Arbeitsordnung

[289] Arbeitsordnung (Fabrikordnung, Werkstätteordnung, Reglement u.s.w.), für die Arbeiter eines einzelnen gewerblichen Unternehmens bestimmte Sammlung von Vorschriften, durch deren Feststellung der Unternehmer sowohl Ordnung im Betrieb wie Ersatz spezieller Verabredungen beim Abschluß der einzelnen Dienstverträge zu erreichen sucht [1].

Die Erlassung von Arbeitsordnungen in größeren Fabriken und andern größeren gewerblichen Unternehmungen ist dringend erwünscht, ihre gesetzliche Regelung findet, wie die Motive zu dem deutschen Gesetz vom 1. Juni 1891 sagen, ihre Rechtfertigung »in der Erwägung, daß eine bestimmte und klare Kundgebung der Bedingungen des Arbeitsvertrags, aus der jeder Arbeiter sich über seine Rechte und Pflichten zu jeder Zeit unterrichten kann, die zahlreichen Streitigkeiten, die erfahrungsgemäß aus der Unvollständigkeit und der Unklarheit der Arbeitsverträge entliehen, abschneidet und somit zur Erhaltung eines friedlichen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beizutragen geeignet ist. Dieser Erwägung entspricht es, daß die Arbeitsordnung zu einer allgemeinen für alle Fabriken gesetzlich vorgeschriebenen Einrichtung gemacht, daß die Form ihres Erlasses, ihr notwendiger Inhalt und ihre rechtliche Bedeutung für die Beteiligten geregelt werden und die Befolgung der darüber erlassenen Vorschriften durch staatliche Aufsicht gesichert wird«. – In der gesetzlichen Regelung der Arbeitsordnungen gingen die Schweiz und Oesterreich-Ungarn voran, denen zunächst Rußland folgte. Für Deutschland wurden, soweit die Reichsgesetzgebung zuständig, die erforderlichen Bestimmungen durch das Arbeiterschutzgesetz (Novelle zur Gewerbeordnung) vom 1. Juni 1891 §§ 134 ah getroffen. Sie dürften den Forderungen einer rationellen Sozialpolitik in den wesentlichen Punkten entsprechen. Danach ist für jede Fabrik oder jeden den Fabriken gleichgestellten Betrieb (§ 154), in dem in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, eine Arbeitsordnung zu erlassen. Der Erlaß erfolgt durch Aushang. Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen[289] enthalten: 1. über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; 2. über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung, mit der Maßgabe, daß die regelmäßige Lohnzahlung nicht am Sonntag stattfinden darf; 3. sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus denen die Entladung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf; 4. sofern Strafen vorgesehen werden, über die Art und Höhe derselben, über die Art ihrer Festsetzung und, wenn sie in Geld bestehen, über deren Einziehung und über den Zweck, für den sie verwendet werden sollen; 5. sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Bestimmung des § 134 Abs. 2 durch Arbeitsordnung oder Arbeitsvertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Betrage. – Strafbestimmungen, die das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnungen nicht aufgenommen werden. Geldstrafen dürfen, von bestimmten Ausnahmen abgesehen (in Fällen von Tätlichkeiten gegen die Mitarbeiter u.a.) die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen. Alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden. Dem Besitzer der Fabrik bleibt überlassen, neben den unter 1–5 bezeichneten noch weitere die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter im Betriebe betreffende Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. Mit Zustimmung eines Händigen Arbeiterausschusses können in die Arbeitsordnung Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Beilen getroffenen, mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen sowie Vorschriften über das Verhalten der minderjährigen Arbeiter außerhalb des Betriebes aufgenommen werden. Der Inhalt der Arbeitsordnung ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich. Andre als die in der Arbeitsordnung oder in den §§ 123 und 124 der Gewerbeordnung vorgesehenen Gründe der Entladung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsverträge nicht vereinbart werden. Andre als die in der Arbeitsordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werden. Vor dem Erlaß der Arbeitsordnung ist den in der Fabrik beschäftigten großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich über den Inhalt derselben zu äußern, bezw. es ist der etwa bestehende ständige Arbeiterausschuß zu hören. Die Arbeitsordnung ist mit den von den Arbeitern etwa geäußerten Bedenken binnen drei Tagen nach dem Erlaß der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, zugänglicher Stelle auszuhängen und jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen. Arbeitsordnungen, die nicht vorschriftsmäßig erlassen sind, oder deren Inhalt den gesetzlichen Bestimmungen zuwiderläuft, sind auf Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde durch gesetzmäßige Arbeitsordnungen zu ersetzen oder den gesetzlichen Vorschriften entsprechend abzuändern. – Durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900 wurden die Bestimmungen über die Arbeitsordnung nach näherer Maßgabe des § 139 k auf die offenen Verkaufsstellen mit in der Regel mindestens 20 Personen ausgedehnt Landesgesetzlich sind die gewerberechtlichen Bestimmungen über die Arbeitsordnung mit gewissen Abweichungen in die Berggesetze verschiedener deutscher Einzelstaaten übertragen worden. – Zum Teil im Anschluß an die für Deutschland erfolgte Regelung fand eine gesetzliche Regelung der Arbeitsordnungen auch in weiteren außerdeutschen Staaten, so in Norwegen (1892) und in Belgien (1896) statt [2], [3].


Literatur: [1] Koehne, Die Arbeitsordnungen im deutschen Gewerberecht, Berlin 1901, S. 1, 79. – [2] Ebend., S. 58 ff. – Weitere Literatur: [3] Koehne, Die Arbeitsordnung vom Standpunkte der vergleichenden Rechtswissenschaft in der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, herausgegeben von Bernhöft, Cohn und Köhler, Stuttgart 1902, Bd. 15, S. 84 ff.; v. Schönberg, Handbuch der politischen Oekonomie, 4. Aufl., Tübingen 1898, Bd. 2, 2. Halbbd., S. 104 ff.; Dammer, Handbuch der Arbeiterwohlfahrt, Stuttgart 1903, Bd. 2, S. 347 ff.; Stieda, Artikel »Arbeitsordnungen und Arbeiterausschüsse« im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl., Jena 1898, Bd. 1, S. 961 ff.; die Kommentare und Ausgaben der (deutschen) Reichsgewerbeordnung und der Berggesetze; van Beresteijn, Arbeidsreglementen, Amersfoort 1903 (enthält nicht nur über die holländischen, sondern auch über die bezüglichen Verhältnisse in den andern Staaten eingehende Darstellung).

Köhler.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 289-290.
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