

Ein Feuer auf, das meinen Thron verzehrt. –

Und weißt du, wem ich diesen zugedacht? –

Dir! ja dir selbst! –

AEGISTH.

Mir, Herr?

ATREUS.

Ja dir, mein Sohn!

Den Thron von Argos! Du, du solltest einst

Mein Erbe, bald mein Mitbeherrscher sein! –

Was sagst du?

AEGISTH.

Daß das Glück, das deine Huld

Mir zugedacht, den Dank weit übersteigt,

Den ich dir geben kann. Herr! ich bin nichts ...

ATREUS.

Kann ich aus nichts, nicht einen König machen?

Bist du mir nicht der jüngste, liebste Sohn?

Hat je ein Sterblicher wohl mehr als ich

Das Weib geliebt, das dich mir einst gebar?

AEGISTH.

Jedoch das Volk, das Pestilenz und Hunger

Vertilgt, braucht Hülfe! – des Orakels Spruch ...

ATREUS.

Tor! des Orakels Spruch war leicht verdreht.

Ein kluger Mann weiß schon, wie er damit

Verfahren soll.[248]

AEGISTH.

Ich zittre! würden wohl

Die Götter, deren Wink die Welt erschüttert ...

ATREUS.

Laß sie erschüttern! sahst du sie zerfallen,

Wann sich ihr Grimm in Wettern aufgebläht?

Legt sich das Meer nicht nach dem Sturm von selbst?

AEGISTH.

Allein, das Schiff, das auf den Wellen geht,

Wie leicht zerscheitert es!

ATREUS.

Du bist ein Feiger!

Steh fest, ein Fels im Meer! die Welle schlägt

Umsonst an deinen Fuß, zerbricht sich selbst,

Und flieht zurück! ... vielleicht (Du kennst noch nicht

Der Priester höllischen Betrug!), vielleicht

Gab unser Priester selbst der Pythia

Die schielichte, zweideut'ge Antwort ein.

Vielleicht bestach Thyest die Priesterin.

AEGISTH.

Unmöglich! Herr! – und ist sie denn für uns

So schrecklich?

ATREUS.

Ha, Kind! hörtest du nicht selbst,

Wie schlau der Priester sie enträtselte.

Ich soll das Reich geteilt mit dem Thyest ...

Verderben! Fluch und Tod! eh soll Mykene,

Eh Argos, Griechenland, eh alle Welt

In Trümmern untergehn! Hast du es nicht,

Du selbst gesehn, mit welchem Aufruhr da

In ihm die Seele rang, wie sehr die Wut

Ihm das Gesicht verzog, nur mich zu sehn? –

Und dieser Mann soll mit mir König sein?

AEGISTH.

Er fürchtet dich – er bat, er drohte nicht!

ATREUS.

Tor! weil er mir nicht drohen kann. Glaubst du,

Sobald ich ihn zum Thron erhüb', daß er

Mich nicht herunterstieß', mich, den er haßt,

So wie ich ihn? daß er nicht dir das Herz

Aus deinem Leibe riß, bloß weil ich dir

Den Thron bestimmt? nicht deine Mutter erst

Durch Schand' entehrete, dann grimmig sie

Zerfleischte, bloß weil ich sie geliebt?[249]

AEGISTH.

Entsetzen! – Herr! er ist in deiner Hand!

Du kannst den Strom durch angewiesnes Ufer

Gebieten, wie du willst!

ATREUS.

Ah! dieser schwellt

Leicht zu der Höh', daß er den Damm zerreißt!

Schon spielt er unter sich. – Du kennst das Volk;

Verfolgt vom Tod schaut es nach Hülf' umher,

Der Priester bläst des Aberglaubens Gift

In sein Gehirn, damit es sinnlos wird.

Viel lieber stürzt es sich in Strom und hofft,

Daß dieser es an Ufer treibt, wo es

Sich retten kann. Wer von den Felsen stürzt,

Hält sich an einen Stein, ob dieser gleich

Den Sturz beflügelt, ihn im Fall zerquetscht. –

Nein! er muß sterben, ja in Martern will

Ich ihm den Geist aus seinem Körper ziehn! –

AEGISTH.

Erbarmung, Herr! er ist dein Bruder ...

ATREUS.

Wie,

Verwegner? nenn ihn mir noch einmal so!

Und jede Qual ... doch nein; ich liebe dich,

So sehr als ich die beiden Söhne hasse,

Die mir Aerope gab; sie sind Bastarde

Und ihrer Mutter Fluch. Das Goldne Vlies

Stahl sie; ja, sie gebar den Tod, der itzt

Unaufgehalten würgt! – Du bist mein Sohn,

Und dein ist er, der Thron von Argos ...

AEGISTH.

Ach!

Beflügle wenigstens den Tod, daß er

Sein Unglück endige!

ATREUS.

Was sagst du! ha!

Aus welchem Zauberkelch hast du getrunken?

AEGISTH.

Das Mitleid ...

ATREUS.

Wehe dir! wo du dies hörst,

Wo du ... doch nein, Aegisth wird weiser sein.

Ich bin dein Vater, ich dein König. Lehrt[250]

Der Priester frech Geschwätz vielleicht dich auch

Dem ungehorsam sein?

AEGISTH.

Gebiete, Herr!

Dein Will' ist mein Gesetz.

ATREUS.

Gut! itzund tobt

Der Sturm der Leidenschaft in meiner Brust

Noch allzusehr, um einen sichern Schluß

Zu fassen: bringe bald mir den Gefangnen,

Daß ich der Wut, die mein Triumph in ihm

Erregen muß, noch einmal spotten kann:

Dann – ja alsdann erwarte, was mein Grimm

Beschleußt! verhüll ihn wohl, damit das Volk

Nicht den Verräter kenne. –


Geht ab.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 247-251.
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