[230] Bolzenverbindung, die Verbindung der Stabglieder einer eisernen Fachwerkskonstruktion mittels eines zylindrischen Bolzens.
Das Bolzengelenk ermöglicht eine Drehung der Stäbe um den Verbindungsbolzen, wie sie von den elastischen Formänderungen des Fachwerks herbeizuführen gesucht wird, und unterscheidet sich diese Verbindung hierdurch von festen Nietanschlüssen, die eine gegenseitige Verdrehung der Stäbe von vornherein ausschließen. Es sind jedoch auch bei einem Bolzengelenk Nebenspannungen nicht gänzlich vermieden. Es muß nämlich stets erst ein gewisser Reibungswiderstand überwunden werden, bevor eine Drehung um den Bolzen stattfinden kann. Bezeichnet P die Stabkraft, b die Breite, δ die Dicke des Stabes, d den Bolzendurchmesser (etwa = 3/4b) endlich φ den Reibungskoeffizienten (etwa = 1/6b), so kann das auf das Stabende einwirkende Moment bis zur Größe φ(Pd)/2 = 1/12(Pd) anwachsen, bevor eine Drehung des Stabes eintritt. Die im Stabe hierdurch hervorgerufenen Biegungsspannungen werden 1/2(P/bδ) ∙ (d/b) = 0,37(P/bd), d.h. die primäre oder Systemspannung im Stabe P/db kann durch die unvollkommene Wirkung des Gelenkes um 37% vergrößert werden, bezw. das Gelenk fängt erst dann zu spielen an, wenn die Nebenspannung bis auf 37% der Stabspannung angewachsen ist. So hoch steigt aber auch bei genieteten Fachwerken mit zentrischer Strebenbefestigung die Nebenspannung selten, so daß hiernach die Bolzenverbindung gegenüber der festen Vernietung in dieser Beziehung eigentlich[230] nichts voraus hat. Man könnte dagegen nur allenfalls geltend machen, daß sich infolge der durch die bewegten Latten erzeugten Erschütterungen doch ruckweise Drehungen um die Gelenke vollziehen, wodurch ein Anwachsen des Reibungsmomentes und der von ihm hervorgerufenen Nebenspannungen bis zu dem oben berechneten Betrage vermindert wird; dieses Verhalten wird nur bei kleineren Brücken mit leichtem Ueberbau eintreten und hier infolge der großen Beweglichkeit auf die Erhaltung nicht besonders günstig wirken. Auch die amerikanischen Ingenieure ziehen es jetzt vor, Brücken von kleineren Weiten (etwa bis 50 m) nach europäischer Art (mit vernieteten Knoten) herzustellen [1]. Immerhin bleibt aber für die Bolzenbrücken noch ein großer Vorteil bestehen, nämlich die Möglichkeit rascher Aufstellung selbst bei Verwendung von ungeübten Arbeitern.
Direktor Gerber (Süddeutsche Brückenbauanstalt) hat wohl versucht, die Gelenkbolzenverbindung in einer der europäischen Konstruktionsweise angepaßten Durchbildung auch bei einigen in Süddeutschland gebauten Fachwerksbrücken in Anwendung zu bringen [2]; es hat sich aber dieses Konstruktionssystem für inländische Bauwerke gegenüber der hier üblichen Nietverbindung nicht als konkurrenzfähig erwiesen, und es wird jetzt von der Brückenbauanstalt der Nürnberger Maschinenfabrik sowie von der Gesellschaft Harkort [5] nur für solche Konstruktionen angewendet, die für eine weite Verschickung bestimmt sind und wo es insbesondere auf eine leichte, rasche und auch von ungeübten Arbeitern durchzuführende Aufstellung ankommt. In Amerika wird aber an der gelenkartigen Konstruktion der Knotenpunkte für große Fachwerke konsequent festgehalten. Ueber ihre Vor- und Nachteile wurden wiederholt kritische Betrachtungen angestellt und hierdurch seinerzeit Polemiken zwischen europäischen und amerikanischen Ingenieuren veranlaßt. Nach dem oben Bemerkten kann man als wichtigsten und unbestreitbaren Vorteil der Bolzenverbindung wohl nur die leichtere Aufstellung gegenüber den Fachwerken mit fester Nietverbindung gelten lassen; bei der amerikanischen Konstruktionsweise, wo die Zugstäbe konsequent als Augenstäbe (s.d.) ausgebildet sind, tritt hierzu allenfalls noch der Vorteil, daß die gezogenen Stäbe an der Befestigungsstelle keine Querschnittschwächung erleiden, wie dies bei der Nietverbindung der Fall ist. Die Verminderung der Nebenspannungen durch die Bolzengelenke unter eine gewisse Grenze ist aber fraglich, und es ist gerade mit den amerikanischen Konstruktionen der Nachteil verknüpft, daß sie lange Gelenkbolzen erfordern, die bedeutende Biegungsmomente aufzunehmen haben, und daß nur bei sehr exakter Arbeit, wie sie allerdings von allen besseren amerikanischen Brückenbauanstalten geleistet wird, eine ziemlich gleichmäßige Spannungsverteilung auf sämtliche Stäbe des Kettengurts zu erwarten fleht. Ein weiterer Nachteil der amerikanischen Bolzengelenke bei Brückenfachwerksträgern ist die verminderte seitliche Steifigkeit der Tragwände und mangelhafte Anbringung der Horizontalverstrebung, in welcher Hinsicht die neueren amerikanischen Konstruktionen (Fig. 1) allerdings einen Fortschritt erkennen lassen. Diesen Nachteilen gegenüber bezeichnen die obenerwähnten Gelenkkonstruktionen der deutschen Brückenbauanstalten (Fig. 2) insofern eine Verbesserung, als daselbst möglichst kurze Bolzen angewendet und die Gurtstäbe überdies in der Ebene der Bolzenachse durch Horizontalbleche a, die gleichzeitig zur Anknüpfung der Windftreben dienen, miteinander verbunden sind. Damit sind allerdings wieder gewisse Vorzüge größerer Einfachheit der amerikanischen Knotenpunktsverbindungen, welche dort die konsequente Verwendung der Augenstäbe im Gefolge hat, aufgegeben worden.
Bolzenverbindungen sind übrigens dort am Platze, wo durch feste Vernietung ausnahmsweise große Nebenspannungen auftreten würden, wie in den Gelenkpunkten der Kragträger oder Hängefachwerksträger. Bei der Berechnung des Bolzendurchmessers ist die Scherkraft, der Stauchdruck und das Biegungsmoment in Rücksicht zu ziehen. Greifen mehrere Stabkräfte[231] nach verschiedener Richtung am Bolzen an, so ermittelt man die Projektionen dieser Kräfte auf zwei zueinander senkrechte, durch die Bolzenachse gelegte Ebenen und bestimmt in diesen Ebenen die Scherkräfte Q1 und Q2 sowie die Biegungsmomente M1 und M2. Die resultierenden, den Bolzen beanspruchenden Kräfte sind alsdann √Q12 + Q22 und √M12 + M22. Die Stabkraft kann dabei über die Stabdicke gleichmäßig verteilt angenommen werden; bei dicken Stäben und verhältnismäßig dünnen Bolzen wird aber diese Annahme nicht zutreffen, eine strengere Berechnungsweise [3] wird jedoch sehr schwierig. Die Amerikaner verwenden zu den Bolzen mittelharten Stahl (4,04,5 t/qm Festigkeit) und lassen eine rechnungsmäßige Biegungsspannung von 1,21,4 t/qm zu. Mit dem Stauchdruck wird in Eisen bis auf 1,5 t, in Stahl bis auf 1,8 t/qm gegangen. Die Beanspruchung auf Abscheren tritt bei den amerikanischen Knotenpunktsbolzen gegenüber den beiden andern Beanspruchungsarten gewöhnlich in den Hintergrund. Da der zulässige Stauchdruck ungefähr gleich 4/3 3/2 der zulässigen Zugspannung gesetzt wird, so folgt, daß der Bolzendurchmesser mindestens gleich 3/42/3 der Breite der Augenstäbe gemacht werden muß, sofern letztere nicht im Kopfe verdickt werden. Die Bolzen erhalten an den Enden Schraubengewinde angeschnitten, auf welche sechseckige Muttern gesetzt werden. Der Durchmesser der Schraubenspindel beträgt etwa 2/3 des Bolzendurchmessers, die Innenfläche der niedrigen Schraubenmutter ist ausgehöhlt, damit sie nicht auf dem Bolzen, sondern auf den zu verbindenden Stäben aufsitzt.
Literatur: [1] Ritter, W., Der Brückenbau in den Vereinigten Staaten Amerikas, Bern 1894. [2] Gerber, Notizen über Eisenkonstruktionen mit Gelenkverbindungen, Zeitschrift für Baukunde 1882, S. 541. [3] Bender, Proportions of pins used in bridges, New York 1873. [4] Handbuch der Ingenieurwissenschaften, Bd. 2: Brückenbau, Kap. X. [5] Mehrtens, Der deutsche Brückenbau im 19. Jahrh., Berlin 1900.
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