Dualität

[148] Dualität oder Reziprozität, ein Grundgesetz der Geometrie, das bezüglich des Zusammenhanges der Raumgrößen Punkt, Gerade und Ebene besteht, sobald es sich lediglich um die Lagenverhältnisse dieser Raumgrößen handelt.

In ein und derselben Ebene kann nämlich ein Punkt nicht nur wieder einem Punkte, sondern auch einer Geraden entsprechen, indem man erstere Raumgröße als Schnittpunkt zweier Geraden, die Gerade aber als Verbindungslinie zweier Punkte auffaßt. Desgleichen entsprechen sich im Räume ein Punkt und eine Ebene reziprok, indem der Punkt als Schnittpunkt dreier Ebenen erscheint, die Ebene aber bestimmt ist durch drei nicht in gerader Linie befindliche Punkte. Eine Gerade entspricht sich selbst reziprok, wenn sie in einem Falle als Schnittlinie zweier Ebenen, im andern als Verbindungslinie zweier Punkte aufgefaßt wird. Das Gesetz der Dualität oder Reziprozität ist dadurch charakterisiert, daß jeder geometrischen Wahrheit, die sich auf eine bestimmte Aufeinanderfolge von Punkten bezieht, in der Ebene bezw. im Räume eine geometrische Wahrheit gegenübersteht, die in bestimmter Weise Bezug hat auf eine Aufeinanderfolge von Geraden bezw. Ebenen.

Mit Bezugnahme auf die sechs Grundgebilde der Geometrie (s.d.) lassen sich die folgenden Dualitäten oder Reziprozitäten unterscheiden: Der Punktreihe steht dual gegenüber das Strahl- und Ebenenbüschel. Das Strahlbüschel ist selbst reziprok, desgleichen ist das Strahlbündel, aufgefaßt als ein Gebilde von Geraden bezw. Ebenen, reziprok dem ebenen System,[148] aufgefaßt als ein System von Geraden bezw. Punkten. Zwei ebene Systeme sind reziprok aufeinander bezogen, wenn jedem Punkte des einen Systems eine Gerade des andern entspricht; zwei Strahlbündel sind endlich reziprok aufeinander bezogen, wenn jedem Strahle des einen Bündels eine Ebene des andern als entsprechend zugeteilt ist. – In der Ebene stehen sich z.B. die Sätze von Pascal-Brianchon dual gegenüber, im Räume entspricht dem Dreieck reziprok das Dreikant, denn ersteres kann aufgefaßt werden als Verbindung von drei nicht in gerader Linie liegenden Punkten, während das Dreikant entsteht durch drei sich schneidende Ebenen. Dem Scheitel des Dreikants entspricht reziprok die Dreiecksebene, den Seitenflächen des Dreikants entsprechen die Dreiecksecken, den Kanten des Dreikants die Dreiecksseiten. Jedem Polyeder entspricht reziprok ein zweites Polyeder, dessen Begrenzungsflächen reziprok sind den Ecken des ersten Körpers.

Vonderlinn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 148-149.
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