93. Auf des Mannes Gottes, Paul Antonii zu Halle, Auflösung

[260] 1730.


Vater!1 ey wohin,

Mit so sanftem Sinn?[260]

In die sichren Friedens-Hütten,

Zum Genuß der sieben Bitten,

Und des Theils des Stamms,

Und des ganzen Lamms.


Heute geht mit mir

Etwas Grosses für:

Denn ein Theil von meiner Seele

Zeucht dahin aus dieser Höhle;

Aber wo dann hin?

Wo ich auch schon bin.


Wer beschreibt den Fleiß,

Unbeflekter Greis!

Deinen Fleiß für Christi Schule,

Wider die vons Satans Stuhle?

Wer dich recht gehört,

Wurde tief gelehrt.


Hätt'st du nichts gethan,

Als der Glaubens-Bahn

Unsers noch nicht todten Franken

So natürlich abzudanken,

Und so eigentlich;

So besäng ich dich.


Fahre hin, o Licht,

Dessen gleichen nicht!

Licht, das nie umsonst geschienen,

Fahre hin, dem Stuhl zu dienen,

Wo der Fakkeln Pracht

In die Sonne lacht.


Mosis Angesicht,

(Und er wußt es nicht,)

Glänzete bis zum Verblenden,

Spener klagt sich, beym Vollenden,[261]

Seiner Thaten, an:

Daß er nichts gethan.2


Paul Antonius,

Dieser Ueberfluß

Der verheißnen Lebens-Wasser,

(Nach dem Zeugnis unsrer Hasser)

Hat von sich bekant:

Er verbau das Land.


Krigt er Widerspruch,

Daß ja der Geruch

Von in Gott geschehnen Werken,

Allenthalben zu vermerken;

Gab er bald zurük:

Daß er Netze flikk'.


Du beschreibest dich

Unverbesserlich,

Tausend Böses zu verriegeln,

Tausend Gutes zu versiegeln,

Das war deine Stärk,

Und dein Tage-Werk.


Ausgestrekte Hand!

Die das Liebes-Band

Mein und meiner Mitgenossen,

Die im Herrn zusammenflossen,

Vor die Liebe trug,

Und zusammenschlug.


Ich bewundre dich,

Wie so meisterlich

Du die Tieffen kontest deuten,

Und zum rechten Sinne leiten;[262]

Und dein Finger-Zeig

Ueberzeugte gleich.


Als ich dir zuletzt

Sehnlich zugesetzt,

Wie doch unsre Creutz-Gemeine

Andren so bedenklich scheine,

(Die nur Jesum kennt,

Die nur Jesum nennt;)


Suchen sie die Spur,

(Winkest du mir nur,)

Gideons und seines Knaben;

Midian im Schlaf begraben,

Träumt vom Gersten-Brod,

Das den Zelten droht.


Als erinnert ward,

In der Gegenwart

Eines gar getreuen Zeugen:

Soll man reden oder schweigen?

Sprachst du, selger Mann!

Man soll, was man kan.


Sage deinen Sinn:

Ist es auch Gewinn,

Was in deinem Vaterlande3

Christus wirkt durch Ehr und Schande?

Ich bin, sprachst du, Knecht,

Braucht ihr Freyheits-Recht!


O so siegle zu

In der stillen Ruh,

Das Geschäfte unsrer Glieder,

Und erkenne sie für Brüder;

Plötzlich hielt'st du Stand:

Da ist meine Hand.
[263]

Wer sich matt geredt,

Den verlangt ins Bett,

Und mich in die Felsen-Ritzen,

Da die müden Tauben sitzen.

Ja, ich eil der Ruh

Bey der Arbeit zu.


Laß mir deinen Geist,

Der so köstlich heißt,

Daß ich ohne Worte spreche,

Daß ich ohne Sturm zerbreche,

Daß ich Sorgen-frey,

Und doch sorgsam sey.


Du warst ja gewohnt,

Den, der droben thront,

Auch für Könige zu fassen:4

Kaum, daß du den Platz verlassen,

Oeffnet seine Bahn

König Christian.


Sag ichs, oder nicht,

Aufgefahrnes Licht!

Daß wir deiner Seufzer Rauchen,

Auch für diese Seele brauchen;

Ich verschone dich,

Jesus höret mich.


Drum gerade zu

Auf die stolze Ruh,

Schlaf, nach unterbrochner Stille,

Das ist Gottes guter Wille,

Lieb, (es ist erlaubt,)

Was an Jesum glaubt.


König Christian,

Gottes Unterthan,[264]

Der auch seine Last geladen,

Lebe nun von Gottes Gnaden!

Seine Majestät

Wird ans Creutz erhöht.

Fußnoten

1 Paulus Antonius, Theol. D.P.P.O. und Inspector des Saal-Kreises, war ein geborner Ober-Lausitzer von Hirschfelde bey Zittau, ein ganz ungemeiner Geist, der in der Kraft besessen, was so viele mystische Lehrer beschrieben haben. Seine von Gott beschiedene Gabe war, nachdrüklich und kurz zu reden. Er war ein sehr unpartheyischer Mann. Er lobte das Gute an denen, so er sonst nicht loben konte.


2 Dieses ist weitläuftiger nachzulesen in des Herrn Baron Cansteins Vorrede zu dem letzten Theil der Theologischen Bedenken.


3 Die Ober-Lausitz.


4 Sonderlich für Augustum den Andern, König in Pohlen, mit dem er gereiset.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 260-265.
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