Punkte

[296] Punkte, die elementarsten geometrischen Gebilde, die Grenzen der Linie. Ein Punkt ist aber auch, abgesehen von einer Linie, einfach ein Ort im Raum.

Die höheren geometrischen Gebilde, d.h. die Kurven und Flächen, bestehen aus unendlich vielen Punkten. Hinsichtlich des Verhaltens derselben in diesen Punkten hat man eine Anzahl von Namen eingeführt. Ist eine ebene Kurve in einem Punkte einfach, d.h. wird sie von einer durch diesen Punkt gehenden Geraden daselbst nur in einem Punkt geschnitten, und hat sie in demselben mit einer bestimmten durch ihn gehenden Geraden, der Tangente, zwei zusammenfallende Punkte gemein, so heißt der Kurvenpunkt ein gewöhnlicher Punkt (Einseitpunkt, Ovalpunkt). Beispiel: der Ursprung für die Kurve a x2 + 2 b x y + c y2 + d x = 0. Ein solcher Punkt heißt Krümmungspunkt, wenn die Kurve mit dem Krümmungskreis (s. Krümmung) nicht drei, sondern vier Punkte gemein hat (Beispiel: x y2 + x2 + y2 + y = 0; in diesem wie in allen folgenden Beispielen ist der Ursprung der in Betracht kommende Punkt). Ein Krümmungspunkt heißt Scheitel, wenn die Kurve in bezug auf die Normale in demselben symmetrisch ist (z.B. x2 + y = 0). Ein gewöhnlicher Punkt heißt ein elliptischer, parabolischer, hyperbolischer, je nachdem der daselbst fünfpunktig berührende Kegelschnitt eine Ellipse, Parabel, Hyperbel ist; er heißt ein sextaktischer Punkt, wenn sechs aufeinander folgende Punkte auf einem Kegelschnitt liegen (z.B. a x3 + b x2 + c x y d y2 + e x = 0). Ein Kurvenpunkt wird als charakteristischer Punkt bezeichnet, wenn die Tangente mit der Kurve mehr als zwei Punkte gemein hat. Beispiele: Wendepunkt oder Inflexionspunkt (x3 + y = 0); Flachpunkt oder Undulationspunkt (x4 + y = 0); Wendeflachpunkt (x5 + y = 0), in welchen die Tangente mit der Kurve bezw. 3, 4, 5 Punkte gemein hat. In einem charakteristischen Punkte durchdringt die Kurve die Tangente, wenn die Zahl ihrer gemeinsamen Punkte mit dieser ungerade ist; andernfalls nicht. Ein Kurvenpunkt heißt ein mehrfacher, wenn jede Gerade durch denselben die Kurve in mehr als einem Punkt schneidet. Charakteristische Punkte und mehrfache Punkte heißen zusammen auch singuläre Punkte. In einem zweifachen oder Doppelpunkt (Knoten) existieren zwei Tangenten, d.h. Gerade, welche die Kurve in drei zusammenfallenden Punkten schneiden. Beim gewöhnlichen Doppelpunkt sind diese reell (z.B. x3+ y3 + x y = 0). Derselbe heißt Inflexions- bezw. Doppelinflexionsknoten, wenn eine der Tangenten bezw. beide in vier zusammenfallenden Punkten schneiden (z.B. x3 + y4 + x y = 0, bezw. x4 + y4 + x y = 0). Sind die Tangenten imaginär, so heißt der Doppelpunkt ein isolierter oder konjugierter Punkt (Einsiedler) (z.B. x3 + x2 + y2 = 0). Fallen endlich beide Tangenten zusammen, so entsteht zunächst eine Spitze I. Art (Rückkehrpunkt) (z.B. x3 + y2 = 0). In diesem ist der Krümmungskreis unendlich klein. Die Kurve besteht aus zwei zusammenlaufenden Halbzweigen, zwischen welchen die Tangente verläuft. Ist dagegen die Krümmung endlich und schneidet die (einzige) Tangente in vier aufeinander folgenden Punkten, so entsteht ein Selbstberührungspunkt (Berührungsknoten), die Kurve besteht aus zwei sich berührenden Zweigen (x4 + 3 x2 y + 2 y3 + 2 y2 = 0). Oskulieren sich diese Zweige, so entsteht zunächst eine Spitze II. Art (Schnabel, Knotenspitze). Die Kurve hat zwei zusammenlaufende Halbzweige, die aber nicht von der Tangente getrennt werden. Beispiel (x2 + y)2 + x5 = 0. Noch höhere Singularitäten sind der Oskulationsknoten (x2 + y)2 x6 = 0 mit zwei getrennten, sich oskulierenden Zweigen und die Berührungsknotenspitze (x2 + y)2 + x7 = 0, die eine ähnliche Gestalt wie die Schnabelspitze besitzt. Weiter kann die Kurve einen dreifachen Punkt besitzen; hierbei sind die Tangenten entweder alle reell und getrennt (x4 + y4 + x2 y x y2 = 0, oder ist eine reell, die andern imaginär x4 + y4 + x2 y +y3 = 0; in diesem Fall ist der Punkt äußerlich nicht von einem gewöhnlichen verschieden), oder fallen zwei zusammen x4 + y2 + x2 y = 0, oder fallen endlich alle drei zusammen, wodurch ein Spitzpunkt oder Bikuspidalpunkt entsteht x4 + y3 = 0. Die Krümmung der Kurve ist in einem solchen Punkt unendlich groß, wodurch er sich wesentlich von einem gewöhnlichen unterscheidet. Von Punkten, in welchen die Tangente in fünf aufeinander folgenden Punkten, schneidet, seien noch erwähnt: ein Doppelpunkt: der Rückkehrflachpunkt (x5 + y2 = 0) eine Spitze mit unendlich kleiner Krümmung; ein dreifacher Punkt: der Wendespitzpunkt[296] (x5 + y3 = 0), in welchem die Krümmung trotz der Inflexion unendlich groß ist, und ein vierfacher Punkt, der Rückkehrspitzpunkt (x5 + y4 = 0), eine Spitze, bei welcher sich beide Halbzweige sehr rasch von der Tangente entfernen. Von den bemerkenswerten Punkten der Flächen sind die parabolischen Punkte zu erwähnen, in welchen die Tangentialebene mit der Fläche eine Kurve mit Spitze gemein hat (z.B. x3 + y2 + z = 0); ferner die Kreis- oder Nabelpunkte, in welchen die Indicatrix ein Kreis ist und durch welche mehr als zwei Krümmungslinien gehen (z.B. x3 + y3 + z3 + x2 + y2 + z = 0). Die zweifachen Flächenpunkte werden als Knotenpunkte bezeichnet; das Tangentialgebilde (d.h. das Erzeugnis derjenigen Geraden, welche mit der Fläche in höherer Berührung als eine gewöhnliche Gerade stehen) ist ein Kegel zweiter Ordnung (z.B. x3 + x y + z = 0). Zerfällt dieser Kegel in ein Ebenenpaar, so entsteht ein biplanarer Knotenpunkt (z.B. x3 + y3 + z3 + x y = 0); artet er in eine Doppelebene aus, so kommt ein uniplanarer Knotenpunkt zustande (z.B. x3 + y3 + z2 = 0). Besondere singuläre Punkte kommen noch auf den mehrfachen Kurven der Flächen vor. Hat eine Fläche eine Doppelkurve, d.h. eine Kurve, deren jeder Punkt ein (biplanarer) Knotenpunkt ist, so kommen auf dieser vereinzelte Punkte, sogenannte Pinchpunkte, Kuspidalpunkte oder Zwickpunkte vor, in welchen der biplanare Knotenpunkt in einen uniplanaren übergegangen ist. Die beiden Mäntel der Doppelkurve berühren sich in demselben. Auf einer Rückkehrkurve der Fläche berühren sich zwei Mäntel der letzteren, ohne sich über dieselbe hinaus fortzusetzen; sie besteht aus lauter uniplanaren Knotenpunkten derart, daß die Tangentialebene die Fläche in einer Kurve mit dreifachem Punkt und zwar mit zusammenfallenden Tangenten schneidet. Auf derselben kommen Closepunkte vor, in denen die Tangentialebene in einer Kurve mit vierfachem Punkt schneidet, und Offpunkte, d.h. dreifache Flächpunkte, in welchen das Tangentialgebilde ein Kegel dritter Ordnung mit Rückkehrkante ist.


Literatur: [1] Salmon, G., Analytische Geometrie der höheren ebenen Kurven, deutsch von Fiedler, 2. Aufl., Leipzig 1882, S. 31–84; 278–283. – [2] Clebsch, Vorlesungen über Geometrie, herausgegeben von Lindemann, I, Leipzig 1876, S. 319–359. – [3] Hagen, G., Synopsis der höheren Mathematik, II, Berlin 1894, S. 187–198. – [4] Reuschle, Praxis der Kurvendiskussion, I, Stuttgart 1886, S. 31–51. – [5] Halphen, Sur les points singuliers des courbes algébriques, Paris 1879. – [6] Köstlin, Ueber die Singularitäten ebener algebraischer Kurven, Dresden 1895. – [7] Manchester, Ueber Singularitäten ebener Kurven, Tübingen 1891. – [8] Geck, Ueber die singulären Punkte algebraischer Flächen, Tübingen 1900. – [9] Wölffing, Die singulären Punkte der Flächen, Dresden 1896.

Wölffing.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 296-297.
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