[340] Atomgewicht. Von den physikalischen Eigenschaften der Atome ist die wichtigste ihre Masse oder Gewicht, welche jedoch nur in relativem Maße bestimmbar ist, solange die absoluten Dimensionen der Atome unbekannt sind. Durch die chemische Analyse einer Verbindung ergibt sich zunächst das gegenseitige Gewichtsverhältnis der Elemente, die diese Verbindung zusammensetzen, oder ihr relatives Verbindungsgewicht, welches der Vergleichbarkeit wegen auf eine gemeinsame Einheit bezogen wird. Um hieraus das relative Gewicht der Atome zu erfahren, bedarf es der Kenntnis, wieviel Atome der verschiedenen Elemente sich zu einer Molekel der betreffenden Verbindung vereinigen.
Eine Entscheidung hierfür bietet in vielen Fällen das Gesetz von Gay-Lussac, daß gasförmige Elemente sich in einfachen rationalen Volumverhältnissen verbinden und das Volumen der entstandenen Verbindung, wenn gasförmig, ebenfalls in einfachem Verhältnis zu dem der Bestandteile steht. Mit Hilfe von Avogadros Erklärung, daß gleiche Volumina aller Gase gleichviel Molekeln erhalten, erweist sich die Dampfdichte, d.h. das Gewicht eines Einheitsvolumens jeden Gases, als ein Maß seines relativen Molekulargewichts. Die kleinste Gewichtsmenge eines Elements, die in irgend einer seiner Verbindungen in diesem Einheitsvolumen gefunden wird, bezeichnet man als sein Atomgewicht. Für diese Gewichtsmengen ist von Dulong und Petit die Gesetzmäßigkeit gefunden worden, daß die Wärmemengen, die dieselben in festem Aggregatzustand bei gleicher Temperaturerhöhung aufnehmen, annähernd gleich sind. Die Gleichheit dieser Atomwärmen, pro Atomgewicht in Gramm (Wasserstoff = 1) ca. 6,4 Grammkalorien pro Grad C., ermöglicht nun auch, das Atomgewicht derjenigen festen Elemente zu bestimmen, die keine gasförmigen Verbindungen eingehen: es ist derjenige Bruchteil oder dasjenige Vielfache des Verbindungsgewichts in Gramm, welcher bei Temperaturerhöhung um 1°C. ungefähr 6,4 Grammkalorien aufnimmt. Die Elemente mit sehr kleinen Atomgewichten zeigen erhebliche Abweichungen von diesem Gesetz. Eine weitere Bestimmung des Atomgewichts ergibt sich aus dem von Mitscherlich entdeckten Isomorphismus (s. Isomorphie). Es hat sich gefunden, daß die Molekeln analoger chemischer Verbindungen von gleicher oder ähnlicher Kristallform die analogen Elemente im Verhältnis ihrer Atomgewichte enthalten, doch sind die so erhaltenen Zahlen nur als eine Betätigung der auf andern Wegen gefundenen anzusehen.
Als Einheit der Atomgewichte diente, durch Berzelius eingeführt, lange Zeit der Sauerstoff = 100, später bezog man sie jedoch, um handlichere Zahlen zu haben, auf das kleinste, den Wasserstoff = 1, wobei aber der Uebelstand besteht, daß nur sehr wenige Elemente Wasserstoffverbindungen liefern und so ihr Verhältnis zu diesem nur indirekt ermittelt werden kann. Der Ueberlegenheit der Sauerstoffeinheit, die für alle Elemente direkt bestimmbar ist, hat man in neuester Zeit dadurch Rechnung getragen, daß man auf Grund des annähernden Verhältnisses Wasserstoff: Sauerstoff = 1 : 16 alle Atomgewichte auf Sauerstoff = 16,000 bezieht und so von den Schwankungen des Verhältnisses Wasserstoff: Sauerstoff (nach neuesten Daten 1 : 15,88), dessen genaue Ermittlung große experimentelle Schwierigkeiten bietet, unabhängig wird. Da man seit lange mit den Atomgewichten H = 1, O = 16 oder 15,96 gerechnet hat, so ist die neue Tabelle mit O = 16,00 schon deshalb vorzuziehen, weil fast alle mit den alten Zahlen berechneten Werte ungeändert bleiben können, während sie sonst im Verhältnis 1,008 : 1 verkleinert werden müßten. Schließlich gibt auch die O = 16,00-Tabelle gerade für die häufigsten [340] Elemente sehr nahe ganze Zahlen, während bei F = 1 Dezimalen unumgänglich werden. Deshalb ist in der Praxis jetzt O = 16,00 wohl allgemein angenommen.
Die folgende Tabelle der Atomgewichte enthält diese Zahlen nach der neuesten Publikation der Internationalen Atomgewichtskommission:
Von ausschlaggebender Bedeutung für die Wahl der Atomgewichte sind die schon seit lange in einzelnen Fällen erkannten Beziehungen zwischen diesen Zahlen und den Eigenschaften der Elemente, deren umfassende Bedeutung aber erst 1869 gleichzeitig von Mendelejeff und Lothar Meyer erkannt wurde und in dem »periodischen System« ihren Ausdruck fand.
Werden die Elemente nach der Größe ihrer Atomgewichte geordnet, so folgen periodisch nach gleichen Intervallen andre Elemente, die im allgemeinen in bestimmtester Analogie mit den entsprechenden Gliedern der früheren Perioden stehen, wie dies deutlich aus folgender Anordnung nach Lothar Meyer [3] hervorgeht:
[341] Nicht nur die chemischen Eigenschaften der Elemente, sondern auch die meisten physikalischen ordnen sich obiger Periodizität mehr oder weniger deutlich unter, und wenn auch manche Unebenheiten und Willkürlichkeiten des Systems unleugbar vorhanden sind, so ist doch anderseits seine Natürlichkeit und Berechtigung unverkennbar und verleiht den zugrunde liegenden Größen der Atomgewichte einen hohen Grad innerer Wahrscheinlichkeit, trotzdem eine theoretische Erklärung des periodischen Systems noch nicht vorhanden ist.
Die auffällige Tatsache, daß bei der Wahl des Wasserstoffs als Einheit die meisten Atomgewichte ganzen Zahlen, also einfachen Multiplen des Wasserstoffs, sehr nahe liegen, veranlaßte Prout 1815 zu der Annahme, daß alle Elemente aus einer Urmaterie, dem Wasserstoff, beständen und ihre Atomgewichte wirklich genaue Multipla desselben seien. Der große Anklang, den diese Anschauung, namentlich gestützt auf eine Reihe schlechter Analysen Th. Thomsons, fand, veranlaßte bald eine eingehendere Prüfung, die mit den genauen Analysen Turners die Unrichtigkeit der Hypothese bewies. Eine Wiederaufnahme derselben führte vor etwa 60 Jahren zu den berühmten und mit unerreichter Genauigkeit ausgeführten Atomgewichtsbestimmungen von Stas [4] in Brüssel, mit deren Ergebnissen die Hypothese wohl endgültig fiel (vgl. Molekulargewicht). Durch neueste Untersuchungen von Sir W. Ramsay [6] hat die Annahme der Zusammengesetztheit der Elemente zwar neue Stützen erhalten, doch wird sich die Wahrheit zweifellos nicht als so einfach herausstellen, wie es der Proutschen Hypothese entspricht.
Literatur: [1] Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig 1891. [2] L. Meyer und K. Seubert, Die Atomgewichte der Elemente, Leipzig 1883. [3] L. Meyer, Die modernen Theorien der Chemie, 5. Aufl., Breslau 1884. [4] Stas, Untersuchungen über die Gesetze der ehem. Proportionen, deutsch von Aronstein, Leipzig 1867. [5] Berzelius, Afhandlingar, i Fysik, Kemi och Mineralogi, Bd. 36, Stockholm. [6] W. Ramsay, Vortrag auf der 75. Naturforscherversammlung in Kassel, J.A. Barth, Leipzig 1903. [7] Küster, Rechentafel für Chemiker, 4. Aufl., Leipzig 1903.
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